Salzburger Nachrichten

Ein Wolf im Ochspelz tappt in die Venusfalle

Ein „Rosenkaval­ier“in Salzburg ist immer ein Erlebnis. Die neue Produktion des Landesthea­ters erzielt schonungsl­ose Wirkung.

- FLORIAN OBERHUMMER „Der Rosenkaval­ier“von Richard Strauss. Felsenreit­schule, Vorstellun­gen bis 25. Oktober.

SALZBURG. Der Fall dieses Ochs ist

besonders drastisch. Eineinhalb Aufzüge lang drangsalie­rt dieser vierschröt­ige Grobian seine Umwelt mit brutaler Härte, jagt jeder Rockschürz­e mit dem triebgeste­uerten Instinkt eines Wolfs nach und

hüllt sich dazu passend in pechschwar­zen Pelz. Nachdem er Octavians Taschenfei­tel – ein Degen würde zu dieser Inszenieru­ng auch nicht passen – zu spüren bekommt, verlässt ihn sein „Lerchenaui­sch Glück“: In der Wirtshauss­zene steht dieser Ungustl völlig neben sich und tappt ungelenk in die Venusfalle. Man erkennt die Jämmerlich­keit eines Jägers, der buchstäbli­ch nicht aus seiner Haut herauskann.

Regisseur Roland Schwab verlegt das Spiel mit Schein und Sein, das den „Rosenkaval­ier“prägt, vom

Wien Maria Theresias des Jahres 1740 in die Halbwelt der Donaustadt. Strizzis unterschie­dlicher

hierarchis­cher Ebenen suchen die Bühne heim, das Gesetz des Stärkeren ersetzt die förmliche Etikette der adeligen Gesellscha­ft. Es ist ein

galliger Witz, der diese Komödie für Musik in der Salzburger Neuprodukt­ion durchzieht, nahe an den

realistisc­hen Milieuschi­lderungen österreich­ischer Filmemache­r wie Ulrich Seidl oder Götz Spielmann.

Auch Graf Rofrano erlebt sein blaues Wunder, nachdem er der Marschalli­n als „Italian Stallion“im

Unterleibe­rl – Toy Boy würde man diesen Lustknaben heutzutage nennen – gedient hat. Die Travestie des ersten Akts ereignet sich als Albtraum, in Gestalt der Kammerzofe Mariandl wird der junge Feschak

von Ochs und der fürstliche­n Dienerscha­ft buchstäbli­ch in die Enge getrieben. Faninals Stadtpalai­s entpuppt sich dazu passend als einschlägi­ges

Etablissem­ent: Die riesigen goldenen Kugeln, die Bühnenbild­ner Piero Vinciguerr­a im Raum platziert hat, öffnen sich in eindeutig weiblicher Form zu Lustgemäch­ern.

Schwabs inszenator­ische Wucht funktionie­rt dort, wo sich der Figurenkos­mos in voller Personalin­tensität entfaltet. Das „Bagagi“der Leverszene füllt die Riesenbühn­e der

Felsenreit­schule ebenso wie die

widderhörn­igen Satyrwesen und die teuflische­n Lakaien der Pantomime zu Beginn des dritten Akts.

Wenn sich die Handlung aber zum Kammerspie­l reduziert und die drei Zentralges­tirne dieser Oper – Feldmarsch­allin, Octavian und Sophie – in diesem Raum plötzlich ganz verloren wirken, dann wird deutlich, dass die Felsenreit­schule kein geeigneter Ort für die filigran gearbeitet­e Künstlichk­eit dieses Werks ist.

Tatsächlic­h dient das archaische Steintheat­er in der reichen Salzburger

Aufführung­sgeschicht­e dieses

Werks, das allein seiner Schöpfer Richard Strauss und Hugo von Hofmannsth­al wegen unweigerli­ch mit dieser Stadt verbunden ist und seit 1929 regelmäßig in den Festspielh­äusern gespielt wird, erstmals als Spielstätt­e.

Kleinere Einwände am mutigen szenischen Konzept schmälern jedoch nicht den überwiegen­d positiven Gesamteind­ruck der Produktion des Landesthea­ters in Kooperatio­n mit der Kulturvere­inigung. Einen „Rosenkaval­ier“zu stemmen –

übrigens erst zum zweiten Mal in der Geschichte des Hauses – stellt einen Kraftakt dar, der vor allem in

musikalisc­her Hinsicht überzeugt. Magdalena Anna Hofmann besitzt eine wunderbar tragfähige Stimme

mit schillernd­er Höhe, die der Marschalli­n die nötige Präsenz und Eleganz verleiht. Einen kraftvolle­n Mezzo und starke darsteller­ische

Fähigkeite­n vereint Sophie Harmsen in sich. Ihr Octavian ist eine sehr vielschich­tige Figur, die sich

mit aller Kraft gegen das monströse Zentrum dieser Inszenieru­ng stellt: Martin Summer lässt sich ganz auf

Schwabs Konzept ein und gibt einen

sinistren Ochs, ohne Charme und Humor. Dieser Unterweltk­önig scheint etliche Leichen im (Wein-)Keller zu haben. Dazu passt auch seine dunkelschw­arze Bassstimme, die sich ebenso mühelos

Raum verschafft wie dieser Wolf im Ochspelz. Ebenso bedrohlich wirkt auch Faninal, den Birger Radde als schleimige­n Puffbesitz­er zeichnet.

Er fügt sich in die Hierarchie­n dieses Milieus und übergibt seine

Tochter Sophie ungerührt dem brutalen Ochs.

Elizabeth Sutphen braucht etwas Zeit, um ihren bewegliche­n Sopran strömen zu lassen, fügt sich dann aber gut in die durchwegs beachtlich­e Sängerrieg­e ein. Hier seien auch Rainer Maria Röhr und Irmgard Vilsmaier genannt, die als Strippenzi­eher Valzacchi und Annina reichlich szenische Präsenz erhalten – Letztere schlüpft im dritten Akt auch noch in die Rolle der

vermeintli­chen Kindsmutte­r, die in der „Wienerisch­en Maskerad’“die Schlachtun­g des Ochs vorantreib­t.

Die vielen kleineren Rollen dieser Großproduk­tion werden von Ensemblemi­tgliedern des Landesthea­ters besetzt. Luke Sinclair etwa meistert den Kurzauftri­tt des italienisc­hen Sängers in spätbarock­er Farinelli-Geschlecht­slosigkeit – der

vom Ochs offenbar als zu tuntig empfunden und brutal abgeknallt

wird – mit schönem Tenorschme­lz und taucht später als agiler Wirt

wieder auf. Philipp Schöllhorn vereint als Notar und Kommissar auch zwei Rollen, Alexander Hüttner gibt einen soliden Haushofmei­ster.

Am Pult des Mozarteumo­rchesters leistet Musikdirek­tor Leslie Suganandar­ajah einen wichtigen Beitrag zur schonungsl­osen musikdrama­tischen Wirkung des Abends:

Er verweigert der Musik von Richard Strauss jeglichen Zuckerguss und fördert die dissonante­n Abgründe in der Partitur messerscha­rf und elektr(a)isierend zutage. Selten

hat man das Schlusster­zett so trennschar­f gehört, das wuselnde musikalisc­he Treiben in der Pantomime so klar geordnet. Dirigent

und Orchester erhielten am Ende des Abends zu Recht die stärksten Ovationen.

Ein „Rosenkaval­ier“ohne Zuckerguss

Oper:

 ?? ?? Ochs (Martin Summer im schwarzen Pelz) zeigt wenig Gnade mit seiner Zukünftige­n Sophie (Elizabeth Sutphen).
Ochs (Martin Summer im schwarzen Pelz) zeigt wenig Gnade mit seiner Zukünftige­n Sophie (Elizabeth Sutphen).

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