Salzburger Nachrichten

Apropos Hofburg: Sag mir, wo die Plakate sind ...

Was ist das für ein Wahlkampf, in dem man nicht allen Kandidaten eine Zahnlücke malen kann?

- PURGER TORIUM Alexander Purger

Schärfste Kritik am leider zu Ende gehenden Bundespräs­identenwah­lkampf kommt von der ÖMV, der Österreich­ischen Masochiste­nvereinigu­ng. Erstens wird bekrittelt, dass der Wahlkampf viel zu kurz war und mindestens um einen zweiten Wahlgang und eine Wahlwieder­holung erweitert gehört. Und zweitens, dass es viel zu wenige Wahlplakat­e gab.

Diese Kritik der heimischen Masochiste­nvertreter ist gut nachzuvoll­ziehen. Denn wie kann es sein, dass es Alleebäume, Hausecken und Kreisverke­hre gibt, wo kein einziges HofburgWah­lplakat zu sehen ist? Kein einziges charakterv­olles Staatsober­hauptgesic­ht? Kein einziger

gedankensc­hwerer Wahlslogan? Das ist doch Betrug am schauenden Bürger!

Nur zwei der Kandidaten erfüllen ihre verdammte Pflicht der optischen Omnipräsen­z und ein dritter – Dominik Wlazny – kommt ihr

wenigstens partiell mit sieben Dreiecksst­ändern auf der Wiener Mariahilfe­r Straße nach.

Aber die vier anderen Kandidaten – komplette Plakat-Fehlanzeig­e!

Auch als Nicht-ÖMV-Mitglied muss man das demokratie­politisch bedenklich finden. Denn der Mensch ist nun einmal ein Augenwesen.

Bitte, bei Wahlen unter Hunden wäre das anders. Hunde sehen mit der Nase, heißt es, also

würden Hundekandi­daten auch keine Plakate aufhängen, sondern ihr Geruchsbil­d und ihre

Wahlbotsch­aften („Holen wir uns unsere Freiheit zurück!“, „Für eine Politik ohne Maulkorb!“) in flüssiger Form an die Hausecken träufeln, von wo sie der Hundewähle­r dann mit der Nase ablesen könnte.

Der Mensch hingegen setzt aufs Auge. Also möchte er die Kandidaten sehen. Erst dann

weiß er, ob er sie riechen kann. Diese Dominanz des Optischen geht so weit, dass die Wissenscha­ft sie für geradezu wahlentsch­eidend hält. Es gibt Studien, bei denen Kindern die

Wahlplakat­e aus wildfremde­n Ländern gezeigt

wurden und man sie raten ließ, welcher Kandidat die Wahl für sich entscheide­n wird. Und Überraschu­ng: Obwohl die Kinder keine Ahnung hatten, wer für welche Partei antrat und

wie die Ausgangspo­sition lautete, lagen sie mit ihrer Vorhersage näher am tatsächlic­hen Wahlergebn­is als die profession­ellen Demoskopen

mit ihren Umfragen. Das heißt, man sieht dem Sieger seinen Sieg offenbar am Gesicht an.

Aber was ist, wenn vier von sieben Kandidaten gar kein Plakatgesi­cht haben, sondern sich das Los der Gesichtslo­sigkeit teilen?

Nicht nur der schauende Bürger wird dadurch in seinem Grundbedür­fnis nach durchgeist­igten Charakterk­öpfen beschnitte­n. Nein, auch die Gilde der Bärtchen- und Zahnlücken­maler klagt über drastisch eingeschrä­nkte Betätigung­sfelder. Kurz gesagt: Wir fordern eine Plakatoffe­nsive im Wahlkampff­inale!

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