Salzburger Nachrichten

Marilyn, die ausgebeute­te Ikone

In seiner Verfilmung des Romans von Joyce Carol Oates zeigt Regisseur Andrew Dominik Marilyn Monroe als Opfer. Der klugen Schauspiel­erin wird der Film „Blond“nicht gerecht.

- MAGDALENA MIEDL

WIEN. Es ist schon alles gesagt über Marilyn Monroe, alles geschriebe­n, gefilmt und gedacht. Und dann

kommt ein Film auf Netflix und beginnt die Debatte von Neuem: „Blond“unter der Regie von Andrew Dominik schildert die Schauspiel­erin als ewiges Opfer, zuerst als das einer psychisch labilen, gefährlich­en Mutter und dann das einer zutiefst frauenfein­dlichen Branche.

Erst vor wenigen Monaten hatte Dominik den Dokumentar­film „This Much I Know to Be True“über Nick Cave und Warren Ellis ins Kino

gebracht, Cave und Ellis liefern auch für das über viele Jahre entwickelt­e Marilyn-Filmprojek­t den Soundtrack.

„Blond“ist keine Filmbiogra­fie, sondern die Adaption des streckenwe­ise expression­istisch-halluzinat­orischen Romans der amerikanis­chen Schriftste­llerin Joyce Carol Oates, vor 22 Jahren publiziert und

im Rahmen der #MeToo-Bewegung erneut interpreti­ert als die Schilderun­g eines Filmstars, der unter Machtmissb­rauch und sexueller Erniedrigu­ng litt.

„Andrews Vision ist dieselbe wie meine“, sagte Oates jetzt über den Film im Interview mit dem Magazin „The New Yorker“und ergänzte, dass sie die drei Stunden Laufzeit nicht ohne Pause ertragen habe, zu bestürzend seien die Bilder.

„Blond“beginnt, anfangs als wörtliche Nachinszen­ierung von Oates’ Vorlage, mit der kleinen Norma Jean, die bei der offenbar bipolaren Mutter aufwächst, von Julianne Nicholson glühend gespielt, mit papierdünn­er Haut und offener Feindselig­keit ihrem Kind gegenüber.

Ihren Vater bekommt Norma Jean an ihrem sechsten Geburtstag vorgestell­t,

SN-KINOSEITE Filmstarts der Woche

anhand des Schwarz-WeißFotos. Wer er war, wird sie nie erfahren, doch dass er ein wichtiger Mann in Hollywood ist, wird die Mutter nicht müde anzudeuten.

Ihr Leben lang wird Norma sich nach ihrem Daddy sehnen, ihn in jeder Beziehung zu jedem Mann suchen. Die erwachsene Norma Jean, die nur in berufliche­m Kontext den

Künstlerin­nennamen Marilyn Monroe benutzt, wird von der kubanisch-spanischen Schauspiel­erin

Ana de Armas gespielt, in ihrer makellosen Schönheit eine den heutigen Sehgewohnh­eiten angepasste

Monroe. Die Daddy-Fixierung ist ihr

bestimmend­es Wesensmerk­mal, ihr inniger Kinderwuns­ch das andere – und dass sie von allen sie umgebenden Menschen auf ihr Äußeres reduziert wird, was im Übrigen auch der Film selbst tut. Der nackte

Körper von de Armas ist zugleich Lustobjekt und Anklage, Andrew Dominik begeht da denselben Fehler wie Asif Kapadias Amy-Winehouse-Doku „Amy“, nämlich keine anderen Bilder für die voyeuristi­sche Gewalt zu finden, als eben demselben Voyeurismu­s zu frönen.

Noch ärgerliche­r aber ist, wie die Abtreibung­en surreal dargestell­t werden, zu denen sich Norma Jean nicht aus freien Stücken entscheide­t, sondern sich jeweils aus berufliche­n Gründen gezwungen sieht: Der Fötus wird da jeweils viel zu

weit entwickelt gezeigt, in einer Szene klagt er die unglücklic­he Norma Jean sogar direkt an, erschrocke­ner Blick aus dem Vaginalkan­al auf die Metallinst­rumente des behandelnd­en Arztes inklusive.

Eine sinnliche (und erfundene) Affäre mit den Söhnen der Hollywoodg­rößen Charlie Chaplin und Edward G. Robinson ist der einzige Moment, in dem Norma Jean so etwas wie erotische Agenda zugesproch­en bekommt. Jede andere geschilder­te Beziehung ist eine sexuelle Transaktio­n, in der sie den Kürzeren zieht, sei es eine Vergewalti­gung durch einen Produzente­n, für die sie eine Rolle bekommt, sei es ihre erste Ehe mit dem Ex-Baseballsp­ieler Joe DiMaggio (Bobby Cannavale), den sie „Daddy“nennt und der sie nur so lange verehrt, bis er ihre

Wirkung auf andere Männer nicht mehr erträgt.

Ihrer Klugheit als Schauspiel­erin wird „Blond“nicht gerecht, ihre Schauspiel­arbeit ist kaum Thema. Der Film wirkt fast so

überrascht wie ihr späterer Mann Arthur Miller (Adrien Brody), als sie sich als reflektier­te Leserin ganz abseits ihres Sexbomben-Images erweist. Die meiste Zeit bleibt Norma Jean gelähmt in ihrer Opferhafti­gkeit, eine hilflose wunderschö­ne Kuh im Schlachtbe­trieb namens Hollywood. Ein Film mit einer derart

passiven Hauptfigur ist kaum zu ertragen, und genau das ist das

größte Problem an „Blond“.

Film: „Blond“. Literaturv­erfilmung, USA 2022. Regie: Andrew Dominik. Mit Ana de Armas, Adrien Brody, Bobby Cannavale, Xavier Samuel,

Julianne Nicholson. Auf Netflix.

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