Ritter, Fels und Rebe
Maury und das Roussillon. Frankreichs Land voll Geschichte und Wein am Fuß der Pyrenäen ist hierzulande noch ein Geheimtipp.
Sie stehen in Reih und Glied und halten ihre runden Bäuche in die Sonne. Und davon gibt es genug, hier, rund um Maury, am Nordrand der Pyrenäen. Lucas Gerber vom Mas Amiel blickt fast ein wenig zärtlich auf die 800 dicken „Bombonnes“, hier „Dame Jeanne“genannt. Ein ganzes Jahr lang stehen diese Glasballons, gefüllt mit Wein, unter freiem Himmel direkt neben dem Weingut. „Wir produzieren nicht jedes Jahr Süßwein. Trockener Wein ist eben mehr in Mode.“Gerber seufzt. Erst die Anti-Alkohol-Kampagne der französischen Regierung, dann der Trend zu herben
Weinen. Doch man hat sich angepasst. Seit 2011 ist auch der Maury sec – komplexe Rotweine – ein AOP-Wein, also eine Appellation mit geschützter Herkunft. Und so
werden die Trauben der 150 Hektar des Weinguts heute zur Hälfte trocken, zur Hälfte süß ausgebaut.
Touristisch liegt Maury, wie die umliegenden Dörfer Estagel oder Saint-Paul-de-Fenouillet,
noch ein wenig im Schlummer, obwohl die spektakuläre Katharerburg Château de Quéribus hoch über dem Tal zum Greifen nah scheint. Auch das Mittelmeer und die franko-katalanische Stadt Perpignan sind gleich nebenan, die Pyrenäen sowieso. Dazwischen Wein, Wein, Wein. Und viel Geschichte.
Die beginnt in der Region mit dem „Menschen von Tautavel“. Die Höhle
von Aragon, direkt neben dem kleinen, hübschen Dorf Tautavel, zählt zu den ersten Besiedlungen in Europa. Hier
wurde 1964 von Henry de Lumley und seinem Team begonnen zu graben, 1971 dann die Sensation: ein Schädel, der nach heutigen Datierungen rund 450.000 Jahre alt ist. Der „Homme de Tautavel“ist damit älter als der Homo sapiens. Und er
bearbeitete bereits den Feuerstein. „Ohne den Feuerstein hätten wir heute keine Technik“, ist Clément Ménard überzeugt. Mit dem Werdegang des Menschen
kennt sich der Direktor des Musée de Préhistoire aus – er betreute bis vor einem Jahr die 3,2 Millionen Jahre alte „Lucy“, die „Großmutter der Menschheit“, im Äthiopischen Nationalmuseum in Addis Abeba.
Und der Einblick in längst vergangene Epochen geht noch weiter. „Die Ausgrabungsstätte zeigt auch die enorme Vielfalt und Biodiversität hier im Tal.“So habe es etwa im Tal von Maury große Rentierherden gegeben, aber auch Nashörner und Moschusochsen.
Trotz seiner 88 Jahre ist der international ausgezeichnete Archäologe Henry de Lumley immer noch in seinem Büro im Museum von Tautavel anzutreffen, an das ein europäisches Forschungszentrum für Prähistorie angeschlossen ist. Die riesige Sammlung an Fundstücken
und Artefakten ist recht anschaulich, aber etwas altmodisch aufbereitet. Ein Neubau ist geplant, er soll das
größte Museum dieser Art werden. Bis es so weit ist, lässt sich’s ganz gut durch den kleinen Ort flanieren, vorbei an den sandsteinfarbenen Fassaden und am verschlafenen Café bis zur Kirche.
Und mit ein bisschen Glück gibt dort der Pfarrer gerade ein Cellokonzert.
Wer von Tautavel zurück nach Maury fährt, erblickt zur Rechten hoch oben auf dem Felsen eine imposante Burg, oder besser Ruine. Denn mehr ist nicht geblieben. Das Château de Quéribus ist auch Zeuge einer längst vergangenen Epoche, die jedoch prägend war für die Region. In dieser 1020 erstmals erwähnten Bastion verschanzten sich im 13. Jahrhundert die Katharer vor den Angriffen der von Papst Innozenz III. beauftragten Ritterschaften. Denn diese sagenumwobenen Anhänger einer radikalen Strömung des mittelalterlichen Christentums wurden unter dem Vorwand des Ketzertums in einem wahren Kreuzzug verfolgt und schließlich auch vernichtet. Ihre Trutzburgen oder das, was von ihnen übrig blieb, stehen bis heute. Besonders Quéribus ist ein sehenswertes Exemplar des Festungsbaus, mit Wohnturm, Renaissance-Fenstern mit Ausblick zu den Pyrenäengipfeln und einem wunderschönen Pfeilersaal.
Und auch wer im Tal von Maury bleibt und sich nur auf die aromatischen Erzeugnisse aus den
Weinbergen rundherum konzentriert, kommt nicht an der Historie vorbei. Seit dem 13. Jahrhundert wurde in der Region nachweislich Weinbau
betrieben. Der Süßwein von Maury, der zu den „Vins Doux Naturels“zählt,
blickt auf eine lange Laufbahn zurück. „Mutage“heißt das Zauberwort. Dieses Stoppen des Gärprozesses im Wein bei etwa 100 Gramm Zucker pro Liter durch Zufügen von hochprozentigem Weingeist lässt den Wein „verstummen“, die Hefen arbeiten nicht mehr, das
Blubbern hört auf. Das französische „muet“wie auch das katalanische „mut“bedeuten „stumm“. Arnaldus de
Villanova, Leibarzt der Könige von Aragon, brachte die maurische Kunst der Destillation und die dazugehörige Apparatur von Andalusien nach Südfrankreich. Er soll erstmals ein solches „Aqua Vita“den kräftigen Weinen hinzugefügt haben. Das Ergebnis dieser alten Technik sind sehr haltbare und vor allem transportable Weine mit hohem Zuckergehalt. Früher hoch geschätzt und begehrt, sind die Süßweine, vielleicht mit Ausnahme des portugiesischen Portweins, heute ein wenig aus der Mode gekommen.
„Jedem gefällt’s, keiner kauft’s.“Bernard Rouby seufzt und grinst ein wenig schief. Der Stoßseufzer scheint ein
wenig übertrieben, denn die Cave Coopérative, deren Chef Rouby lange Zeit war, ist gut frequentiert. Viele Menschen sieht man an der Kassa mit den typischen,
breitbauchigen Flaschen stehen. Aber viele interessieren sich auch für die trocken ausgebauten Maury-Weine. Früher als „Côte du Roussillon Village“vertrieben, dürfen sie jetzt, sofern sie aus den Weinbauorten St.Paul-de-Fénouillet, Maury, Tautavel und Rasiguères
kommen, den Namen Maury sec AOP tragen, die dominante Traube in diesen Cuvées ist Grenache.
Das Tal von Maury eignet sich bestens als Ausgangsbasis für Streifzüge ins Umland. Zu Weingütern wie dem Château de Jau, das mittags Barbecue-Menüs anbietet, oder auch das Château de Caladroy hoch auf seinem Hügel, wo die Dame des Hauses interessierten Besuchern die Kapelle aus dem 12. Jahrhundert zeigt – und den Verkostungsraum gleich daneben.
Nur wenige Kilometer weiter – die Aussicht wird mit jeder Kurve spannender – ist Bélesta erreicht. Dort lassen sich sogar österreichische Spuren entdecken: Der
Architekt Luc Richard hat mit seiner Frau Karin Pühringer und seinem Schulfreund und Winzer Jean-Michel Maillol die alte Cave Coopérative des Ortes zu einem stimmigen Ensemble von Weingut, Restaurant und Öko-Hotel umgestaltet – Riberach. Touren und Wanderungen führen vom Hotel in die umliegenden Weinberge. Nur wenige Schritte vom Haus liegt ein besonderes Schmuckstück. Jonathan Pacevicius, der für Riberach die Touren begleitet, beugt sich zum knorrigen Rebstock in dem kleinen, alten Weingarten. „Jean-Michels Großvater hat kleine Löcher in den Fels gesprengt und die Reben eingesetzt.“Nicht reinsortig, sondern als gemischter Satz, sehr selten in Frankreich, aber verbreitet in Österreich. Wie ein Gruß aus der Heimat unter Weinfreunden.