Sorge im Grenzland
Im Burgenland gibt es neben Teuerung und Energiepreiskrise vor allem ein Thema: den großen Zustrom von Migranten und Flüchtlingen. 90 Prozent aller Aufgriffe erfolgen dort.
EISENSTADT. Im Osten Österreichs, an der Grenze zu Ungarn und der Slowakei, ist das starke Plus bei
Asylanträgen längst sichtbar geworden. Immer wieder ziehen Gruppen – meist – junger Männer
mit Rucksäcken auf Wegen und Landstraßen an Häusern und Höfen vorbei. Auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa, aber sehr oft ohne Chance auf Asyl. „Ja“, sagt Helmut Marban von der Landespolizeidirektion Burgenland, der starke Zustrom sei „für die Menschen im Land wahrnehmbar
geworden“. Man nehme die Sorgen ernst, sagt er, fügt aber auch hinzu: „Wir haben vor allem ein Problem
mit der Schlepperkriminalität.“Weder Gewalt- noch Eigentumsdelikte würden steigen.
Täglich werden im Burgenland derzeit rund 400 illegale Grenzgänger aufgegriffen, das sind rund 3000 pro Woche. Und das ist – neben Teuerung und Energiekrise – auch ein Thema bei der Gemeinderatswahl am Sonntag. Denn 90 Prozent aller Aufgriffe in Österreich
finden laut Innenministerium im Burgenland mit seiner fast 400 Kilometer langen Grenze zu Ungarn statt. Hotspots sind die Bezirke Neusiedl am See und Oberpullendorf. Der Landespolizeidirektion sind zur Bewältigung der Lage permanent rund 60 zusätzliche Polizistinnen und Polizisten aus anderen
Bundesländern zugeteilt. Und seit Donnerstag wird auch an der burgenländischen und niederösterreichischen Grenze zur Slowakei kontrolliert, für die 200 Beamte aus
Wien, Niederösterreich und dem Burgenland abgestellt sind. In erster Linie, wie gesagt, zur Bekämpfung der Schlepperbanden.
Zu tun gibt es genug: Im Vergleich zum Vorjahr gab es eine laut Marban „gewaltige Zunahme“bei der Festnahme von Schleppern:
Wurden 2021 im gesamten Jahr 169
Mehr als ein Viertel der Antragsteller „entzieht sich dem Verfahren“
Personen verhaftet (100 waren es
im Coronajahr 2020, Anm.), sind es seit Jänner dieses Jahres bereits 216
gewesen. Trotz dieser Erfolge und der „sehr guten“Zusammenarbeit mit den Ungarn dürfe man „aber nicht blauäugig sein“, sagt Marban. Er vergleicht die Situation mit der Hydra: „Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei nach.“
Das Geschäft der Schlepper floriert. Viele Flüchtlinge und Migranten – neuerdings auffallend viele Inder, die so gut wie nie einen Asylgrund nach Flüchtlingskonvention nennen können – geben ihr letztes Hemd, um nach Europa zu kommen, besser gesagt: nach Westeuropa. In Ungarn wollen die wenigsten
bleiben.
Wer es über die österreichische Grenze schafft, von der Polizei gestoppt wird und kundtut, dass er
Asyl will, wird registriert. Die Personalien werden erfasst, Fingerabdrücke genommen. Eine Erstbefragung direkt an der Grenze gibt es aufgrund der großen Menge an zu bewältigenden Anträgen schon länger nicht mehr. Die Asylsuchenden werden dafür auf ganz Österreich verteilt. Sie bekommen meist ein Zugticket in die Hand gedrückt und die Information, wo sie sich wann zur Erstbefragung melden müssen. Mehr oder weniger sich selbst überlassen, nutzen gar nicht so wenige diese Gelegenheit, um in ein anderes EU-Land weiterzureisen oder
unterzutauchen. Nach Angaben des
Innenministeriums haben sich heuer in den ersten acht Monaten rund 15.000 der mehr als 56.000 Asylantragsteller – also mehr als ein Viertel – „dem Verfahren entzogen“. Das heißt: Sie erschienen nicht zur Erstbefragung, weshalb ihre Verfahren eingestellt wurden. Der hohe
Schwund ändert freilich nur wenig am Aufwand, der betrieben werden muss.
Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) warnte erst jüngst wieder vor einer „Migrationssituation wie 2015“. Unrecht
hat er damit nicht. Damals stellten im Gesamtjahr fast 90.000 Personen Asylansuchen in Österreich,
heuer waren es bis Ende August wie erwähnt mehr als 56.000 – zu denen
Zehntausende Kriegsvertriebene aus der Ukraine kommen, die nicht in der Asylstatistik aufscheinen. Fast 90.000 Personen waren zuletzt in Grundversorgung, darunter mehr als 57.000 Ukrainer.
Abseits dieser Sondersituation gibt es laut Marban aber weitere Unterschiede zur Flüchtlings- und Migrationskrise 2015: Damals kamen insgesamt rund 300.000 Menschen ins Land, der Großteil unregistriert und mit einem anderen Ziel als Österreich. Und: Auf der Balkanroute hätten die betroffenen Länder erst Strukturen aufbauen
müssen, „mittlerweile versuchen eigentlich alle Balkanstaaten, eine
Art Wellenbrecher zu sein und an ihren Grenzen zu kontrollieren“.