Fernblick mit Heidekraut
Lüneburger Heide. Die Kulturlandschaft in Niedersachsen ist ein Wandergebiet, das auch ganz ohne Gipfel atemberaubende Seiten zeigt.
Der höchste Punkt der Wanderung ist erreicht. Der versprochene Fernblick macht seinem Namen alle Ehre und reicht bei klarem Wetter sogar bis Hamburg, heißt es. Doch wozu? Liegen doch viele Kilometer leicht welliges Gebiet aus Wäldern und Heideflächen vor den Wanderern, bedeckt von Besenheide – Calluna vulgaris für die Botaniker unter uns – und Glockenheide, Erica tetralix, hellgrünen Gräsern und dunkelgrünen Heidelbeerbüschen, Wacholder und
Vogelbeer, Stechpalmen, Birken, Kiefern und uralten, knorrigen Eichen. Das auch im Herbst noch vereinzelt blühende Heidekraut verleiht der Landschaft einen lila Schimmer, Sonne und Wolken sorgen für unterschiedlichste Farbschattierungen.
Zugegeben, der Wilseder Berg ist nur 169 Meter hoch. Doch immerhin ist er die
höchste Erhebung der norddeutschen Tiefebene und liegt auf der Route des Heidschnuckenwegs, also auf einem Weitwanderweg, der 223 Kilometer von Hamburg bis Celle und eben auch durch das Gebiet der
Lüneburger Heide führt. Er gilt als einer der schönsten Wanderwege Deutschlands. Die
Lüneburger Heide im Bundesland Niedersachsen bedeckt eine Fläche von über 107.000 Hektar, mit eingeschlossen sind die zwei Naturparks „Lüneburger Heide“und „Südheide“mit integrierten Naturschutzgebieten, den ältesten Deutschlands. Zwölf Rundwege – „Heideschleifen“– machen das Gebiet zum Wandern, Radfahren, Reiten oder Kutschenfahren für alle erlebbar, eine familientaugliche
Angelegenheit. „Wandern bei uns ist anders als bei euch“, wird das
Wandergrüppchen aus
Österreich im Vorfeld „gewarnt“. Es gebe keine Berge
und Burgen wie daheim. Doch die Landschaft ist großartig genug.
Benannt ist der Heidschnuckenweg
nach den Schafen, die für die Pflege der Heide eingesetzt werden und täglich zehn
bis zwölf Kilometer – kauend – zurücklegen. „Die Heide ist eine Kulturlandschaft“, erklärt Jan Brockmann, Biologe und Heide-Ranger. „Wenn wir die Natur sich selbst überlassen,
ist die Heide bald weg.“Wohl ein wenig wie die österreichischen Almen. Der frühere Wald, der zugunsten der Landwirtschaft und der Besiedelung einst gerodet worden war, würde sich sein Terrain zurückerobern. Die Schnucken fressen Heidekraut und auch Heidelbeersträucher ab, was den Pflanzen auf dem sandigen, nährstoffarmen Boden Luft und Licht verschafft. Die Bauern wiederum „plaggen“den Boden: Sie
tragen die obersten Humusschichten ab, als Einstreu in den Schafställen, und verwenden ihn danach als Dung für die Felder. „Diese Arbeit ist die Grundlage für den Boden, für das Wachstum – und auch für die Schafe“, so Brockmann.
Zum Wandern ist die Heide das ganze Jahr über bestens geeignet. Dennoch kommen viele Besucher wegen der Heideblüte: „Die dauert
offiziell von 8. 8. bis
9. 9.“, so der Biologe.
Aber die Natur hält sich nicht immer an den Kalender: „In diesem Jahr
war es extrem trocken, es gab weniger Blüten. Jetzt hat es viel geregnet, manche Pflanzen haben noch spät zu blühen begonnen. Die genetische
Vielfalt hilft hier.“
Start der Wandertour ist beim Erlebniszentrum in
Undeloh, nach dem Wald öffnet sich bald der Blick auf die Weite der Heide. Und Fotomotive gibt’s am laufenden Band. Ob auf dem Wilseder Berg, entlang des Kamms des legendenumrankten „Totengrunds“– hier
sollen sich Riesen geprügelt haben – oder an jungsteinzeitlichen Grabhügeln.
Zeit zum Einkehren. Das Dorfmuseum in Wilsede
tischt in der „Milchhalle“Bratwurst von der Heidschnucke mit Kartoffelsalat auf, auch Kuchen vom Buchweizen, der hier neben Heidekartoffeln angebaut wird. Regional und saisonal
ist ohnehin angesagt. Auch die drei jungen Betreiber des Stimbekhofs in Bispingen setzen auf Ruhe und Regionalität – eine Auszeit vor den Toren der Städte. Der Aperitif, ein „Heide-Spritz“aus rotem Wermut, Erika-Essenz und Winzersekt oder ein HeideGin, rundet das Angebot ab.
Lüneburg selbst, einst Salz- und Hansestadt und Namensgeberin der Heide, ist immer einen Aufenthalt wert. Die Aussichtsplattform des Wasserturms, der bis 1985 die Einwohner mit Trinkwasser versorgte,
bringt einen guten Überblick über die schöne Stadt mit den Kirchen, den oft 600 Jahre alten Backsteinhäusern mit Treppengiebeln, dem prunkvollen Rathausturm mit Glockenspiel.
Das Lüneburger Salz wurde direkt in den Minen unter der Stadt abgebaut. Im Mittelalter wurden 30.000 Tonnen Salz im Jahr abgebaut. Das machte die Stadt so reich,
dass sie nicht mehr wusste, wohin mit dem Geld. Doch der Abbau brachte auch Absenkungen, und manche Wohnhäuser und Kirchen neigen sich leicht. Weiteres Postkartenmotiv und gutes Etappenziel mit Belohnung: der Alte Hafen. Denn das Viertel am Fluss Illmenau mit dem historischen Hafenkran und den Ewern, den hölzernen Flachbodenbooten, ist ein beliebtes Ausgehviertel.