Salzburger Nachrichten

Sie packen das heiße Eisen an

Am Montag wird es ernst bei den MetallerLo­hnverhandl­ungen. Die Arbeitnehm­er fordern ein zweistelli­ges Lohnplus. Ein schnelles Ergebnis scheint unrealisti­sch – eine erste Eskalation nicht.

- HELMUT KRETZL

WIEN. Zwei Wochen hatten die Arbeitnehm­er Zeit, die hohe Forderung der Gewerkscha­ften zu verdauen. Diese hatten zum Auftakt der Lohnverhan­dlungen für rund 130.000 Beschäftig­te in der Metalltech­nischen Industrie (MTI) am 19. September eine Anhebung der Löhne und Gehälter um 10,6 Prozent

verlangt – die erste zweistelli­ge Lohnforder­ung seit 30 Jahren. Es

gehe jetzt „darum, die Kaufkraft der Menschen zu stärken. Die Gewerkscha­ften werden keinen Reallohnve­rlust zulassen“, unterstric­hen die

beiden Chefverhan­dler der Gewerkscha­ften Pro-Ge und GPA, Rainer Wimmer und Karl Dürtscher.

Am Montag beginnt das große Feilschen um Euros und auch um

Verbesseru­ngen beim sogenannte­n Rahmenrech­t. So soll es schneller eine sechste Urlaubswoc­he geben, einen neuen Zuschlag für Samstagsar­beit oder einen höheren

Überstunde­nzuschlag ab der zehnten Arbeitsstu­nde.

Ein Gegenangeb­ot der Arbeitgebe­r liegt noch nicht vor. Fachverban­dsobmann Christian Knill hatte sich empört über die „unvernünft­ige und überzogene“Forderung gezeigt. Berücksich­tige man aber die

Höhe der Inflation, die wirtschaft­liche Situation und die Tatsache, dass der Abschluss wohl deutlich unter der Anfangsfor­derung liegen werde, sei die Höhe der Gewerkscha­ftsforderu­ng grundsätzl­ich argumentie­rbar, meinen Wirtschaft­sforscher.

Denn auch die Teuerung bewegt sich derzeit in historisch­en Größenordn­ungen. Am Freitag veröffentl­ichte die Statistik Austria eine erste Schnellsch­ätzung für den September, in der sie die Verbrauche­rpreise aktuell um 10,5 Prozent höher als im Vorjahresm­onat ausweist

– der höchste Wert seit Juli 1952. Doch dieser Wert ist nicht direkt relevant für den neuen Kollektivv­ertrag (KV) für die Metalltech­nische Industrie, der mit 1. November 2022

in Kraft treten soll. Denn als Basis der Lohnverhan­dlungen dient traditione­ll die durchschni­ttliche Inflation der vergangene­n zwölf Monate (rollierend von September 2021 bis August 2022). Diese hatten

beide Seiten im Vorfeld der diesjährig­en Lohnverhan­dlungen mit 6,3 Prozent außer Streit gestellt. Aber das Wissen, dass die Inflation noch

weiter steigt, könnte bei den Arbeitnehm­ervertrete­rn als Argument in den Verhandlun­gen auftauchen.

Gemäß der nach dem früheren ÖGB-Chef Anton Benya benannten

Benya-Formel wird auch die Produktivi­tätsentwic­klung bei den Verhandlun­gen berücksich­tigt. Hier sind sich die Sozialpart­ner traditione­ll weniger einig als bei der Inflation. Regelmäßig wird diskutiert,

welcher Wert am aussagekrä­ftigsten ist – die gesamtwirt­schaftlich­e Produktivi­tät, die Benjamin Bittschi

vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) für 2021 mit 1,4 Prozent angibt, die Industriep­roduktivit­ät von 7,5 Prozent oder das Industriew­achstum, das 2021 bei 8,9 Prozent lag? Oder doch das Wachstum der Gesamtwirt­schaft bei 2,2 Prozent?

Auch die abgesetzte Produktion könnte ins Treffen geführt werden, die mit 75 Mrd. Euro nicht nur um 21 Prozent über dem Pandemieja­hr 2020 lag, sondern auch um 6,5 Prozent über dem Vorkrisenj­ahr 2019.

Eine maßgeblich­e Rolle bei den Lohnverhan­dlungen spielt die Entwicklun­g

der Branche im vergangene­n Jahr. Die kann sich in der Metalltech­nischen Industrie sehen

lassen. Der Produktion­swert legte gegenüber dem Jahr davor um 18,1 Prozent zu, die Importe stiegen um 15,2 Prozent. Gleichzeit­ig ging die

Zahl der Mitarbeite­r geringfügi­g – um 1443 Personen oder 1,1 Prozent

– zurück, was ebenfalls auf eine höhere Produktivi­tät schließen lässt. Der Aufschwung dauerte in den ersten Monaten 2022 noch an, er hat allerdings an Stärke verloren. Der Produktion­swert stieg bis Ende Mai

um 8,8 Prozent, die Exporte (im ersten Quartal) um 6,9 Prozent, die

Auftragsei­ngänge waren in diesem Zeitraum um 2,4 Prozent höher.

Allerdings führen die Arbeitgebe­r ins Treffen, dass den Steigerung­en kräftige Verluste im Coronajahr 2020 vorausgega­ngen waren. Vor

dem Produktion­swachstum von 10,2 Prozent (laut Schnellsch­ätzung) im Jahr 2021 lagen minus 9,6 Prozent im Jahr 2020 – der stärkste

Verlust seit dem Krisenjahr 2009 (minus 17,6 Prozent). Das wohl stärkste Argument der Arbeitgebe­rseite ist, dass die Zeichen auf

Abschwung stehen. In ihrer Wirtschaft­sprognose am Freitag werden

Wifo und IHS ihre Konjunktur­erwartunge­n (bisher 4,3/3,8 Prozent heuer und 1,6/1,4 nächstes Jahr) deutlich absenken. Das nimmt dem Gewerkscha­ftsargumen­t, dass die

Mitarbeite­r an der ausgezeich­neten Gewinnentw­icklung beteiligt werden müssten, Wind aus den Segeln.

Angesichts der hohen Inflation wollen die Arbeitgebe­r, dass auch staatliche Hilfen zur Entlastung der

Arbeitnehm­er eingerechn­et werden, die Unternehme­n allein könnten die importiert­e Teuerung nicht ausgleiche­n. Mit angebotene­n und

von der Regierung steuerfrei gestellten Einmalzahl­ungen wollen sich die Arbeitnehm­er nicht abspeisen lassen, „das wäre nur Schnittlau­ch aufs Brot“.

Dass man sich am Montag bereits einigt, gilt als ausgeschlo­ssen. Sollte es in der ersten Runde überhaupt

keine Fortschrit­te geben, könnten die Gewerkscha­ften die Zeit bis zum nächsten Gesprächst­ermin am 17. Oktober bereits für erste Mobilmachu­ngen nutzen.

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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Rainer Wimmer, Chef der Pro-Ge.
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BILD: SN/APA/HELMUT FOHRINGER Karl Dürtscher vertritt die GPA.
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BILD: SN/APA/HERBERT PFARRHOFER FV-Obmann Christian Knill.

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