Ein Wolf im Ochspelz tappt in die Venusfalle
Ein „Rosenkavalier“in Salzburg ist immer ein Erlebnis. Die neue Produktion des Landestheaters erzielt schonungslose Wirkung.
SALZBURG. Der Fall dieses Ochs ist
besonders drastisch. Eineinhalb Aufzüge lang drangsaliert dieser vierschrötige Grobian seine Umwelt mit brutaler Härte, jagt jeder Rockschürze mit dem triebgesteuerten Instinkt eines Wolfs nach und
hüllt sich dazu passend in pechschwarzen Pelz. Nachdem er Octavians Taschenfeitel – ein Degen würde zu dieser Inszenierung auch nicht passen – zu spüren bekommt, verlässt ihn sein „Lerchenauisch Glück“: In der Wirtshausszene steht dieser Ungustl völlig neben sich und tappt ungelenk in die Venusfalle. Man erkennt die Jämmerlichkeit eines Jägers, der buchstäblich nicht aus seiner Haut herauskann.
Regisseur Roland Schwab verlegt das Spiel mit Schein und Sein, das den „Rosenkavalier“prägt, vom
Wien Maria Theresias des Jahres 1740 in die Halbwelt der Donaustadt. Strizzis unterschiedlicher
hierarchischer Ebenen suchen die Bühne heim, das Gesetz des Stärkeren ersetzt die förmliche Etikette der adeligen Gesellschaft. Es ist ein
galliger Witz, der diese Komödie für Musik in der Salzburger Neuproduktion durchzieht, nahe an den
realistischen Milieuschilderungen österreichischer Filmemacher wie Ulrich Seidl oder Götz Spielmann.
Auch Graf Rofrano erlebt sein blaues Wunder, nachdem er der Marschallin als „Italian Stallion“im
Unterleiberl – Toy Boy würde man diesen Lustknaben heutzutage nennen – gedient hat. Die Travestie des ersten Akts ereignet sich als Albtraum, in Gestalt der Kammerzofe Mariandl wird der junge Feschak
von Ochs und der fürstlichen Dienerschaft buchstäblich in die Enge getrieben. Faninals Stadtpalais entpuppt sich dazu passend als einschlägiges
Etablissement: Die riesigen goldenen Kugeln, die Bühnenbildner Piero Vinciguerra im Raum platziert hat, öffnen sich in eindeutig weiblicher Form zu Lustgemächern.
Schwabs inszenatorische Wucht funktioniert dort, wo sich der Figurenkosmos in voller Personalintensität entfaltet. Das „Bagagi“der Leverszene füllt die Riesenbühne der
Felsenreitschule ebenso wie die
widderhörnigen Satyrwesen und die teuflischen Lakaien der Pantomime zu Beginn des dritten Akts.
Wenn sich die Handlung aber zum Kammerspiel reduziert und die drei Zentralgestirne dieser Oper – Feldmarschallin, Octavian und Sophie – in diesem Raum plötzlich ganz verloren wirken, dann wird deutlich, dass die Felsenreitschule kein geeigneter Ort für die filigran gearbeitete Künstlichkeit dieses Werks ist.
Tatsächlich dient das archaische Steintheater in der reichen Salzburger
Aufführungsgeschichte dieses
Werks, das allein seiner Schöpfer Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wegen unweigerlich mit dieser Stadt verbunden ist und seit 1929 regelmäßig in den Festspielhäusern gespielt wird, erstmals als Spielstätte.
Kleinere Einwände am mutigen szenischen Konzept schmälern jedoch nicht den überwiegend positiven Gesamteindruck der Produktion des Landestheaters in Kooperation mit der Kulturvereinigung. Einen „Rosenkavalier“zu stemmen –
übrigens erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Hauses – stellt einen Kraftakt dar, der vor allem in
musikalischer Hinsicht überzeugt. Magdalena Anna Hofmann besitzt eine wunderbar tragfähige Stimme
mit schillernder Höhe, die der Marschallin die nötige Präsenz und Eleganz verleiht. Einen kraftvollen Mezzo und starke darstellerische
Fähigkeiten vereint Sophie Harmsen in sich. Ihr Octavian ist eine sehr vielschichtige Figur, die sich
mit aller Kraft gegen das monströse Zentrum dieser Inszenierung stellt: Martin Summer lässt sich ganz auf
Schwabs Konzept ein und gibt einen
sinistren Ochs, ohne Charme und Humor. Dieser Unterweltkönig scheint etliche Leichen im (Wein-)Keller zu haben. Dazu passt auch seine dunkelschwarze Bassstimme, die sich ebenso mühelos
Raum verschafft wie dieser Wolf im Ochspelz. Ebenso bedrohlich wirkt auch Faninal, den Birger Radde als schleimigen Puffbesitzer zeichnet.
Er fügt sich in die Hierarchien dieses Milieus und übergibt seine
Tochter Sophie ungerührt dem brutalen Ochs.
Elizabeth Sutphen braucht etwas Zeit, um ihren beweglichen Sopran strömen zu lassen, fügt sich dann aber gut in die durchwegs beachtliche Sängerriege ein. Hier seien auch Rainer Maria Röhr und Irmgard Vilsmaier genannt, die als Strippenzieher Valzacchi und Annina reichlich szenische Präsenz erhalten – Letztere schlüpft im dritten Akt auch noch in die Rolle der
vermeintlichen Kindsmutter, die in der „Wienerischen Maskerad’“die Schlachtung des Ochs vorantreibt.
Die vielen kleineren Rollen dieser Großproduktion werden von Ensemblemitgliedern des Landestheaters besetzt. Luke Sinclair etwa meistert den Kurzauftritt des italienischen Sängers in spätbarocker Farinelli-Geschlechtslosigkeit – der
vom Ochs offenbar als zu tuntig empfunden und brutal abgeknallt
wird – mit schönem Tenorschmelz und taucht später als agiler Wirt
wieder auf. Philipp Schöllhorn vereint als Notar und Kommissar auch zwei Rollen, Alexander Hüttner gibt einen soliden Haushofmeister.
Am Pult des Mozarteumorchesters leistet Musikdirektor Leslie Suganandarajah einen wichtigen Beitrag zur schonungslosen musikdramatischen Wirkung des Abends:
Er verweigert der Musik von Richard Strauss jeglichen Zuckerguss und fördert die dissonanten Abgründe in der Partitur messerscharf und elektr(a)isierend zutage. Selten
hat man das Schlussterzett so trennscharf gehört, das wuselnde musikalische Treiben in der Pantomime so klar geordnet. Dirigent
und Orchester erhielten am Ende des Abends zu Recht die stärksten Ovationen.
Ein „Rosenkavalier“ohne Zuckerguss
Oper: