Geschädigte des Baukartells planen Schadenersatzklagen
Nach Geldstrafen in dreistelliger Millionenhöhe gegen mehrere Baufirmen bereiten Länder und Gemeinden Schadenersatzklagen vor. Auch hier geht es um enorme Summen.
WIEN. Über Absprachen am Bau wurde immer geredet, nur Beweise gab es kaum. Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) bereitete hier – noch unter der Leitung des Salzburgers Theodor Thanner, der sich im November 2021 mit 61 Jahren zurückzog – das Feld in den vergangenen Jahren konsequent auf. Die Hausdurchsuchungen dafür, bei denen rund 70.000 Schriftstücke sowie 57 Terabyte an IT-Daten sichergestellt wurden, fanden bereits 2017 und 2018 statt. Die BWB konnte viele Verdachtsmomente bestätigen: In großem Stil wurden Preise abgesprochen, der Markt aufgeteilt
und Ausschreibungen zwischen den am Kartell beteiligten Unternehmen intern vergeben. Die Bandbreite der Projekte, die die BWB im Zeitraum 2002 bis 2017 überprüfte,
umfasst alle Sparten am Bau, vom Kleinprojekt um 50.000 Euro bis zu
Vorhaben um 60 Millionen Euro, vom Kindergarten über Straßen und Tunnelbauten bis zu Wasserleitungen und Friedhöfen.
Bisher wurden Geldstrafen in dreistelliger Millionenhöhe verhängt, um den zu Unrecht erzielten Gewinn abzuschöpfen. Zwei der
Kartellstrafen sind rechtskräftig – der börsenotierte Baukonzern Strabag akzeptierte Ende 2021 die von der BWB beim Kartellgericht beantragte Geldbuße von 45,37 Millionen Euro. Nach neuen Erkenntnissen der Behörde vom Sommer
könnte sich die Summe aber noch erhöhen. Die BWB zog bei Gericht auch den Kronzeugenstatus der Strabag in Zweifel, entschieden ist
noch nichts. Die ebenfalls börsenotierte Porr AG akzeptierte im Februar 2022 die von der BWB beantragte Strafe von 62,35 Millionen Euro.
Bekannt sind auch die Strafen gegen zwei weitere Unternehmen aus Oberösterreich: Swietelsky (Linz)
erklärte sich zur Zahlung von 27,15 Mill. Euro bereit. Vier Gesellschaften der Habau-Gruppe (Perg) wiederum sollen insgesamt 26,33 Millionen
Euro an die Republik zahlen.
Länder, Städte und Gemeinden sowie öffentliche Unternehmen wie die Asfinag, die ÖBB oder Energieversorger zählen hauptsächlich zu den Geschädigten. Die Versuche,
hier zu Schadenersatz zu gelangen, nehmen nun konkrete Gestalt an. Der Gemeindebund der ÖVP ist in Kontakt mit einem Prozessfinanzierer, um das Risiko für die Kommunen gering zu halten.
SN-THEMA
Bernhard Haubenberger, Jurist beim Gemeindebund, sagt, es gebe noch keine kompakte Lösung, doch die Zeit dränge noch nicht. Denn die
Verjährungsfrist betrage fünf Jahre ab Kenntnis des Schadens, und das sei nicht mit der Bekanntgabe der
BWB-Untersuchungen 2017 anzusetzen, sondern erst mit der Mitteilung über die erste beantragte Kartellstrafe Ende 2021.
Der Wiener Rechtsanwalt Michael Brand, dessen Kanzlei mit dem Prozessfinanzierer Litfin zusammenarbeitet, sagt, über konkrete Schadenssummen könne noch
nichts gesagt werden. Der Schaden
werde im Einzelfall berechnet und nicht anhand von Lokalaugenscheinen festgestellt. Bei Kartellen werde als Faustregel von mindestens um 20 Prozent überhöhten Preisen ausgegangen. Es sei geplant, dass die Kläger Herr des Verfahrens blieben
und der Prozessfinanzierer die Kosten trage – im Erfolgsfall erhält er eine Prämie. Der Gemeindebund geht von einem Gesamtschaden
von 10 bis 17 Milliarden Euro aus, den die vom Baukartell umfassten Projekte ausmachten.
Der Städtebund der SPÖ betont, viele Städte seien geschädigt. Man verfolge die Verfahren genau und strebe ein gemeinsames Vorgehen in Form einer Art Sammelklage an.
Für zu erwartende Schadenersatzforderungen hat die Strabag bereits Rückstellungen getroffen, wie es im Halbjahresbericht 2021 hieß. Doch die Summe sei wegen der
Vielschichtigkeit des Sachverhalts äußerst schwer abzuschätzen.
Gewaltig sind auch die Dimensionen des Strafverfahrens bei der
Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft: Die Untersuchungen wegen des Verdachts auf
wettbewerbsbeschränkende Ab
sprachen in Vergabeverfahren richten sich gegen insgesamt nicht weniger als 135 Unternehmen sowie gegen 520 namentlich bekannte Beschuldigte. Ursprünglich war sogar gegen 850 Personen ermittelt worden, viele Verfahren wurden eingestellt.
In zwei vergleichsweise kleinen Fällen kam es ab 2020 bereits zu Strafprozessen: In Kärnten ging es um eine Baufirma, deren Angestellte beim Großprojekt Koralmbahn Landesbeamte und Polizisten anfütterten. Christian Liebhauser-Karl, Sprecher des Landesgerichts Klagenfurt: „Das Verfahren gegen 25
Angeklagte endete im Vorjahr mit vier Verurteilungen zu Geldstrafen. Die 21 Geldbußen im Rahmen der Diversion erreichten eine Höhe von mehreren Hunderttausend Euro.“
Um Weinflaschen und Gutscheine als Geschenke für Beamte ging es auch in Graz. Drei Angeklagte erhielten dort im Frühjahr 2021 gegen Zahlung von insgesamt fast 95.000 Euro eine Diversion, die betreffende Baufirma musste 61.100 Euro zahlen. Es gab auch drei Freisprüche.