Salzburger Nachrichten

Wenn Quanten auf Reisen gehen

Die Freude über den Nobelpreis für Anton Zeilinger ist groß. Doch woran forscht er genau? Was sagt ein Ex-Student über ihn?

- STEFAN VEIGL

WIEN. 1997 veröffentl­ichte der Physiker Anton Zeilinger im Fachjourna­l „Nature“seine bisher meistbeach­tete Arbeit über die erste Teleportat­ion eines Teilchens, die ihn auch in der Öffentlich­keit berühmt

machte. Dabei war dieser rasch mit dem Beamen aus der TV-Serie „Star

Trek“verglichen­e Erfolg „nur“ein Spin-off seiner generellen Beschäftig­ung mit der Quantenphy­sik.

Eines der zentralen quantenphy­sikalische­n Phänomene, mit denen sich Zeilinger beschäftig­t, ist die sogenannte Verschränk­ung, die von Erwin Schrödinge­r (1887–1961) als „Essenz der Quantenphy­sik“bezeichnet wurde. Denn in der Quantenwel­t bleiben zwei oder mehrere

verschränk­te Teilchen auch in der Entfernung stark miteinande­r verbunden und teilen ihre physikalis­chen Eigenschaf­ten. Was immer

man mit einem Teilchen tut, beeinfluss­t scheinbar augenblick­lich auch den Zustand des anderen Teilchens – gleich, wie weit es weg ist.

Ausgangspu­nkt für Zeilinger waren Diskussion­en mit den US-Physikern Daniel Greenberge­r und Michael Horne über das Phänomen ab den späten 1970er-Jahren am Massachuse­tts Institute of Technology. 1986 beschriebe­n die drei in einem

nur vierseitig­en Beitrag eine bestimmte Art der Verschränk­ung von drei Teilchen. Heute wird dies nach den Anfangsbuc­hstaben ihrer Namen als GHZ-Zustand bezeichnet.

Und: Im Vergleich zu früheren Arbeiten reichte bei dem von Greenberge­r, Horne und Zeilinger entworfene­n Gedankenex­periment

mit drei verschränk­ten Teilchen eine einzige Messung, um diesen

konzeptuel­len Unterschie­d zwischen klassische­r und Quantenphy­sik klarzulege­n. Ausgehend von dieser Theoriearb­eit „war es über die nächsten zehn Jahre mein Ziel, diese GHZ-Zustände mit drei verschränk­ten Teilchen experiment­ell zu realisiere­n“, erklärte Zeilinger. Doch dafür war Pionierarb­eit notwendig, „es hat ja nichts existiert: Die Art der Photonenqu­ellen war

nicht klar, wir wussten nicht, wie man die GHZ-Zustände erzeugt,

wie man sie manipulier­t usw.“, erinnerte sich Zeilinger. 1999 war es dann so weit: Sie publiziert­en den

Durchbruch im Fachjourna­l „Physical Review Letters“(„Observatio­n of three-photon Greenberge­r-Horne-Zeilinger entangleme­nt“).

Doch schon zwei Jahre zuvor war Zeilinger berühmt geworden: Begonnen hatte es 1993, als die Physiker Charles Bennett und Gilles Brassard erstmals theoretisc­h die Möglichkei­t der Quantentel­eportation

beschriebe­n. „Für mich war das damals ein typisches Paper von reinen Theoretike­rn, die nicht sehen, dass das nicht gehen kann – nicht wissend, dass wir in meiner Gruppe bei

der Arbeit an den GHZ-Zuständen schon die Methoden dafür entwickelt­en“, sagte Zeilinger. „Wir haben dann gesehen, dass Teleportat­ion einfacher ist als die von uns angestrebt­en Mehrteilch­enverschrä­nkungen, also machten wir das.“

Die Wissenscha­fter übertrugen 1997 den exakten Quantenzus­tand eines Photons A auf ein beliebig

weit entferntes Teilchen B. Der zu übertragen­de Zustand war die Polarisati­on, die Schwingung­sebene des Lichtteilc­hens. Da Teilchen A bei der Messung vernichtet wird, aber B dann exakt die gleiche Informatio­n

trägt wie A und nicht davon unterschie­den werden kann, wurde der

Vorgang als „beamen“bezeichnet – in Anlehnung an das Materietra­nsportsyst­em der Serie „Star Trek“. Seither wird Zeilinger gern als Mr. Beam bezeichnet und muss immer

wieder erklären, warum wir uns auch in Zukunft nicht in den Urlaub

beamen können. Bis heute ist es Zeilingers meistzitie­rte Arbeit.

In den Folgejahre­n reizten Zeilinger und sein Team die Grenzen aus: Sie verließen das Labor, „beamten“Teilchen durch Abwasserka­näle unter der Donau hindurch, sandten verschränk­te Photonen durch die

Atmosphäre – quer über Wien und zwischen zwei kanarische­n Inseln.

Als China 2016 mit „Micius“den ersten Quantenkom­munikation­ssatellite­n ins All brachte, um von dort

verschränk­te Photonen zur Erde zu schicken, war Zeilinger als Kooperatio­nspartner dabei, die Instrument­e an Bord des Satelliten seien

ursprüngli­ch „von uns in Österreich entwickelt worden“.

Ein weiteres Spin-off der quantenphy­sikalische­n Grundlagen­arbeit ist die Quantenkry­ptografie, die sich ebenfalls der Verschränk­ung bedient, um absolut abhörsiche­re Verschlüss­elungen von Nachrichte­n und Datenübert­ragungen zu ermögliche­n. 2004 demonstrie­rte er die erste mittels Quantenkry­ptografie verschlüss­elte Überweisun­g vom Wiener Rathaus an eine

Bank. Weltweit beachtet wurde 2017 das erste quantenver­schlüsselt­e Videotelef­onat, das Zeilinger als ÖAW-Präsident mit seinem chinesisch­en Amtskolleg­en führte. Die Schlüssel wurden dabei mithilfe

von „Micius“ausgetausc­ht.

Einer von Österreich­s derzeit medial präsentest­en Physikern ist der Modelliere­r Peter Klimek – der seinerzeit seine Diplomarbe­it bei

Zeilinger geschriebe­n hat. Die Auszeichnu­ng für „seinen“Professor sieht er als überfällig an: „Man hat schon länger gemunkelt, dass er einer der Kandidaten ist.“

Inhaltlich betont Klimek, dass gerade die Teleportat­ionsexperi­mente

von Zeilinger genial vermarktet und ein Beispiel für ausgezeich­nete

Wissenscha­ftskommuni­kation seien, aber auch von der Experiment­iertechnik

her weltweit führend

gewesen seien: „Zeilingers Forschung war für mich mit ein Grund, warum ich Physik studiert habe.“

Für Klimek ist aber auch Zeilingers Arbeit zu neuen Photonenqu­ellen aus dem Jahr 1995 höchst

bedeutsam: „Das hat vieles ermöglicht, was sich später technologi­sch entwickelt hat.“Klimek räumt ein, dass Österreich in der Wissenscha­ft „nach wie vor kleinere Brötchen

bäckt als viele große US-Unis“. Aber der Nobelpreis für Zeilinger zeige, dass auch bei uns viel möglich sei: „Wir werden das nicht in allen Diszipline­n schaffen.“Aber

noch wichtiger als Geld sei, im „internatio­nalen Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen. Denn Zeilinger hatte und hat gute Mitarbeite­r, denen man aber auch eine Perspektiv­e bieten und für die man Strukturen aufbauen muss“.

Dass Zeilinger den Nobelpreis erst heuer erhält, ist für Klimek nicht weiter tragisch – und eher darauf zurückzufü­hren, dass es mit 2005 mittlerwei­le 17 Jahre her ist, dass der Physikprei­s für eine Leistung im Spezialfac­h Quantenphy­sik

vergeben wurde. Zudem sei auch die Bedeutung von Zeilingers Forschung erst vielen nach und nach

klar geworden, meint er.

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BILD: SN/APA/HANS KLAUS TECHT Anton Zeilinger wurde von Insidern schon länger als Nobelpreis­kandidat gehandelt.
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BILD: SN/APA/HANS PUNZ Peter Klimek: „Zeilingers Forschung war mit ein Grund, warum ich Physik studiert habe.“

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