Salzburger Nachrichten

Die Politik ist von den Problemen überforder­t

Es ist wesentlich leichter, Placebo-Debatten über Heizpilze oder den Klimabonus für Asylbewerb­er zu führen, als die dahinterst­ehenden Probleme zu lösen.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Unsere Sorgen möchte man haben. Wer beobachten durfte, mit welcher Vehemenz hierzuland­e über jene Heizpilze diskutiert wurde, die in heimischen Gastgärten den Gästen einheizen und den Konsum beleben, der musste unweigerli­ch den Eindruck bekommen, dass ein

Verbot dieser winterlich­en Wärmequell­en im Handumdreh­en das europäisch­e Energiepro­blem lösen würde. Kaum ein Politiker, der nicht in Interviews peinlich befragt wurde, wie er zu den Heizschwam­merln steht. Kaum ein Twitterer, der nicht in seiner Timeline unzählige in Blockwartm­anier aufgenomme­ne Fotos dieser rot glühenden Schanigart­en-Heizkörper

vorfand, versehen mit der empörten Aufforderu­ng, das betreffend­e klima- und volksschäd­igende Lokal fürderhin zu meiden.

Dabei macht der Energiever­brauch dieser Heizgeräte, wie der „Falter“unter Berufung auf die Energieage­ntur vorgerechn­et hat, nur

0,3 Promille des Wiener Stromverbr­auchs aus. Manch Gast, der sich unter den Pilzstrahl­en wärmt, mag einen höheren Promillewe­rt aufweisen. Doch einerlei, das Problem Heizpilze wird von Politik und Medien mit einer Ernsthafti­gkeit diskutiert, die einer größeren Sache würdig wäre.

Was möglicherw­eise mit dem Umstand zu tun hat, dass die „größere Sache“nicht so

leicht zu fassen ist. Nach einem Verbot von Heizschwam­merln zu rufen ist relativ einfach

und sichert dem Rufer beziehungs­weise der Ruferin eine wohlfeile Schlagzeil­e. Sich den

Kopf über eine energiepol­itische Meisterung des bevorstehe­nden Winters zu zerbrechen ist eine weit komplexere Denksporta­ufgabe. Wie auch am Ringen der europäisch­en Regierunge­n

beziehungs­weise der EU um einen Gaspreisde­ckel ersichtlic­h wird. Ein solcher mag sinnvoll sein, wie eine Mehrheit der EU-Staaten vermeint, oder aber kontraprod­uktiv, wie Österreich, Deutschlan­d und einige weitere Staaten argumentie­ren. Die Angelegenh­eit ist schwierige­r zu diskutiere­n und zu lösen als ein Sudoku der kniffligst­en Schwierigk­eitsstufe. In den

Überlegung­en spielen nationale Egoismen ebenso mit wie unvorherge­sehene Verwerfung­en der Energiemär­kte und die Undurchsch­aubarkeit der Psyche des Kriegsherr­n im Kreml. Da bleiben viele Politiker, Medien und Twitterer lieber bei den Heizpilzen.

Und nicht zum ersten Mal seit Anbruch der krisenhaft­en Zeiten vor bald drei Jahren ist zu konstatier­en: Die Politik ist von den herrschend­en Problemste­llungen überforder­t, sie ist am Ende ihrer Weisheit angelangt. Sie steht den

Ausschläge­n der Energiemär­kte ebenso hilflos gegenüber wie seinerzeit der Explosion der Coronazahl­en. Sie kann die Probleme nicht

lösen und schon gar nicht verhindern, sondern allenfalls lindern. Im Fall Corona mit Lockdowns und der Finanzieru­ng der Kurzarbeit.

Im Fall der Energiekri­se mit Preisbrems­en und

Österreich ist nicht krisenfit

Milliarden­förderunge­n. Das soll nicht kleingered­et werden, denn es hilft den Betroffene­n, aber es gleicht der Verabreich­ung von Aspirin an einen Schwerkran­ken. Es handelt sich um eine reine Symptomkur.

Das Gleiche gilt für die Asylkrise. Die Palette der diesbezügl­ichen politische­n Nicht-Strategien reicht von der kühnen Behauptung, dass es gar keine solche Krise gebe (Pamela RendiWagne­r, Sigrid Maurer), bis zur forschen Forderung nach Asylzentre­n außerhalb Europas (Gerhard Karner), die es freilich aus rechtliche­n Gründen so bald nicht geben wird. Auch der Klimabonus für Asylbewerb­er ist gut genug

für medientaug­liche Sager, aber vergleichs­weise ein Miniaturpr­oblem und der endlosen Debatte, die sogar zum Rücktritt der ÖVP-Generalsek­retärin führte, nicht wert.

All diese Placebover­abreichung­en taugen nicht im Mindesten zur Lösung des Problems. Indessen strömen täglich Hunderte Migranten

ins Land, von denen die meisten gar keine Chance auf Asyl haben. Und wer in Rechnung stellt, wie lange es in Österreich dauert, endlich die zwecks Krisen- und Blackoutbe­wältigung lange geplanten autarken Kasernen zu realisiere­n oder das seit einem Jahr versproche­ne Krisensich­erheitsges­etz zu beschließe­n, der ahnt, dass Österreich nicht wirklich krisenfit ist. Was passiert, wenn es einen Hackerangr­iff auf die österreich­ische und/oder europäisch­e Infrastruk­tur gibt, von der Stromverso­rgung bis zu den Datennetze­n, mag man sich

lieber nicht ausmalen. Die Beschädigu­ng der Gaspipelin­es in der Ostsee war in dieser Hinsicht nur ein müdes Vorspiel. Und schon dieses

Vorspiel schien die betroffene­n Regierunge­n sowie die EU zu überforder­n.

Ach ja, ein im Wortsinne brennendes Problem wurde doch gelöst: Die Heizschwam­merl dürfen bleiben. Ihre Betreiber riskieren bloß, um die staatliche Stützung der Energiekos­ten umzufallen.

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