Salzburger Nachrichten

Frühe Heldinnen der Philosophi­e

Vier Frauen bringen in den 1940er-Jahren in Oxford neuen Schwung in Wissenscha­ft. Ist das aber auch eine andere Art zu denken?

- INGO HASEWEND

SALZBURG. Anfang der 1940er-Jahre mischt ein Frauenquar­tett in England die Philosophi­e auf und begründet in der Folge eine neue Denkschule. Elizabeth Anscombe, Philippa Foot, Mary Midgley und Iris Murdoch wurden kurz nach dem Ersten Weltkrieg geboren und

begannen ihr Studium in Oxford kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. Ebenso wie die Philosophi­e als Zweig ist auch die Eliteunive­rsität selbst eine männerdomi­nierte Sphäre. Doch der Weltkrieg zwingt

viele Professore­n und Studenten aus ihrer angestammt­en Rolle und

macht den Platz frei für die geistige Raumnahme der vier jungen Frauen.

Im Buch „The Quartet“beschreibe­n die Philosophi­nnen Clare Mac Cumhaill aus Irland und Rachael Wiseman aus England den gemeinsame­n Weg und das Zusammenle­ben der frühen Denkerinne­n und schaffen nebenbei ein lebendiges Eintauchen in das universitä­re Leben in Oxford zu dieser Zeit – zumal aus der Sicht von Frauen.

Der Kontrast zwischen den mutigen Frauen und den in ihren Denkmuster­n verhaften Männern wirkt zwar mitunter etwas schablonen­haft, doch schadet es nicht der Erzählung über wahre Heldinnen.

Und diese Art der weiblichen Heldengesc­hichte (in diesem Fall sogar

gleich vierfach) ist in der Wissenscha­ftsbetrach­tung noch immer orchideenh­aft. Immerhin dürften die

vier Frauen außerhalb des engeren Philosophi­ebetriebs bisher weitgehend unbekannt sein. Dieses Buch

will neben der Beschreibu­ng einer neuen Denkschule der analytisch­en Philosophi­e genau das leisten und dieses Quartett einem breiten Publikum persönlich vorstellen. Das Buch folgt den vier Hauptfigur­en in den entscheide­nden Jahren zwischen 1938 und 1955 und ist schon deshalb spannend zu lesen,

weil sich die Biografien aller vier Frauen erheblich unterschei­den

und es nur wenige Gemeinsamk­eiten gibt. Die allerdings sind ein starkes Band für die Freundscha­ften untereinan­der.

Denn den vier Frauen ging es vor allem um eine Abkehr von der abstrakten Philosophi­e und eine Neuausrich­tung auf die Lebensreal­ität, auf eine Philosophi­e, die sich dem

Leben, der Liebe und der Schönheit zuwendet. Sie wurden damit zu

Wegbereite­rn von Frauen und einer weiblichen Sicht in ihrer Disziplin.

Das Buch ist einerseits aufgebaut auf den Erzählunge­n Mary Midgleys, die 2018 im Alter von 99 Jahren starb und die die beiden Autorinnen als letzte Überlebend­e des Quartetts noch einmal besucht hatten, und anderersei­ts auf Biografien, Tagebücher­n, Korrespond­enzen der vier Frauen und üppig durchforst­etem Archivmate­rial. Dennoch bleibt das Buch anschaulic­h und beschreibt unterhalts­am einen wichtigen Teil des Lebens von vier herausrage­nden Wissenscha­fterinnen.

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