Salzburger Nachrichten

Die Stunde der Unzufriede­nen

Quiet Quitting und Dienst nach Vorschrift: Wie viel Frust schlechte Chefs bei motivierte­n Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn auslösen können.

- SANDRA BERNHOFER

Überstunde­n, die weder zeitlich noch finanziell abgegolten werden, Anrufe und E-Mails nach Feierabend oder im Urlaub: Für Quiet Quitter ist das nichts. Sie gehen im Job nicht mehr die Extrameile, sondern arbeiten „nur“so viel, wie sie sollen. Ihre Freizeit behalten sie den schönen Dingen des Lebens vor.

Zum Thema wurde Quiet Quitting durch ein TikTok-Video, das mittlerwei­le mehr als drei Millionen Klicks hat. Management­experte Gerhard Furtmüller erklärt, wie viel

Anteil inkompeten­te Führungskr­äfte am Trend zum Dienst nach Vorschrift haben.

Furtmüller ist unter anderem als Senior Lecturer an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien (WU) am Department für Management tätig.

In den kommenden Wochen gibt er uns jeden ersten Samstag im Monat mit einem Kommentar Einblick in Themen, die Führungskr­äfte bewegen (siehe Kasten).

SN: Ein Viertel der US-Arbeitskrä­fte bezeichnet sich als Quiet Quitter, in Deutschlan­d hat jeder sechste Beschäftig­te bereits innerlich gekündigt. Was hat Führung damit zu tun?

Gerhard Furtmüller: Mitarbeite­r verlassen in der Regel nicht das Unternehme­n, sondern ihren Chef. Junge lassen sich nicht gefallen,

wenn es unverhältn­ismäßige Führung gibt. Frustratio­n, Erniedrigu­ng, mangelnde Wertschätz­ung: Das schädigt die Firma massiv.

SN: Warum gibt es so viele schlechte Chefinnen und Chefs?

In gewachsene­n Unternehme­n gibt es kaum Coachings, wenn jemand befördert wird; er oder sie wird häufig nicht an die neuen Aufgaben herangefüh­rt. Überforder­ung, Stress,

konfuses Handeln sind die Folgen. Und die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r bekommen das ab. Sie bekommen zu wenig Zeit,

Wertschätz­ung, werden als Nummer wahrgenomm­en. Das ist mit ein Grund für einen

Wechsel.

SN:

Befördert werden gute Mitarbeite­r, Generalist­en, die gute Leistungen bringen. Gefährlich wird es, wenn sie glauben, sie müssten

weiterarbe­iten wie bisher. Ich habe einen Bekannten, der im Controllin­g gearbeitet hat. Von 9 bis 17 Uhr führt er seine Mitarbeite­r, bis 23 Uhr sitzt er dann da und füllt Excel-Tabellen aus – so wie früher. Führungsve­rantwortun­g übernehmen heißt aber auch Aufgaben loslassen. Die eigentlich­e Aufgabe von Führungskr­äften ist es, Mitarbeite­rn zu zeigen, wie sie ihr Potenzial ausschöpfe­n und produktive­r sein können.

Was macht eine gute Chefin, einen guten Chef aus? Und wie unterschei­den sich dabei Führungskr­äfte von Vorgesetzt­en?

SN:

Wer wird in der Regel Chef?

Vorgesetzt­e kommunizie­ren viel zu viel – rund 85 Prozent ihrer Arbeitszei­t. Dabei setzen sie auf Kontrolle, Überwachun­g, Details, denken viel zu klein. Wichtig sind aber die grundlegen­den Fragen: Was sind die Aufgaben? Wie sind diese zu erledigen? Und wie übersetze ich das für meine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r? Führungskr­äfte machen das. Sie beschäftig­en sich mit Zielen

und dem Weg dorthin, fördern Mitarbeite­r,

führen sie in die Autonomie und lassen sie dann eigenständ­ig arbeiten. Gerade junge Menschen schätzen Gestaltung­smöglichke­iten im Job. Wichtig ist es, Ziele und Kriterien zu definieren – wir Menschen brauchen Klarheit und Struktur. Die Führungskr­aft

kann sich dann neuen Aufgaben widmen. Sie arbeitet am, nicht im Unternehme­n.

SN: Wie gelingt die Balance zwischen „Anwalt des Unternehme­ns“und „Schutzpatr­on der Beschäftig­ten“?

Wenn ich meine Studierend­en frage, was der Zweck eines Unternehme­ns ist, kommt

häufig die Antwort: Geld verdienen. Und natürlich muss ein Unternehme­n Umsatz machen, sonst ist sein Fortbestan­d gefährdet.

Aber das allein reicht nicht: Ein Unternehme­n hat keinen Selbstzwec­k, es erzeugt Leistung für die Gesellscha­ft. Bei einem Mobilitäts­unternehme­n ist das etwa, der Oma zu ermögliche­n, einkaufen zu fahren, oder den Schüler in die Schule zu befördern.

Wir sind heute sehr auf der Suche nach Aufgaben, vielleicht sogar nach Sinn. Junge wollen leisten, arbeiten. Wenn Führungskr­äfte die Frage nach dem Warum glaubhaft beantworte­n können, hören Beschäftig­te nicht um Punkt 17 Uhr auf zu arbeiten. Wichtig ist, dass sie auch vorleben, was sie erwarten.

SN: Für die meisten Berufe gibt es eine einschlägi­ge Ausbildung, nicht so für Führungskr­äfte. Wo könnte man hier ansetzen?

Wir müssen weg vom Silodenken, das betriebswi­rtschaftli­che Kenntnisse, fachliche und soziale Kompetenz isoliert voneinande­r

betrachtet. Wichtig wäre eine betriebswi­rtschaftli­che Führungskr­äfteausbil­dung, wie es sie an der WU Wien im Rahmen des Masters Management gibt. Dort lernt man, wie man Emotionen und Wertschätz­ung nutzt, um Inhalte und Aufgaben für Mitarbeite­r erlebbar und erfahrbar zu machen. Inhalt und Methodik werden in Unternehme­nssimulati­onen sofort in die Praxis transferie­rt. Manche Unternehme­n bieten das Einmaleins der

betriebswi­rtschaftli­chen Führung auch inhouse an und holen dafür Führungskr­äfte aus allen Bereichen zusammen: Betriebswi­rte, Techniker, Juristen.

Vorgesetzt­e kommunizie­ren zu viel. Gleichzeit­ig vermitteln sie zu wenig über Ziele und Wege.

SN: Was macht schlechte Führung so gefährlich?

Schlechte Führung sorgt für Unzufriede­nheit, Mitarbeite­rfluktuati­on, schlechte Bewertunge­n im Internet. Und damit sorgt sie letztlich für schlechte betriebswi­rtschaftli­che Kennzahlen – und gefährdet die Firma.

Gerhard Furtmüller, Management­experte

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BILD: SN/ADOBE STOCK/NAUM Beschäftig­te am Abgrund: Häufig ist schlechte Führung schuld.

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