„Mächtig in der Krise“
Im Hofburg-Wahlkampf wurde viel über die Kompetenzen des Staatsoberhaupts diskutiert. Ein Verfassungsjurist erklärt, was der Bundespräsident darf und wie er seine Macht nutzen soll.
WIEN. Die österreichische Verfassung gibt dem Bundespräsidenten
viel Freiheit und viel Macht. Verfassungsexperte Karl Stöger erklärt im SN-Interview, warum er beides am
besten nicht nutzen sollte und er trotzdem wichtig ist.
SN:
Im Wahlkampf wurde oft die Möglichkeit diskutiert, dass der Bundespräsident die Regierung entlassen kann. Aber wann darf er das eigentlich tun?
Karl Stöger: Er kann das, rein juristisch gesehen, jederzeit tun. Bei der Entlassung der gesamten Regierung
braucht er auch keinen Vorschlag vom Bundeskanzler, wie es etwa der Fall ist, wenn er nur einzelne Minister entlassen will. Die Möglichkeit, die gesamte Regierung zu entlassen,
ist dafür gedacht, um wirklich große Probleme der Regierung zu beenden. Dazusagen muss man aber, dass die Regierung ja eine Mehrheit im Nationalrat benötigt. Das bedeutet, dass der Bundespräsident bei einer Entlassung berücksichtigen müsste, dass auch die nächste Regierung die Unterstützung des Parlaments braucht. Das wurde im
Wahlkampf oft vergessen.
Manche Hofburg-Kandidaten sprechen davon, dass der Präsident die Pflicht hätte, die Regierung zu entlassen. Etwa aufgrund von Umfragen oder aufgrund vieler durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobener Gesetze. Gibt es diese Pflicht?
SN:
Nein. Aber sollte der Bundespräsident wirklich zu der Auffassung
kommen, dass die Regierung offensichtlich die Verfassung verletzt,
kann er sie eben entlassen. Aber grundsätzlich nicht schon deshalb,
weil er eine andere politische Auffassung als die Regierung hat.
Warum hat der Bundespräsident so viel Macht, die er im Normalfall nicht nutzt?
SN:
Ursprünglich wurde er vom Parlament gewählt und 1929 wurde dann die Volkswahl eingeführt. Diese
kam zwar erst später zum Tragen, aber schon damals war die Idee,
dass ein direkt vom Volk gewähltes Organ einschreiten kann, wenn es notwendig ist. Er ist vor allem mächtig in der Krise. Die starke Rolle
des Bundespräsidenten ist also schon beabsichtigt, um größere
Fehlentwicklungen zu korrigieren, die zu einer Staatskrise führen. Die
politische Gestaltung aber liegt in den Händen der Wählerinnen und
Wähler, die bei der Nationalratswahl die Mehrheiten im gesetzgebenden Organ festlegen. Tagespolitik sollte der Präsident jedenfalls
nicht machen.
SN: Die Verfassung verbietet dem Bundespräsidenten das aber auch nicht.
Die Bundesverfassung gibt dem Präsidenten bewusst keine ausdrücklichen Grenzen vor, hat aber seine Rolle, wenn man alle Regelungen
berücksichtigt, so angelegt, dass er trotz seiner Macht auch Grenzen
hat. Er kann also etwa ganz starke Richtungsentscheidungen machen,
wie es danach allerdings weitergeht, müssen dann andere Organe und nicht zuletzt die Wählerinnen und Wähler entscheiden.
Welche Qualifikationen muss man für das Amt haben?
SN:
Die Verfassung sieht neben der Staatsbürgerschaft und der Unbescholtenheit ein Mindestalter von 35 Jahren vor. Das mag überholt wirken, zeigt aber, dass man Personen mit einer gewissen Reife für dieses Amt
will, weil sie eben im Krisenfall auch sehr viel Macht und Verantwortung haben. Darüber hinaus gibt es keine Einschränkungen. Jeder und jede aus dem Volk soll die Chance haben, dieses Amt zu bekleiden. Das ist keine Besonderheit des Präsidenten. Auch für Ministerinnen und Minister sind keine
bestimmten Qualifikationen vorgesehen. Hier gilt der demokratische Grundgedanke, dass dieses Amt jede und jeder innehaben kann.
SN: Was nicht in der Verfassung steht, sind die Wesenszüge, die ein Staatsoberhaupt haben sollte. Was würden Sie sagen?
Es sollte eine Person mit der richtigen Mischung aus Aktionismus und Zurückhaltung sein. Einschreiten muss er dann, wenn es für den Staat kritisch wird. Die eigenen parteipolitischen Vorstellungen sind dabei nicht so wichtig, die sollte man daher zurückstellen. Dieser staatspolitischen Verantwortung sollte er sich bewusst sein.
SN: Kurz zu einer anderen wichtigen Kompetenz. Der Präsident ist auch Oberbefehlshaber über das Heer. Wie sieht da seine Rolle aus?
Auch hier hat er vor allem eine Kontrollfunktion und muss vieles in
Abstimmung mit dem Verteidigungsministerium machen. Er kann zwar der Verteidigungsministerin
Anweisungen geben, aber auch das ist eine Krisenkompetenz.
Warum braucht Österreich diese Rolle, wenn der Präsident meistens gar nicht einschreitet?
SN:
Er ist wichtig, damit er einschreiten
kann, wenn sonstige politische Akteure gar nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt handlungsfähig sind. So wie es nach der Ibiza-Causa war. Da hatte der Präsident eine sehr
wichtige Rolle.
Zur Person: Karl Stöger ist Verfassungsjurist am Institut für Staatsund Verwaltungsrecht der Universität Wien.