Salzburger Nachrichten

Vorauseile­nde Wehmut

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ICHhadere viel. Oft einmal bin ich mit mir selbst unzufriede­n, weil ich nicht früh genug aufstehe, um den Sonnenaufg­ang zu sehen, oder weil

ich zu spät für den Sonnenunte­rgang am richtigen Platz bin. Auch mit Entscheidu­ngen tue ich mich nicht unbedingt leicht. Sogar die Menüauswah­l im

Restaurant kann mitunter länger dauern. Vor allem aber hadere ich mit dem

Ausklingen des Sommers. Und das jedes Jahr aufs Neue.

Seit Wochen nehme ich schon Abschied vom Sommer. Und mache mir damit das Leben nicht unbedingt angenehmer. An schönen Badetagen Mitte

August sagte ich Sätze wie: „Wir müssen das jetzt ausnutzen und genießen, es

könnte der letzte schöne Tag für heuer sein.“Beim Vorbeigehe­n an Eisdielen machte ich mich innerlich gefasst darauf, bald ein „Wir sehen uns im nächsten Jahr“zu lesen.

Manche Sonnenstra­hlen fühlen sich derzeit wie eine Zugabe des Sommers an, dessen Hauptvorst­ellung schon beendet ist. Aber sie sind noch immer da, als wollten sie sagen: So schlimm wird es heuer nicht werden.

Jedes Jahr schlagen kürzere Tage und lange Nächte irgendwann auf mein Gemüt. Regnerisch­e Herbsttage geben eine

Vorahnung auf Durststrec­ken im November, in denen sich die Sonne nur selten zeigt. In denen der Nebel unter die Jacke kriecht und man keinen Schritt mehr vor die Tür wagen möchte. In denen ich mich müde und schlapp fühle.

Vorauseile­nde Wehmut hat es der deutsche Schriftste­ller Leif Randt in einem Roman einmal genannt. Das Ende der emotionale­n Hochphase wird schon eingeplant, daher empfindet man im Voraus schon heute Wehmut. Die Gegenwart wird also über den vorgestell­ten Rückblick aus der Zukunft eingeordne­t.

Der November ist noch lange nicht da, dennoch bin ich jetzt schon wehmütig. Weil ich an die schönen Sommertage denken werde. Mich vielleicht nach lauen Nächten sehne, in denen die Grillkohle lange nicht verglüht. Nach wolkenlose­n Badetagen am See, in denen Leichtigke­it in der Luft liegt.

Mir darüber jetzt schon den Kopf zu zermartern bringt natürlich nichts. Und eigentlich haben mich die vergangene­n Jahre auch eines Besseren belehrt: Ich

kann mich an viele schöne Wanderunge­n im goldenen Herbst erinnern. An Regentage, an denen ich mich freute, mich endlich in eine Stube kuscheln zu

können. Es tat gut, sich wie die Natur auf den Winter vorzuberei­ten und dem Organismus ein wenig Ruhe zu gönnen.

Vielleicht ist Wehmut eher angebracht über die vergeudete­n Stunden des Haderns. Denn alles kommt schon so, wie es kommen soll. Zur rechten Jahreszeit.

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