„Es geht eben doch etwas“
Johannes Wiesflecker erhielt den Salzburger Architekturpreis. Im Interview skizziert er seine Herangehensweise und Ziele für qualitativ hochwertige Architektur.
Für die Generalsanierung des Franziskanerklosters
mitten in der Stadt Salzburg gab es im September den Salzburger Landesarchitekturpreis 2022. Ein Beweis für den Preisträger und Architekten Johannes Wiesflecker aus Tirol, dass zeitgenössisches Bauen mitten im
geschätzten UNESCO-Weltkulturerbe Salzburg doch möglich ist.
SN:
Welche Bedeutung hat es, dass der Landespreis von einer Architektenjury vergeben wird?
Johannes Wiesflecker: Für mich eine sehr hohe, weil das eine klare Rückmeldung der Fachöffentlichkeit ist. Ich hatte bei der Verleihung eine Träne in den Augen, weil die Jury in ihrer Laudatio so präzise erkannt hat, dass es mir beim Sanieren nicht um das Erkennbarmachen eines Spannungsfelds zwischen Alt und Neu geht, sondern um eine
Weiterentwicklung und Vertiefung des Bestehenden.
SN: Hilft diese Auszeichnung, Salzburg baukulturell lebendig zu halten?
Jede Vergabe eines Architekturpreises ist immer Öffentlichkeitsarbeit für qualitätsvolle
Architektur. Eine zweite Message ist, dass wir es uns heute ressourcenmäßig nicht mehr leisten können, einfach abzureißen
und neu zu bauen. Deshalb ging wohl auch der zweite Preis an den architektonisch
hochwertigen Weiterbau einer Schule aus den 1960er-Jahren. Und eine dritte Botschaft an die Öffentlichkeit ist die, dass es doch nicht unmöglich ist, in der Salzburger
Altstadt zeitgenössisch zu bauen. Salzburger Kollegen fragten mich ja, ob ich wahnsinnig
bin, mir das anzutun. Aber es geht eben doch etwas.
War es schwierig, Ihre Vision mitten im Weltkulturerbe umzusetzen?
SN:
Es war eine Herausforderung. Ich bin natürlich dafür, dass diese herrliche Altstadt geschützt bleibt. Aber wenn es Teile nicht
mehr gibt oder neue Teile dazugefügt werden müssen, dann logischerweise aus dem 21. Jahrhundert. Das ist überhaupt keine Frage und ein architekturtheoretisch korrekter und anerkannter Ansatz. Es nützt uns
nichts, wenn wir Denkmäler haben, die nur touristisch und museal genutzt werden. Das ist ja keine Weiterentwicklung. Mein Ansatz ist, dass alle diese Objekte mit Leben gefüllt ins 21. Jahrhundert gehen sollten.
SN: Was wünschen Sie sich als Architekt von der Politik?
Im konkreten Fall: dass man das Altstadterhaltungsgesetz mit einer Zukunftskomponente versieht. Das ist ein eindeutig politisches Thema. Im adäquaten Gesetz in Tirol (Tiroler Stadt- und Ortsbildschutzgesetz, Anm.) steht neben der Bewahrung auch die Weiterentwicklung drinnen. Dieser Passus fehlt in Salzburg. Das gibt der Entwicklung zu wenig Raum und macht es für die Kommissionen nicht einfach, mit neuer Architektur umzugehen. Und zweitens sollte im Städtebau und in der Architektur die Fachlichkeit Vorrang vor der politischen Entscheidung haben. Es geht um Architekturund Städtebauqualität und nicht um die Schlagzeile in der Zeitung von morgen. Angesichts der Kurzfristigkeit von vier, fünf oder sechs Jahren ist die Politik natürlich immer ein wenig anfällig. Wir Architekten haben im Gegensatz dazu einen Zeithorizont von 50 oder sogar 100 Jahren und mehr.
SN: Wie wichtig sind Kompromissfähigkeit und Hartnäckigkeit bei Ihren öffentlichen Projekten?
Wir haben einen extrem öffentlichen Beruf. Unsere Dinge stehen herum, wir werden öffentlich bewertet. Das ist nicht wie bei einem Maler, dessen Bild man weghängen
kann. Wir haben aber denselben künstlerischen Anspruch. Das heißt, wenn man
wirklich gute Sachen macht, gibt es keine allgemeine positive Meinung. Man hat immer starke Befürworter und starke Gegner. Ich wäre sofort skeptisch, wenn wir für
unsere Arbeit nur Applaus bekommen würden.
SN: Ist das Kloster jetzt so, wie Sie es konzipiert haben, oder fehlt noch etwas?
Zu 95 Prozent. Wir sind schon einen sehr
weiten Weg gemeinsam sehr gut gegangen (acht Jahre Projektierung und Bauzeit,
Anm.). Und ich würde es total schön finden, wenn wir die letzten fünf Prozent auch noch in dieser Konsequenz und Qualität hinbringen. Im Wesentlichen geht es um das Tor zur Franziskanergasse, das eine gewisse Transparenz und zeitgenössische Materialität haben sollte, damit Passanten sehen, dass es dahinter eine Weiterentwicklung
gibt. Auch der Garten im Eingangsbereich sollte konsequent und ohne persönliche Befindlichkeiten fertiggestellt werden. Das
würde das gesamte Konzept noch schlüssiger machen. Wir jammern da zwar auf sehr
hohem Niveau. Das wäre aber ein kleiner schöner Traum von mir.
SN: Sie bauen immer sehr klar, geradlinig und schlicht. Spielt der Bauherr keine Rolle?
Der Auftraggeber spielt eine große Rolle. Ich schätze Auftraggeber, mit denen ich mich auseinandersetzen muss. Das bringt mich aber nicht von meinem Weg ab. Ich mache
eine sehr konzeptionelle, reduzierte Architektur.
Das heißt, meine Arbeiten entstehen immer über das Konzept und nicht übers Probieren.
SN: Was ist das Anliegen Ihrer Architektur?
Gute Räume zu machen. Wenn ich diese Frage gestellt bekomme, sind manche enttäuscht, dass ich nicht von der perfekten Fassade träume. Aber es geht wirklich um Räume, um öffentliche oder innen liegende Räume. Wenn die klar und gut positioniert sind, entsteht die Superfassade fast von selbst. Im Kern geht es immer um den gut
proportionierten Raum.
SN: Was ist Ihnen grundsätzlich lieber: neu bauen oder sanieren?
Spontan würde ich sagen: Eine komplexe Situation für einen Neubau ist super. Sanieren ist genau gleichwertig. Die Banalität von einem ebenen, freien Grundstück ist eigentlich das Uninteressanteste.