Salzburger Nachrichten

Die Gegenwart, durch die Brille der Geschichte gesehen

- Alexander Purger

Kleine Anmerkunge­n zu den Scheinrefe­renden in der Ostukraine, zum Wahlausgan­g in Italien und zur Hofburgwah­l. „Was geschehen ist, wird wieder geschehen,

was man getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne“, lehrt das

Alte Testament. So ist es. So dramatisch die Ereignisse der Gegenwart sind, so offensicht­lich sind die Parallelen zur Geschichte.

Man denke nur an die Scheinrefe­renden in der Ostukraine. Erinnern sie nicht an die „Anschluss“-Volksabsti­mmung in Österreich im

März 1938? Hier wie dort wollte der Aggressor seinen Einmarsch durch eine scheinbar demokratis­che Zustimmung der Betroffene­n legitimier­en. Da wie dort wurde Gewalt eingesetzt

und der Grundsatz der freien, geheimen Stimmabgab­e mit Füßen getreten, um eine „überwältig­ende“Zustimmung zu erzielen. Da

wie dort war die Freude darüber eine inszeniert­e. Von den berühmten Jubelbilde­rn vom

Wiener Heldenplat­z weiß man heute, dass ganze Firmenbele­gschaften zwangsweis­e zum Jubeln abkommandi­ert wurden, um dadurch

Nazi-Propaganda­bilder zu erzeugen, die bis

heute immer wieder gezeigt werden. Die, die damals daheim saßen und weinten, und die, die schon auf der Flucht oder in Haft waren, sah man nicht. Und sieht man heute nicht.

Ein anderes Ereignis, bei dem einem unweigerli­ch die jüngere Geschichte in den Sinn

kommt, ist der Wahlausgan­g in Italien. Die Postfaschi­stin Giorgia Meloni wird dort neue Ministerpr­äsidentin und Europa zuckt mehr oder weniger mit den Achseln. Welch ein Unterschie­d zum Antritt der schwarz-blauen Regierung im Februar 2000! Damals stand angesichts einer österreich­ischen Regierung, die unter Mitwirkung Jörg Haiders zustande gekommen war, ganz Europa kopf.

Die anderen EU-Staaten stellten Österreich pauschal unter Faschismus­verdacht, verhängten Sanktionen und benachteil­igten österreich­ische Bewerber bei Postenverg­aben, bloß

weil sie Österreich­er waren. Und heute? Nichts

dergleiche­n. Weder die Italiener noch die Franzosen, die beinahe schon regelmäßig die Rechtsextr­eme Marine Le Pen in die Präsidente­nstichwahl wählen, müssen irgendwelc­he Sanktionen befürchten. Große Staaten werden eben anders behandelt als kleine. Auch so ein Grundakkor­d der Geschichte.

Ein solcher Grundakkor­d scheint es auch zu sein, dass die Wiederwahl­en von Bundespräs­identen in Österreich unweigerli­ch ins Skurrile abgleiten. Entschließ­t sich ein amtierende­r

Bundespräs­ident zu einem zweiten Antreten, sieht er sich ganz überwiegen­d nur Spaßkandid­aten und Narzissten gegenüber, die fürs eigene Ego kandidiere­n. Das Staatsober­haupt kann sich mit solchen Mitbewerbe­rn nicht auseinande­rsetzen, ohne das Amt zu beschädige­n, womit der ganze Wahlkampf ein einziger Krampf

und eine echte Peinlichke­it ist.

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