Nicht der Rede wert
„Entschuldigen Sie, ich habe eine Frage“: Wie das Gespräch dann endete.
Im August hatte ich eine Lesung bei einem kleinen Literaturfestival in Nürnberg. Das
war einigermaßen gemütlich, denn als ich am Sonntagnachmittag bei dem Kulturzentrum angekommen bin, sind da größtenteils ältere Leute bei Kaffee und Kuchen im
Schatten gesessen und haben den Lesenden auf der Bühne zugehört. Eine halbe Stunde
lang sollte ich über meinen neuen Roman sprechen, und es ist mir einigermaßen schräg vorgekommen, bei 30 Grad und strahlendem Sonnenschein über Suizid, Gewalt und die systematische Überlastung von Müttern zu reden, aber hey, ich bin Österreicherin, ich hab ein Faible für das Makabre. Ich bin also raufgegangen zum Mikro, habe meinen Vortrag über Care-Arbeit, Geschlechterrollen und weibliche Wut gehalten, und danach hat mich einer der alten Männer abgefangen: „Entschuldigen
Sie, ich habe eine Frage.“Ich bin höflich, also habe ich genickt und gelächelt, auch
wenn ich weiß, dass Männer nach Lesungen nie mit echten Fragen auf mich zukommen, sondern nur selbst reden wollen, meistens, um mir meine eigenen Themen zu erklären. Es war daher keine Überraschung, dass er mir zwar eine Alibi-Frage
gestellt hat, mich aber in meiner Antwort unterbrochen hat, als ich noch nicht mal mit dem halben Satz fertig war. Kaum habe ich angefangen zu reden, ist er mir ins Wort gefallen mit: „Ach, das weiß ich alles.“Ich
habe laut gelacht, weil: diese Verwegenheit! Sich erst anzuhören, dass Frauen und ihre Belange systematisch unsichtbar gemacht
werden, und zwei Minuten später genau das zu versuchen – ohne die Ironie zu bemerken. Ich weiß, wieso Männer sich das trauen, und finde es dennoch immer wieder beeindruckend. Naja, die Sonne hat geschienen, ich war nicht zum Streiten aufgelegt, ich habe ihn reden lassen über Sportkommentatorinnen und Anruferinnen beim Radio, dann habe ich gesagt: „Ach, das weiß
ich alles“, und bin Kuchen essen gegangen.