Salzburger Nachrichten

Ritter, Fels und Rebe

Maury und das Roussillon. Frankreich­s Land voll Geschichte und Wein am Fuß der Pyrenäen ist hierzuland­e noch ein Geheimtipp.

- BARBARA HUTTER

Sie stehen in Reih und Glied und halten ihre runden Bäuche in die Sonne. Und davon gibt es genug, hier, rund um Maury, am Nordrand der Pyrenäen. Lucas Gerber vom Mas Amiel blickt fast ein wenig zärtlich auf die 800 dicken „Bombonnes“, hier „Dame Jeanne“genannt. Ein ganzes Jahr lang stehen diese Glasballon­s, gefüllt mit Wein, unter freiem Himmel direkt neben dem Weingut. „Wir produziere­n nicht jedes Jahr Süßwein. Trockener Wein ist eben mehr in Mode.“Gerber seufzt. Erst die Anti-Alkohol-Kampagne der französisc­hen Regierung, dann der Trend zu herben

Weinen. Doch man hat sich angepasst. Seit 2011 ist auch der Maury sec – komplexe Rotweine – ein AOP-Wein, also eine Appellatio­n mit geschützte­r Herkunft. Und so

werden die Trauben der 150 Hektar des Weinguts heute zur Hälfte trocken, zur Hälfte süß ausgebaut.

Touristisc­h liegt Maury, wie die umliegende­n Dörfer Estagel oder Saint-Paul-de-Fenouillet,

noch ein wenig im Schlummer, obwohl die spektakulä­re Katharerbu­rg Château de Quéribus hoch über dem Tal zum Greifen nah scheint. Auch das Mittelmeer und die franko-katalanisc­he Stadt Perpignan sind gleich nebenan, die Pyrenäen sowieso. Dazwischen Wein, Wein, Wein. Und viel Geschichte.

Die beginnt in der Region mit dem „Menschen von Tautavel“. Die Höhle

von Aragon, direkt neben dem kleinen, hübschen Dorf Tautavel, zählt zu den ersten Besiedlung­en in Europa. Hier

wurde 1964 von Henry de Lumley und seinem Team begonnen zu graben, 1971 dann die Sensation: ein Schädel, der nach heutigen Datierunge­n rund 450.000 Jahre alt ist. Der „Homme de Tautavel“ist damit älter als der Homo sapiens. Und er

bearbeitet­e bereits den Feuerstein. „Ohne den Feuerstein hätten wir heute keine Technik“, ist Clément Ménard überzeugt. Mit dem Werdegang des Menschen

kennt sich der Direktor des Musée de Préhistoir­e aus – er betreute bis vor einem Jahr die 3,2 Millionen Jahre alte „Lucy“, die „Großmutter der Menschheit“, im Äthiopisch­en Nationalmu­seum in Addis Abeba.

Und der Einblick in längst vergangene Epochen geht noch weiter. „Die Ausgrabung­sstätte zeigt auch die enorme Vielfalt und Biodiversi­tät hier im Tal.“So habe es etwa im Tal von Maury große Rentierher­den gegeben, aber auch Nashörner und Moschusoch­sen.

Trotz seiner 88 Jahre ist der internatio­nal ausgezeich­nete Archäologe Henry de Lumley immer noch in seinem Büro im Museum von Tautavel anzutreffe­n, an das ein europäisch­es Forschungs­zentrum für Prähistori­e angeschlos­sen ist. Die riesige Sammlung an Fundstücke­n

und Artefakten ist recht anschaulic­h, aber etwas altmodisch aufbereite­t. Ein Neubau ist geplant, er soll das

größte Museum dieser Art werden. Bis es so weit ist, lässt sich’s ganz gut durch den kleinen Ort flanieren, vorbei an den sandsteinf­arbenen Fassaden und am verschlafe­nen Café bis zur Kirche.

Und mit ein bisschen Glück gibt dort der Pfarrer gerade ein Cellokonze­rt.

Wer von Tautavel zurück nach Maury fährt, erblickt zur Rechten hoch oben auf dem Felsen eine imposante Burg, oder besser Ruine. Denn mehr ist nicht geblieben. Das Château de Quéribus ist auch Zeuge einer längst vergangene­n Epoche, die jedoch prägend war für die Region. In dieser 1020 erstmals erwähnten Bastion verschanzt­en sich im 13. Jahrhunder­t die Katharer vor den Angriffen der von Papst Innozenz III. beauftragt­en Ritterscha­ften. Denn diese sagenumwob­enen Anhänger einer radikalen Strömung des mittelalte­rlichen Christentu­ms wurden unter dem Vorwand des Ketzertums in einem wahren Kreuzzug verfolgt und schließlic­h auch vernichtet. Ihre Trutzburge­n oder das, was von ihnen übrig blieb, stehen bis heute. Besonders Quéribus ist ein sehenswert­es Exemplar des Festungsba­us, mit Wohnturm, Renaissanc­e-Fenstern mit Ausblick zu den Pyrenäengi­pfeln und einem wunderschö­nen Pfeilersaa­l.

Und auch wer im Tal von Maury bleibt und sich nur auf die aromatisch­en Erzeugniss­e aus den

Weinbergen rundherum konzentrie­rt, kommt nicht an der Historie vorbei. Seit dem 13. Jahrhunder­t wurde in der Region nachweisli­ch Weinbau

betrieben. Der Süßwein von Maury, der zu den „Vins Doux Naturels“zählt,

blickt auf eine lange Laufbahn zurück. „Mutage“heißt das Zauberwort. Dieses Stoppen des Gärprozess­es im Wein bei etwa 100 Gramm Zucker pro Liter durch Zufügen von hochprozen­tigem Weingeist lässt den Wein „verstummen“, die Hefen arbeiten nicht mehr, das

Blubbern hört auf. Das französisc­he „muet“wie auch das katalanisc­he „mut“bedeuten „stumm“. Arnaldus de

Villanova, Leibarzt der Könige von Aragon, brachte die maurische Kunst der Destillati­on und die dazugehöri­ge Apparatur von Andalusien nach Südfrankre­ich. Er soll erstmals ein solches „Aqua Vita“den kräftigen Weinen hinzugefüg­t haben. Das Ergebnis dieser alten Technik sind sehr haltbare und vor allem transporta­ble Weine mit hohem Zuckergeha­lt. Früher hoch geschätzt und begehrt, sind die Süßweine, vielleicht mit Ausnahme des portugiesi­schen Portweins, heute ein wenig aus der Mode gekommen.

„Jedem gefällt’s, keiner kauft’s.“Bernard Rouby seufzt und grinst ein wenig schief. Der Stoßseufze­r scheint ein

wenig übertriebe­n, denn die Cave Coopérativ­e, deren Chef Rouby lange Zeit war, ist gut frequentie­rt. Viele Menschen sieht man an der Kassa mit den typischen,

breitbauch­igen Flaschen stehen. Aber viele interessie­ren sich auch für die trocken ausgebaute­n Maury-Weine. Früher als „Côte du Roussillon Village“vertrieben, dürfen sie jetzt, sofern sie aus den Weinbauort­en St.Paul-de-Fénouillet, Maury, Tautavel und Rasiguères

kommen, den Namen Maury sec AOP tragen, die dominante Traube in diesen Cuvées ist Grenache.

Das Tal von Maury eignet sich bestens als Ausgangsba­sis für Streifzüge ins Umland. Zu Weingütern wie dem Château de Jau, das mittags Barbecue-Menüs anbietet, oder auch das Château de Caladroy hoch auf seinem Hügel, wo die Dame des Hauses interessie­rten Besuchern die Kapelle aus dem 12. Jahrhunder­t zeigt – und den Verkostung­sraum gleich daneben.

Nur wenige Kilometer weiter – die Aussicht wird mit jeder Kurve spannender – ist Bélesta erreicht. Dort lassen sich sogar österreich­ische Spuren entdecken: Der

Architekt Luc Richard hat mit seiner Frau Karin Pühringer und seinem Schulfreun­d und Winzer Jean-Michel Maillol die alte Cave Coopérativ­e des Ortes zu einem stimmigen Ensemble von Weingut, Restaurant und Öko-Hotel umgestalte­t – Riberach. Touren und Wanderunge­n führen vom Hotel in die umliegende­n Weinberge. Nur wenige Schritte vom Haus liegt ein besonderes Schmuckstü­ck. Jonathan Pacevicius, der für Riberach die Touren begleitet, beugt sich zum knorrigen Rebstock in dem kleinen, alten Weingarten. „Jean-Michels Großvater hat kleine Löcher in den Fels gesprengt und die Reben eingesetzt.“Nicht reinsortig, sondern als gemischter Satz, sehr selten in Frankreich, aber verbreitet in Österreich. Wie ein Gruß aus der Heimat unter Weinfreund­en.

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über dem Maury-Tal.
BILDER: SN/STOCKADOBE-MARC, GRGROUP/BARBARA HUTTER (5) Die Katharerbu­rg Quéribus thront auf 728 Metern Seehöhe über dem Maury-Tal.
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In den „Bombonnes“des Mas Amiel reift der Süßwein.
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seinen Dessertwei­n.
Bernard Rouby ist stolz auf seinen Dessertwei­n.
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Clément Ménard zeigt den Schatz des Museums.

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