Soll Europa Gaspreise deckeln?
Die Energieminister debattieren über EU-weite Preisobergrenzen. Das soll die Energiekosten im Zaum halten. Viele Länder wollen das. Andere wie Deutschland und Österreich warnen vor Risiken.
BRÜSSEL. Bei ihrem Krisentreffen am Freitag haben die 27 Energieminister der Union über einen europaweiten Preisdeckel für Gas debattiert. Oder besser gesagt: über verschiedene Deckel. Denn auf dem Tisch liegen drei Vorschläge. Sie alle
bergen Chancen, aber auch große Risiken. Österreichs Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) warnte: „Kein Experiment auf dem Rücken
der Versorgungssicherheit.“
1. Um welche Gaspreisdeckel auf EU-Ebene geht es?
Es gibt drei Varianten. Erstens eine EU-weit festgesetzte Preisobergrenze auf alles Gas, das aus Drittländern importiert und innerhalb der EU gehandelt wird.
Variante zwei: eine Preisobergrenze nur auf russisches Gas.
Dritte Variante: ein Preisdeckel für Gas, das zur Stromproduktion
verwendet wird. Das würde den Strompreis, der am Gaspreis hängt,
für die Verbraucher senken.
2. Was spricht für einen Deckel auf die Gaspreise?
Die Verfechter erwarten sich – klarerweise – eine Preisdämpfung und die Entlastung der Endverbraucher.
Sie gehen davon aus, den Preisdeckel so festlegen zu können, dass er für die Gaslieferanten noch attraktiv genug ist – also unter den momentanen Rekordwerten liegt, aber deutlich über dem, was vor dem Angriffskrieg
Wladimir Putins gegen die Ukraine bezahlt wurde.
3. Was spricht gegen die Gaspreisdeckelung?
Die Versorgungssicherheit: Ministerin Gewessler erinnerte daran, dass Österreich immer noch abhängig sei von russischem Erdgas. Das trifft auch auf Staaten wie Ungarn oder Tschechien zu. Wladimir Putin
könnte den Hahn ganz zudrehen.
Dazu kommt, dass ein Gaspreisdeckel auf alle Importe auch befreundete Lieferanten wie die USA, Norwegen oder Algerien verprellen
könnte. Genau die braucht Europa, um russisches Gas zu ersetzen.
Und letztlich: Ein zu niedrig angesetzter Garantiepreis nimmt den Anreiz zum Energiesparen – der
Verbrauch steigt wieder. Genau das ist in Spanien geschehen, das auf
nationaler Ebene den Gaspreis zur Stromerzeugung gedeckelt hat.
4. Was schlägt die Kommission vor?
Noch hat die Behörde keinen Gesetzestext über einen Gaspreisdeckel
vorgelegt. Aber in einem sogenannten Non-Paper definierte sie die Richtung in mehreren Schritten.
Zunächst soll es Verhandlungen mit befreundeten Lieferstaaten
über eine Preissenkung geben. „Wenn das keine Ergebnisse bringt,
dann ist ein Preisdeckel möglich“, sagte Energiekommissarin Kadri Simson. Sie bevorzugt aber klar einen Preisdeckel nur auf russisches Gas. Auch von ihr anvisiert wird ein
Preisdeckel auf Gas, das zur Stromerzeugung gebraucht wird.
5. Wer ist für, wer gegen EUweite Gaspreisdeckel?
Dafür sind die Schwergewichte Frankreich, Italien, Polen und Spanien, aber auch Belgien, Bulgarien, Kroatien, Griechenland, Lettland, Litauen, Malta, Portugal, Rumänien, Slowenien und die Slowakei.
Dagegen sind vor allem Deutschland, Österreich, Ungarn, die Niederlande und Dänemark.
6. Können die Gegner überstimmt werden?
Theoretisch ja, sobald ein Gesetzesvorschlag vorliegt und abgestimmt wird. In energiepolitischen Fragen ist nur eine einfache Mehrheit nötig. Deshalb vertritt Ministerin Gewessler die Ansicht, dass es sich bei einem EU-weiten Preisdeckel auf Gas um eine Sanktion handle. Hintergrund: Sanktionen müssen einstimmig beschlossen werden.
Noch haben die 15 Staaten übrigens nicht die nötige Mehrheit. Sie müssen 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Dazu bräuchten sie ein weiteres, mittelgroßes Land.
7. Warum kauft die EU nicht gemeinsam Gas ein?
Das hat auch der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck am Freitag wieder gefordert: „Wir können die Marktmacht Europas klug einsetzen.“Bei den Impfstoffen hat das funktioniert. Beim Gas ist es viel schwieriger. Nicht die Staaten kaufen Gas, sondern Unternehmen. Impfstoffe lassen sich per Lkw und Bahn versenden, für Gas braucht es Leitungen, LNG-Terminals und EUweite Netze. Es gibt bereits seit März eine EU-Plattform für den gemeinsamen, freiwilligen Gaseinkauf – bisher ohne große Erfolge.
„Keine Experimente bei der Versorgungssicherheit.“Energieministerin
8. Was also tun gegen die hohen Preise?
Was den Stromsektor betrifft, so haben die Energieminister am Freitag – wie im Vorfeld berichtet – drei
preisdämpfende Maßnahmen beschlossen. Die Abschöpfung von Zufallsgewinnen und die Einführung eines Solidarbeitrags im Energiesektor sollen den 27 Mitgliedsstaaten in Summe 140 Milliarden Euro zur Entlastung ihrer Unternehmen und Haushalte bringen.
Außerdem verpflichten sich die Staaten auf Stromsparquoten zu Spitzenzeiten. Angepeilter Umsetzungstermin für die Gewinnabschöpfung: ab Dezember.