Neue Lehrpläne: Wenn „Wissen“nicht reicht
WIEN. „Unleserlich verfasst“, in der Praxis „nicht umsetzbar“, mit Inhalten und Zielen überfrachtet und gleichzeitig „substanzlos“. Die neuen Lehrpläne, die in Volksschule, Mittelschule und Unterstufe im
Schuljahr 2023/24 eingeführt werden, stießen in der Begutachtung auf laute Kritik. Schwer verständliche fachliche und „nicht vermittelbare“überfachliche Kompetenzen wurden ebenso kritisiert wie Arbeitsmehrbelastung für die Lehrer und das Fehlen von Lehrbüchern.
Lehrplanentwickler wie der Fachdidaktiker und HTL-Lehrer Herbert Pichler, mitverantwortlich für den neuen Lehrplan für Geografie und wirtschaftliche Bildung (GW), heben dagegen den Schritt
vom in der Praxis oft noch recht stofforientierten Unterricht hin zu einem kompetenz- und lebensweltorientierten Lehrplan hervor.
Schon vor 20 Jahren wurde ein lernzielorientierter Lehrplan eingeführt, im Gegensatz zur früheren
reinen Stofforientierung, von der sich manche Pädagogen bis heute nicht gelöst haben. Die Idee des neuen Lehrplans sei nun, Kompetenzbeschreibungen aufzulisten,
was Schüler am Ende des Prozesses können, wissen und umsetzen sollen. Mit dem neuen Lehrplan reiche es nicht mehr, „etwas zu wissen,
man muss mit dem Wissen etwas anfangen können, man muss dieses
Wissen anwenden und bis zu einem gewissen Grad auch reflektieren und bewerten können“, so Pichler. Das mache es anspruchsvoller – auch für die Lehrer. Die drei Anwendungsbereiche gehen von „Wissen
wiedergeben“über „Anwenden in neuen Zusammenhängen“bis zum „Problemlösen“. Das ziehe sich durch den ganzen Lehrplan.
Wenn nun etwa im GW-Lehrplan von „ Chancen, Herausforderungen und Grenzen der Globalisierung“die Rede sei, kritisierten hochrangige Wirtschaftsvertreter „Wirtschaftsbashing“, weil es nicht nur um „Chancen der Globalisierung“
gehe. Wirtschaftliche Bildung dürfe aber nicht unkritisch sein, betont
Pichler, „sonst verstärken wir nur die Probleme, mit denen wir uns derzeit herumschlagen“.
In der Vorbereitung ist der neue Lehrplan aufwendiger. „Die Hoffnung ist, dass wir die Kolleginnen und Kollegen neugierig machen können.“Pichler erlebt
viel positive Resonanz in der Lehrerfortbildung. Wer behaupte, der Praxisbezug fehle, habe den Lehrplan nicht verstanden, da die Umsetzung der Kompetenzbeschreibungen an praxisnahen Beispielen erfolgen solle. Pichler: „Aus meiner Sicht fordert der Lehrplan das ein.“Der alte sei leichter zu lesen gewesen, da es einfacher sei, eine stichwortartige Sammlung von Stoff zu interpretieren, als eine Kompetenzbeschreibung in lebensnahen Unterricht umzusetzen.
Um „die PS des neuen Lehrplans auf den Boden zu bringen“, werde es unbedingt notwendig sein, niederschwellige Fortbildungsangebote in allen Bundesländern zu machen.
Auch die Kritik daran, dass der neue Lehrplan ohne Schulbücher starte, gehe ins Leere: Schulbuchverlage arbeiten seit
Jahren an neuen Büchern, die anders aussehen als die aktuellen.
Die Bücher für die erste Klasse, in der der neue Lehrplan 2023 startet, sind schon vorläufig approbiert. Es liegen teils bereits umfangreiche Handreichungen mit konkreten Unterrichtsbeispielen
vor. Und die nun kritisierten fächerübergreifenden Themen habe es als verpflichtende Unterrichtsprinzipien außerhalb der Lehrpläne längst gegeben.
Marcel Vorage, Lehrender an der PH Salzburg und Lehrer an der Mittelschule Bergheim, ist sich bewusst, dass jede Veränderung Kritik erzeugt, findet aber, dass diese den Prozess auch voranbringe. Vorage brachte bei der Erarbeitung des GW-Lehrplans
viel Erfahrung aus dem Unterricht an der Mittelschule ein: „Man darf nicht aus den Augen
verlieren, dass man mit Kindern arbeitet.“Bei Lehrplänen gehe es
letztlich um die Umsetzung in der Schule – und um die Kinder, die keine Lobbygruppe haben. Drum fordere etwa im GW-Lehrplan der erste Punkt der ersten Kompetenzbeschreibung ganz
bewusst, bei den „Wünschen und Bedürfnissen“der Kinder anzufangen.
Kompetenzbeschreibung statt Stoffanhäufung