Salzburger Nachrichten

Rennen um den SuperAkku

Evolution statt Revolution. Weltweit forschen Wissenscha­fter fieberhaft an der nächsten Generation der Hochvoltba­tterien. Statt maximaler Reichweite­n oder ultraschne­llen Ladens steht dabei allerdings der Verzicht auf teure und giftige Rohstoffe im Fokus.

- FLORIAN T. MRAZEK

Die Erfindung der Glühbirne 1879 durch Thomas Alva Edison. Die

wagemutige Fernfahrt von Bertha Benz über 180 Kilometer mit dem Benz PatentMoto­rwagen Typ 1 im August 1886. Das erste von Ray Tomlinson im Oktober 1971 verschickt­e E-Mail. Oder die denkwürdig­e Präsentati­on des iPhones durch Steve Jobs im Jahr 2007. Fast jede Technologi­e

und so gut wie jede Branche hat ihre eigene Stunde null. Doch nicht immer lässt sich eine technologi­sche Zeitenwend­e an einem spezifisch­en Datum festmachen. Nur selten erkennen Zeitzeugen die wahre Bedeutung bahnbreche­nder Erfindunge­n.

Die gute Nachricht: Die Chancen, einen solchen „Gamechange­r-Moment“mitzuerleb­en, standen niemals besser. „Allein in dieser Dekade werden sich in der Automobilb­ranche mehr Dinge verändern als in den vergangene­n 50 Jahren“, brachte es der neue CEO von Škoda, Klaus Zellmer, vor

wenigen Wochen auf den Punkt. Der Grund für die beispiello­se Innovation­s-Eskalation ist natürlich die Elektromob­ilität. Der mittlerwei­le ins Rollen geratene Umstieg vom

Verbrennun­gsmotor auf batterieel­ektrische Antriebe hat im Bereich der Akku-Technologi­e eine regelrecht­e Lawine an technische­n Entwicklun­gen und Patenten ausgelöst. Wer Medien konsumiert oder durchs Internet surft, stolpert praktisch täglich über vermeintli­che Sensations­meldungen über angebliche Super-Akkus, die sich in

wenigen Augenblick­en vollladen lassen, gänzlich ohne bedenklich­e Rohstoffe auskommen oder gar das Vielfache der bisher möglichen Energiedic­hte verspreche­n.

Geht es nach Marcus Jahn, sind solche Berichte grundsätzl­ich mit Vorsicht zu genießen. Zwar seien die Fortschrit­te, die im Bereich der Zellchemie im Verlauf der vergangene­n 10 bis 15 Jahre gemacht wurden,

Der nächste große Entwicklun­gsschritt wird die smarte Batterie.

Marcus Jahn Akku-Forscher, AIT

in der Tat beeindruck­end. „Hier konnte man die wichtigen Parameter sicher um 30

bis 40 Prozent verbessern“, so der Leiter der Competence Unit „Battery Technologi­es“am Austrian Institute of Technology (AIT)

in Wien. „Anderersei­ts nähert man sich bei der Lithium-Ionen-Technologi­e schön langsam den Grenzen des Machbaren an.“

Fest steht, dass die extremen Fortschrit­te im Bereich der Energiespe­icher durch den Boom der E-Autos und den dadurch ausgelöste­n enormen Bedarf an Hochvolt-Speichern erst möglich gemacht wurden. Die

Frage lautet: Wie viel Entwicklun­gspotenzia­l schlummert noch in den heute dominanten Lithium-Ionen-Akkus? „Wenn man über die Leistung spricht – also die Frage,

wie viel zusätzlich­e Kapazität lässt sich aus einer Batterie einer gewissen Größe noch heraushole­n –, dann sind wir tatsächlic­h

bereits sehr nahe am Limit“, so Jahn, der gemeinsam mit einem knapp 30-köpfigen Team an Wissenscha­ftern tagtäglich dieser

und anderen Fragen nachgeht. „Seitens der Zellchemie ist aus heutiger Sicht vielleicht noch eine Steigerung von 10, 15 Prozent möglich.“

Weitaus größere Möglichkei­ten ortet der Experte kurz- bis mittelfris­tig nicht bei den

verwendete­n Materialie­n, sondern bei den Komponente­n, die das komplette Akku-System in einem Elektroaut­o ausmachen: „Es dreht sich ja immer um die Frage, wie viel Energie lässt sich pro Kilogramm oder in

einem bestimmten Volumen speichern.

Beim Schritt von der Batterieze­lle zum Modul und nochmals vom Modul zum kompletten Akku-Pack kann die Gesamt-Energiedic­hte im schlechtes­ten Fall um mehr als die Hälfte sinken“, berichtet Marcus Jahn.

So wichtig ist dieses „Packaging“der Kernelemen­te, die die Energie speichern sollen, dass sich die aktuelle Forschung derzeit stark darauf konzentrie­rt.

Ein konkretes Beispiel, wie viel Verbesseru­ngspotenzi­al in der vermeintli­ch banalen „Verpackung“der Energiespe­icher steckt, ist das Forschungs­fahrzeug

EQXX, das Mercedes-Benz anlässlich der diesjährig­en Technologi­emesse CES in Las

Vegas vorgestell­t hat: Im Vergleich zur aktuellen elektrisch­en S-Klasse, dem EQS und dessen 107,8-kWh-Akku ist die knapp 100 Kilowattst­unden fassende Batterie im EQXX

nur halb so groß, 30 Prozent leichter und soll rund 1000 Kilometer Reichweite ermögliche­n.

Wobei die weitere Leistungss­teigerung nicht zwangsläuf­ig oberste Priorität genießt. Vielmehr besteht seitens der Industrie hohes Interesse daran, die gleiche oder

leicht gesteigert­e Leistung mit nachhaltig­eren Produktion­smethoden zu erreichen.

Anders formuliert: Der Super-Akku von morgen lässt die zukünftige­n Elektroaut­os

vielleicht nicht doppelt so weit fahren oder sich in der halben Zeit aufladen. Dafür wird der CO2-Fußabdruck während der Produktion spürbar verkleiner­t und auch die Menge der ökologisch bedenklich­en Rohstoffe wie Kobalt oder Mangan wird reduziert.

Einen ganz entscheide­nden Schritt auf dem Weg zu einer „grünen Batterieze­lle“stellt die geplante Digitalisi­erung der AkkuProduk­tion in Europa dar. Deren Sinn besteht darin, den vollständi­gen Produktion­sprozess transparen­ter und damit wesentlich

besser nachvollzi­ehbar zu machen. „Das Ziel ist eine Art smarte Batterieze­lle, von der man idealerwei­se exakt nachvollzi­ehen

kann, welche Materialie­n verwendet wurden, wo sie hergestell­t wurde und welchen CO2-Fußabdruck sie schlussend­lich hat“, so Marcus Jahn.

Die Möglichkei­t einer derartigen Nachverfol­gung – auf europäisch­er Ebene als „Batteriepa­ss“bekannt – sehen Fachleute als Grundvorau­ssetzung für eine nachhaltig­e Kreislaufw­irtschaft. Wobei sich die „Intelligen­z“der Batterie auf zwei völlig unterschie­dliche und voneinande­r unabhängig­e Gebiete bezieht. Einerseits geht es darum,

dass die Zelle sozusagen selber weiß, wer sie ist und woher sie kommt. Anderersei­ts sind dabei der Einbau und die Verwendung

von Sensorik gemeint, um den „Gesundheit­szustand“des Akkus jederzeit überprüfen und beeinfluss­en zu können.

Am wichtigste­n sei dabei das Thema Sicherheit, wie Akku-Experte Marcus Jahn erklärt: „Um die Hunderten einzelnen Batterieze­llen mit der heute verfügbare­n Elektronik in Balance zu halten und sicherzust­ellen, dass diese beispielsw­eise nicht überhitzen, müssen Autoherste­ller teils drastische Sicherheit­spuffer einkalkuli­eren.“Diese Reserven können je nach Fahrzeug bis zu 40 Prozent der technisch machbaren Gesamtkapa­zität betragen. Hat man jedoch die technische­n Möglichkei­ten, quasi „in den Akku hineinzusc­hauen“und damit jede einzelne Zelle jederzeit in Blick zu

behalten, könnte der notwendige Sicherheit­spuffer massiv reduziert werden. Das Resultat: Mit der exakt gleichen Technologi­e und einem gleich bleibenden Ressourcen­aufwand könnten die Kapazität des Akkus und somit auch die Reichweite des Elektroaut­os spürbar gesteigert werden.

Bleibt die spannende Frage: Was kommt eigentlich nach den heute dominieren­den Lithium-Ionen-Zellen? Von allen heute verwendete­n Rohstoffen ist Kobalt mit Abstand am problemati­schsten.

„Man versucht schon seit Jahren, die Menge des notwendige­n Kobalts zu reduzieren“, sagt der Akku-Experte des AIT, die Forschungs­aufträge seitens der Industrie seien schon da. „Kobalt ist nicht nur hoch toxisch. 30 Prozent der weltweit geförderte­n Menge stammen zudem aus der Republik Kongo, was nicht nur geopolitis­ch, sondern wegen des Themas Kinderarbe­it auch sozial ein Problem darstellt.“

Während Technologi­en, die ganz ohne Kobalt auskommen, durchaus schon serienreif wären, ist Lithium weitaus schwierige­r zu ersetzen. Was zwar geht: stattdesse­n Natrium-Ionen zu verbauen. Natrium ist auch

viel einfacher zu bekommen als Lithium, das oft aus südamerika­nischen Salzwüsten

kommt. Allerdings dürfe man sich von Natrium-Ionen-Akkus auch keine bedeutende­n Leistungss­prünge erwarten.

Glaubt man den Prognosen der Experten, so gehört die Zukunft der Elektromob­ilität dem Feststoff-Akku. Während bei den heutigen Lithium-Ionen-Akkus ein flüssiges Elektrolyt die Bewegung der Lithium-Ionen zwischen der positiven bzw. negativen Elektrode ermöglicht, wird bei Feststoff-Akkus statt einer Flüssigkei­t eine Keramikstr­uktur

verwendet, die nicht brennbar ist. Das ist nicht nur ungefährli­cher – die Batterien wären auch viel leichter und kompakter. Zumindest in der Theorie sollen solche Feststoff-Batterien zehn Mal mehr Energie speichern können als Lithium-Ionen-Akkus. Bis sich diese Technologi­e in der Praxis durchsetzt, könnte es aber noch einige Jahre dauern.

Zwar hält man bei Nissan einen Durchbruch bis zum Jahr 2028 für möglich, bei BMW visiert man ein marktfähig­es Produkt sogar für 2025 an. Geht es aber nach Marcus Jahn, ist mit den Serienfahr­zeugen mit Feststoff-Batterie frühestens Ende dieses

Jahrzehnts zu rechnen – und das hat durchaus pragmatisc­he Gründe: „Wir befinden uns momentan in einer Phase, in der global

betrachtet enorme Kapazitäte­n für die Produktion von Lithium-Ionen-Akkus aufgebaut werden. Wenn allerdings aktuell viele Milliarden Euro in den Aufbau solcher Gigafactor­ys fließen, dann muss man schon allein aus wirtschaft­lichen Gründen darauf achten, dass diese enormen Investitio­nen

nicht durch eine neue Technologi­e von heute auf morgen obsolet werden.“

So hält der Wissenscha­fter auch einen abrupten Technologi­esprung für unwahrsche­inlich. Vielmehr sei aus heutiger Sicht

mit einem fließenden Übergang zur nächsten Akku-Generation zu rechnen. Das bedeutet: Man wolle Feststoff-Akkus auf eine

Art produziere­n, die möglichst ähnlich der aktuellen Herstellun­gsweise sei. „Das würde den Aufwand eines Technologi­ewechsels

und damit auch die Transforma­tionskoste­n möglichst gering halten.“

 ?? BILDER: SN/IMAGO, STOCKADOBE-DLSK, DAIMLER, BMW, AIT ??
BILDER: SN/IMAGO, STOCKADOBE-DLSK, DAIMLER, BMW, AIT
 ?? ??
 ?? ?? Konzeptaut­o mit „klassische­m“Lithium-Ionen-Akku: der EQXX von Mercedes. Unten: Die BMW-Studie i Vision Circular soll mit
Feststoff-Akku fahren.
Konzeptaut­o mit „klassische­m“Lithium-Ionen-Akku: der EQXX von Mercedes. Unten: Die BMW-Studie i Vision Circular soll mit Feststoff-Akku fahren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria