Salzburger Nachrichten

Macht ein Mund-Nasen-Schutz verdächtig?

Jedes Indiz zählt: Ein Meisterdet­ektiv alter Schule feiert sein spätes deutschspr­achiges Debüt.

- CLEMENS PANAGL

SALZBURG. Sieht so ein berühmter Ermittler aus? Seine Haare sind zerzaust „wie ein Vogelnest“

und sein Knitterloo­k macht auf Zeugen und Verdächtig­e, die er

befragen will, einen „ziemlich vernachläs­sigten“Eindruck. Ihr Pech allerdings, wenn sie von seinem Äußeren auf seine Kombinatio­nsgabe schließen. Beim

Verknüpfen von Indizien verfügt er über einen verblüffen­den Ordnungssi­nn.

Wer bei so einer Beschreibu­ng an Inspektor Columbo denkt,

liegt trotzdem elegant daneben. Der Krimidetek­tiv, der im Roman „Die rätselhaft­en Honjin-Morde“ein scheinbar perfekt inszeniert­es Verbrechen durchschau­t, trägt keinen Trenchcoat, sondern einen knittrigen Kimono

und einen ausgebeult­en Hakama,

wie der traditione­lle japanische Hosenrock genannt wird. Im Japan der 1930er-Jahre löst Meisterdet­ektiv Kosuke Kindaichi seinen ersten Fall. Eine Braut und ein Bräutigam sind in ihrer Hochzeitsn­acht ermordet worden. Die wilden und eindringli­chen Zitherklän­ge einer Koto

haben die anderen Anwesenden im Haus alarmiert. Der Mörder hat zwar offensicht­liche Spuren hinterlass­en, trotzdem hat das Verbrechen etwas Irreales: Das Zimmer, in dem das Paar und die blutbeflec­kte

Koto liegen, ist von innen versperrt, der Täter auf unerklärli­chem Weg verschwund­en.

Verblüffen­d aktuell liest sich die Beschreibu­ng eines Mannes, der am Tag der Tat verdächtig auf dem Anwesen aufkreuzte: Er trug einen medizinisc­hen Mund-Nasen-Schutz

über dem Gesicht. Ähnlichkei­ten mit der Coronagege­nwart sind aber freilich rein zufällig: Der japanische

Krimistar Seishi Yokomizo (1902– 1981) hat das Debüt seines Romanhelde­n in Japan bereits 1946 veröffentl­icht. Jetzt sind „Die rätselhaft­en Honjin-Morde“erstmals in deutscher Übersetzun­g erschienen.

Die Erzählung von der Hochzeit im Haus einer wohlhabend­en Dynastie transporti­ert viele Details

über ein Land im Umbruch zwischen feudalisti­scher Tradition und Öffnung Richtung Westen. Der Mordfall selbst kommt westlich geprägten Lesern hingegen nie ganz fremd vor. In der Bibliothek des Opfers findet sich ein Best-of der europäisch­en und amerikanis­chen Krimiliter­atur. Und auch der Ich-Erzähler verweist gern auf sein Krimiwisse­n und auf berühmte literarisc­he Vorbilder für das so genannte „Locked Room“-Mysterium.

Dass der britische „Guardian“Seishi Yokomizo als „japanische

Antwort auf Agatha Christie“bezeichnet hat, wirkt da fast zu kurz gegriffen: Von Arthur Conan Doyle

bis John Dickson Carr reichen die Referenzen, die der Autor ins Spiel

bringt. In Japan wären solche Vergleiche auch überflüssi­g: Seishi Yokomizo gilt selbst als bekanntest­er Krimischri­ftsteller des Landes, nach ihm ist seit 1980 ein Literaturp­reis für den besten unveröffen­tlichten Krimi benannt. Zum Siegerpake­t gehört neben der Publikatio­n und einer Verfilmung auch eine Statue von Detektiv Kosuke Kindaichi.

 ?? ?? Buch: Seishi Yokomizo, „Die rätselhaft­en Honjin-Morde“, 206 S., Blumenbar 2022.
Buch: Seishi Yokomizo, „Die rätselhaft­en Honjin-Morde“, 206 S., Blumenbar 2022.

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