Liz Truss kämpft schon jetzt um ihr Amt
Die neue britische Premierministerin wollte auf dem Parteitag richtig loslegen. Das ist schiefgegangen.
LONDON. Liz Truss betonte auf der Parteikonferenz der Tories am Mittwoch in Birmingham erneut, dass die Senkung von Steuern ein integraler Teil ihrer Agenda sei, an der sie festhalten werde. Das Ziel: „Wachstum, Wachstum, Wachstum.“Zumindest bei den Anwesenden im Saal kam das gut an. Truss erhielt Applaus. „Sie klang selbstbewusst und hatte eine sehr klare Botschaft“, sagte Tory-Hinterbänkler
Roger Gale. Ob man dieser Botschaft folgen wolle, stehe jedoch auf einem anderen Blatt.
Denn Truss legte, gelinde gesagt, einen schlechten Start als Premierministerin hin. Nur vier Wochen nach Amtsantritt hat sie in weiten Teilen der Partei den Rückhalt verloren. Mitglieder ihres eigenen Kabinetts übten in den vergangenen Tagen offen Kritik an ihrem neoliberalen Kurs. Die Partei rutschte zudem in Umfragen ab. Laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov
kommen die Tories nur noch auf 28 Prozent. 49 Prozent der Britinnen
und Briten würden für die oppositionelle Labour-Partei stimmen.
Tories in Birmingham sprachen davon, dass sie nicht damit rechnen, dass man die nächste Wahl gewinnen
wird. „Dafür müsste schon sehr viel passieren“, sagte ein Parteimitglied gegenüber den SN. Den Untergang vor Augen, hielt sich so mancher in den Nachmittagsstunden mit Gin Tonic bei Laune.
Ausgangspunkt der Krise war das von Truss und Finanzminister
Kwasi Kwarteng vor knapp zwei Wochen angekündigte Minibudget. Es umfasste unter anderem eine Senkung der Einkommensteuer für Geringverdienende um ein Prozent. Der Spitzensteuersatz von 45 Prozent für Topverdiener sollte gestrichen werden. Außerdem wurden eine Erhöhung der Sozialversicherung und ein Anstieg der Körperschaftsteuer zurückgenommen. Finanziert werden sollte das Paket im
Wert von bis zu 245 Milliarden Pfund (280 Milliarden Euro) durch Schulden und weniger Sozialabgaben.
Nicht nur die Menschen im Land, auch die Märkte reagierten geschockt. Das Pfund fiel auf ein historisches Tief, Importe wurden teurer. Um die Pensionskassen zu retten, musste die Notenbank
in einem historischen Schritt Staatsanleihen kaufen. Die Hypothekenzinsen schnellten in die Höhe. Massiv unter Druck geraten, verkündete Finanzminister Kwarteng am Montag, dass die Regierung die Steuersenkungen für Reiche zurücknehmen wird.
Das Pfund erholte sich in den vergangenen Tagen, die Hypothekenzinsen blieben jedoch
weiter hoch. Entgegen vielen Spekulationen versicherte Truss
in ihrer gestrigen Rede, dass der Finanzminister im Amt bleibt.
Insgesamt habe sich Truss nach einer „chaotischen Konferenz der Konservativen erneut zu ihrer spaltenden Politik bekannt“, sagte Richard Murphy
von der Sheffield University Management School nach der Rede. Ihr Versprechen, die Steuern zu senken, werde im Herbst zu Sparmaßnahmen führen. „Wir
können nun wohl zusehen, wie die erfolgreichste politische Partei der Weltgeschichte in Echtzeit zusammenbricht.“