Der lange Weg zum Strichcode
Eine unspektakuläre Idee – mit riesiger Wirkung. Die Idee dazu kam einem Studenten am Strand von Miami.
Ohne sie wären heute das schnelle Kassieren im Supermarkt und die effiziente Verwaltung der Lagerbestände kaum möglich: Vor
70 Jahren, am 7. Oktober 1952, erhielten Norman Joseph Woodland und Bernard Silver ein Patent für ihren Barcode.
Der Name leitet sich vom englischen Wort „bar“(Balken) ab, bei uns wird er als Strichoder Balkencode bezeichnet. Er ist maschinenlesbar, besteht aus parallelen Strichen und Lücken verschiedener Breite. Die Zeiten, als an der Kasse jeder Preis per Hand eingetippt werden musste, waren damit vorbei. Das „Piep,
piep, piep“in Supermärkten ist inzwischen zum alltäglichen Geräusch beim Einkaufen geworden. Der Barcode befindet sich auf Lebensmitteln, Kleidung, Elektronikprodukten, Büchern und Zeitschriften. Dabei hat das Wort „Code“nichts mit Verschlüsselung zu tun, es steht für die Datenabbildung in binären Symbolen.
Auf die Idee für die neue Technologie war Woodland, ein Maschinenbaustudent der Drexel University in Philadelphia, während eines Urlaubs in Florida gekommen. Nach einem einträglichen Aktiendeal hatte sich der 27-Jährige im Winter 1948 nach Miami Beach zurückgezogen, um ein paar unbeschwerte Wochen am Strand zu genießen. Zum Zeitvertreib zeichnete er mit den
Fingern Linien in den Sand, ganz hatte ihn seine Arbeit wohl doch nicht losgelassen. „Ich erinnere mich, dass ich über Punkte
und Striche nachdachte, während ich mit meinen Fingern im Sand herumspielte“, erzählte er später. Als Pfadfinder und Soldat
hatte er sich auch mit dem Morsecode beschäftigt. Der basiert auf langen und kurzen Signalen, mit deren Hilfe Zeichen kodiert
werden können. „Wäre es nicht möglich, Abfolgen von dünnen und dicken Linien zu nutzen und so Zahlen zu kodieren?“, fragte er sich. Im Geiste drehte er die waagrechten Striche des Morsecodes in die Senkrechte und interpretierte das Gebilde als Dualzahlen: Ein Strich bedeutete 1, eine Stelle ohne Strich 0.
Zurück in Philadelphia berichtete er seinem alten Studienkollegen Silver von der Idee und dem fielen die Beschwerden des Chefs einer Einzelhandelskette bei ihrem Dekan ein. Der Händler hatte gefragt, warum der Professor nicht einmal etwas erfinden könnte, um das Kassieren zu beschleunigen und die Lagerbestände effizienter zu erfassen und zu verwalten. So begannen Woodland und Silver gemeinsam mit der Entwicklung von zwei Varianten eines Strichcodes. Bei dem einen Muster waren Linien zu
konzentrischen Kreisen gebogen, ein anderer Entwurf bestand aus einem rechteckigen, geraden Linienfeld. Für dieses System aus kurzen und langen Zeichen unterschiedlicher Breite mit verschiedenen Abständen erhielten sie das US-Patent 2.612.994.
Doch bis zum alltäglichen Einsatz an der Kassa war es noch ein langer Weg. Denn Woodland und Silver waren mit ihrer Erfindung der Zeit weit voraus. Schließlich fehlte damals noch die
nötige Technologie zum fehlerfreien, automatischen Auslesen der vier weißen Linien vor dunklem Hintergrund. Es gab noch
keine Laser, deshalb diente zum Lesen ein Oszilloskop mit einer extrem hellen 500-Watt-Lampe – das ganze Gerät war so groß
wie ein Schreibtisch und trotzdem ungenau. Es sollte noch rund zwei Jahrzehnte dauern, bis handliche Scanner die Schrift optoelektronisch abtastbar machten.
Reich wurden die beiden Tüftler mit ihrem „Woodland und Silver Patent“allerdings nicht: 1962 verkauften sie ihre Erfindung
für 15.000 Dollar an das Elektronikunternehmen Philco, das es später an den RCA-Konzern weiterveräußerte. Den Wettbewerb
um die technische Realisierung mit Laserscannern gewann der Computerhersteller IBM. Zum Erfolg wurde der Strichcode unter anderem auch, weil die US-Supermarktkette Walmart 1973 entsprechenden Druck ausübte, um den Code einzuführen.
1974 kam in Amerika das erste mit einem Strichcode versehene Produkt in den Handel: In einer Filiale der Supermarktkette Marsh erfasste die Kassiererin Sharon Buchanan am 26. Juni 1974
in Troy, Ohio, eine Kaugummi-Zehnerpackung Juicy Fruit des Herstellers Wrigley, die mit einem Barcode mit der Bezeichnung UPC (Universal Product Code) versehen war. Die Originalpackung kostete damals 67 Cent und ist heute im National Museum of
American History in Washington ausgestellt. In Österreich war es die Supermarktkette Billa (heute Teil der Rewe Group), die im
Jahr 1979 in Wien zwei Filialen mit Scannern ausrüstete und den sogenannten EAN-Code (European Article Number) nutzte. Das
Piepen ertönt für jeden erfolgten Scan, Schätzungen zufolge ist das Strichcodegeräusch weltweit täglich mindestens zehn Milliarden Mal zu hören.
Der anhaltende Erfolg des Barcodes beruht im Wesentlichen auf drei Merkmalen: Einfachheit, Zuverlässigkeit und günstiges
Kosten-Nutzen-Verhältnis. Aber nicht nur im Einzelhandel sind Barcodes nach wie vor omnipräsent. Auch in der Logistik und in Produktionsprozessen übernehmen sie inzwischen wichtige Funktionen.
Um mehr Daten auf Barcodes unterzubringen, wurden sie Ende der 1980er-Jahre zweidimensional. Damit können auf einem etwa zwei mal zwei Zentimeter großen Rechteck etwa 1800 Zeichen abgelegt werden. Der bekannteste 2D-Typ ist der in Japan entwickelte QR-Code (Quick Response). Das „D“steht übrigens für Dimension, statt Linien kann die Codierung unterschiedliche
geometrische Formen annehmen. Mittlerweile existieren auch 3D-Codes, die durch das Hinzufügen von Farbe oder durch „Tiefeninformationen“– wie bei einem Hologramm – angefertigt werden. Einige Unternehmen lassen die Strichstruktur des Barcodes sogar künstlerisch bearbeiten. 2009 wurde die EAN durch die GTIN (Global Trade Item Number) ersetzt. Jeder Strichcode ist einzigartig wie ein Fingerabdruck und wird weltweit nur ein Mal vergeben. Neben Scannern können heute auch Apps und Smartphone-Kameras den Code lesen.
Wer sich für das Thema Barcode interessiert und selber einmal einen eigenen Strichcode generieren möchte, kann das im Internet kostenlos und unverbindlich mit dem sogenannten BarcodeGenerator ausprobieren. Einfach die eigenen Daten, die kodiert werden sollen, in die entsprechenden Textfelder eingeben und
bestätigen. Der Code wird generiert und dem Internetnutzer umgehend zugeschickt.
Übrigens erlebte Silver den Siegeszug des Strichcodes nicht mehr. Er wurde schon 1963 bei einem Verkehrsunfall getötet.
Woodland, der einst am Strand von Miami auf die Idee mit den Strichen gekommen war, heuerte später bei IBM an und arbeitete dort rund 35 Jahre. Er war maßgeblich an der Weiterentwicklung
beteiligt und starb 2012 im Alter von 91 Jahren an Komplikationen einer Alzheimer-Erkrankung.