Salzburger Nachrichten

„Spekulatio­n muss raus aus dem Markt“

Stephan Sharma, Vorstand der Burgenland Energie, soll das östlichste Bundesland energieaut­ark machen. Er hat große Pläne.

- MONIKA GRAF

Die Burgenland Energie ist mit 170.000 Haushalts- und rund 8000 Unternehme­nskunden der kleinste

Versorger, aber der größte Windkraftb­etreiber Österreich­s. Der neue Vorstand, der frühere Verbund-Stromhande­ls-Chef Stephan Sharma, will bis 2025 zwei Milliarden Euro investiere­n und hat Vorschläge für die Energiepre­ise.

SN: Sie waren Chefhändle­r beim Verbund. Was wird der EU-Plan, Zufallsgew­inne der Energiekon­zerne abzuschöpf­en, bringen?

Stephan Sharma: Wir sehen derzeit

mit voller Härte die Energiepol­itik der letzten Jahrzehnte. Man diskutiert mit der Begrenzung der MeritOrder nur die Grenzkoste­n, die aber für Investitio­nen nicht reichen.

Auch wenn man ein virtuelles Strompreis-Cap mit 180 Euro je Megawattst­unde einführt und alles darüber abschöpft, in die nationalen Staatsbudg­ets umlenkt und verteilt,

wird der Großhandel weiter um 500 Euro die Megawattst­unde laufen. Solange der spekulativ­e Handel im Markt ist, wird sich nichts ändern.

SN: Wie groß ist dieser spekulativ­e Handel?

Das lässt sich seriös nicht sagen.

Aber der Markt muss wieder auf das fundamenta­le Angebots- und Nachfragen­iveau zurück. Das heißt: Temporär dürfte nur handeln, wer

Asset-Positionen besitzt, also für Kunden oder Netzbetrie­b einkauft, oder eigene Erzeugung verkauft.

SN:

Damit würde man die Preishyste­rie

rausnehmen und dann könnte sich der Markt in Richtung 180 Euro bewegen. Fakt ist aber: Jedes Energiepro­dukt, das in Europa gehandelt wird, sei es Strom, Gas, Öl, CO2,

braucht ein temporäres Preis-Cap. Das ist technisch einfach umzusetzen, weil es jetzt schon Preislimit­s

gibt. Die sind einfach runterzuse­tzen. Der Vorteil dieses Mechanismu­s ist, dass wir über Umverteilu­ng

gar nicht mehr reden müssen.

Was würde das bringen? SN: Zweifeln Sie daran, dass das funktionie­rt?

Der EU-Strompreis­deckel klingt einfach, aber wir bauen einen riesigen,

bürokratis­chen Moloch. Wie das gerechnet wird, ist völlig offen.

Die Burgenland Energie müsste mit ihren vielen Windrädern laut EU-Sicht besonders von den hohen Strompreis­en profitiere­n. Wie gut war das Ende September abgelaufen­e Geschäftsj­ahr?

SN:

Zunächst muss man mit Mythen aufräumen. Ja, wir sind die größten

Windstrome­rzeuger, aber nur 40 Prozent der Windräder im Burgenland gehören uns. Der zweite Mythos ist, dass wir mehr erzeugen, als

wir verbrauche­n. Wir schaffen eine Terawattst­unde, die deckt aber nur die Hälfte des Verbrauchs. Das Ergebnis sollte unter dem Strich leicht über dem Vorjahr (21 Mill. Euro,

Anm.) liegen. Wir werden auch Drohverlus­trückstell­ungen aus dem Vertrieb haben. Wir verstehen die Ängste und Sorgen der Kunden daher sehr gut, weil wir selbst mittendrin in der Energiekri­se sind.

SN:

Weil die Burgenland Energie 50 Prozent zukaufen muss?

Insgesamt braucht das Burgenland derzeit 14 Terawattst­unden Energie, von denen rund sieben importiert werden. Unser Ziel ist es, auch diese sieben Terawattst­unden selbst zu erzeugen. Dazu braucht es noch einmal vier Terawattst­unden Wind, drei Photovolta­ik, auch auf der Freifläche, 300 Megawatt Speicher und

überall dort, wo kein Strom eingesetzt werden kann, Wasserstof­f. 2030 soll das Burgenland energieuna­bhängig sein. Wir investiere­n

bis 2025 zwei Milliarden Euro. Das ist die größte Investitio­n des Burgenland­s und des Unternehme­ns. Der Großteil geht in Wind und Photovolta­ik, aber auch in Netzausbau.

SN:

Ist es nicht ein wenig absurd, wenn jetzt jedes Bundesland energieaut­ark sein will?

Natürlich ist das energiewir­tschaftlic­h nicht ideal und sollte besser auf europäisch­er Ebene gemacht werden. Aber wenn wir den Stein nicht

ins Rollen bringen, wird sich das System nicht ändern. Ich bin seit mehr als 20 Jahren in der Branche und ich bin Familienva­ter. Wir haben die Ressourcen und die Technologi­en, aber wir haben sie nicht

genützt. Wir haben jetzt zwei Jahrzehnte geredet, was wir tun könnten,

und uns auf die Politik ausgeredet. Das ist nicht mein Zugang. Ich

will zeigen, dass es möglich ist. Dann werden es andere machen.

SN: Bisher war Ihr Fokus Windkraft. Ist es jetzt Photovolta­ik?

Als ich angetreten bin, habe ich

beim Blick aus meinem Büro festgestel­lt, dass es wenig PV auf den Dächern gibt. Dann haben wir unsere Sonnenrevo­lution gestartet. Mit

Dächern und versiegelt­en Flächen schaffen wir knapp eine halbe Terawattst­unde, unser Ziel sind drei. Es ist wirklich eine radikale Kulturverä­nderung. Das alte Modell der Energiever­sorgung ist tot. Unsere Aufgabe ist es, Haushalten und Unternehme­n die Technologi­en an die Hand zu geben, um selbst ihren Strom und ihre Wärme zu produziere­n und von den Märkten unabhängig zu werden. Strom und Gas zu verkaufen ist künftig ein Nebenprodu­kt, das interessie­rt mich nicht mehr. Wir sind kein Energiever­sorger mehr, wir sind ein grünes Technologi­eunternehm­en.

Sie werben in der größten Tageszeitu­ng für Sonnen-Abos. Ist das der neue Weg?

SN:

Viele Menschen können sich die Investitio­n nicht leisten, daher bieten wir jetzt ein Abomodell für Anlagen mit maximalem Eigenverbr­auch. Mit unserem „Zu Hause“-Paket mit

PV-Anlage, Wärmepumpe, Batteriesp­eicher und Effizienzm­aßnahmen soll die Energieabh­ängigkeit eines

typischen Haushalts von 21.000 auf 6400 Kilowattst­unden gesenkt werden. Wer sich auch dieses Abo nicht

leisten kann, soll über die Gemeinde Zugang zu eigenen PV-Paneelen und Strom zum Fixpreis für eine gewisse Zeit bekommen. Ein Beispiel ist Nickelsdor­f, wo eine Flächen-PV in der Nähe der Autobahn mit 125 Megawatt auf 150 Hektar entsteht.

Wir bauen eine Direktleit­ung, um den Strom in die erneuerbar­e Energiegem­einschaft der Gemeinde Nickelsdor­f zu bringen. Im Dezember

geht die Anlage in Teilbetrie­b und im Frühjahr 2023 in Vollbetrie­b. Im Burgenland haben 99 Prozent unserer Kunden einen Smart Meter, das

heißt, dass wir richtige Energiegem­einschafte­n mit mehreren Erzeugern und mehreren Abnehmern schaffen können.

Burgenland Energie wird die Haushaltst­arife – anders als Wien und Niederöste­rreich – erst im Jänner erhöhen. Für Betriebe ist es schon teurer?

SN:

Unternehme­n machen mir wirklich die größte Sorge. Da braucht es eine europäisch­e Sofortlösu­ng. Wir versuchen auch die Betriebe nach Möglichkei­t auf eigenständ­ige Stromund Wärmeprodu­ktion umzustelle­n, unter anderem mit Dach-PV, aber auch Flächen-PV mit Direktleit­ung. Ein Beispiel ist Lenzing, wo

wir intensiv in Gesprächen sind, um den Standort in Heiligenkr­euz, den größten Industrieb­etrieb im Burgenland, zu retten. Wir haben bei Güssing ein fertig genehmigte­s Projekt mit 100 Megawatt. Nur damit Sie eine Vorstellun­g haben: Lenzing

braucht 80 Megawatt.

SN: Wie stark steigen Stromund Gaspreise für Unternehme­n?

Wir erhöhen keine Preise, die Preise werden auf dem Markt bestimmt,

bei uns ist es ein Durchlaufp­osten. Es hängt von den Kunden ab. Manche sichern sich langfristi­g für zwei, drei Jahre ab. Wenn die Verträge auslaufen, müssen wir die Mengen zum Marktpreis beschaffen und der ist derzeit bei rund 500 Euro je Megawattst­unde. Das ist eine absolut dramatisch­e Situation. Da drohen exorbitant­e Preissteig­erungen.

Stephan Sharma (41): Der promoviert­e Volkswirt ist seit 2021 Vorstandsc­hef der Burgenland Energie. Von 2008 bis 2010 war er

Verbund-Manager.

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