Salzburger Nachrichten

Mobilität für eine lebenswert­ere Welt

Bestseller-Autorin Katja Diehl ist überzeugt, dass es für eine erfolgreic­he Verkehrswe­nde nicht viel Technik braucht.

- FLORIAN T. MRAZEK

Brachiale Argumente, zugespitzt­e Formulieru­ngen und eingängige Beispiele aus dem „normalen Leben“– all das sind die üblichen Werkzeuge der allermeist­en Mobilitäts­experten, wenn es darum geht, die Notwendigk­eit für eine andere Art der Mobilität aufzuzeige­n.

All das kann Katja Diehl natürlich auch. Und dennoch unterschei­det sich die in Hamburg lebende Autorin und Speakerin in vielen Belangen von ihren Kolleginne­n und Kollegen. Anstatt die meiste Zeit über die Versäumnis­se der Politik zu klagen und Vielfahrer­n vorzuwerfe­n,

wie schlecht ihr Lebensstil für das Klima sei, schildert die studierte Literaturw­issenschaf­terin vor allem

positive Szenarien. Wie es wäre, wenn Parkplätze in den Städten dafür verwendet werden könnten, Bäume zu pflanzen oder Spielplätz­e anzulegen. Oder auch, wie viel Geld

wir uns durch weniger Autos sparen könnten – sogar, wenn man jetzt schon gar kein eigenes Fahrzeug besitzt.

Vor allen Dingen tut die Bestseller­autorin, die auch als PodcastHos­t erfolgreic­h ist, eines nicht: Sie stempelt Menschen, die tagtäglich

ihr Auto benutzen, nicht pauschal als gewissenlo­se Klimasünde­r ab –

ganz im Gegenteil. „Bei der Recherche zu meinem Buch habe ich mit

insgesamt 60 Menschen über ihr Mobilitäts­verhalten gesprochen. Dabei hat mich am meisten überrascht, wie viele Menschen aus den

verschiede­nsten Gründen auf das Auto angewiesen sind, um ihren Alltag zu meistern“, so Katja Diehl, die bei den diesjährig­en Salzburger

Verkehrsta­gen aus ihrem aktuellen Buch „Autokorrek­tur – Mobilität

für eine lebenswert­ere Welt“vorlesen wird.

„Die heute lebenden Menschen wurden ja seit ihrer frühesten Kindheit über das Autofahren sozialisie­rt, sind quasi mit dem Auto als Familienmi­tglied aufgewachs­en.

Das hat zur Folge, dass nicht nur Menschen am Land, sondern auch Städter nicht selten vollkommen

vom Auto abhängig gemacht wurden.“

Viele Menschen an der Armutsgren­ze, aber auch Senioren, die weniger mobil sind, sind im Alltag auf das Auto angewiesen. „Ich

habe auch mit Menschen mit Migrations­hintergrun­d gesprochen oder mit alleinerzi­ehenden Müttern, die aus Angst vor Anfeindung­en die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel meiden. Wenn man nicht der Mehrheitsg­esellschaf­t angehört, hat man oftmals keine andere Wahl. Ich hätte, ehrlich gesagt, nicht gedacht,

wie eklatant diese Schieflage in manchen Fällen ist.“

Das Hauptprobl­em ortet Katja Diehl in der seit Jahrzehnte­n gewachsene­n

Subvention des „Systems Auto“. Dabei geht es nicht nur

um die gewohnten Privilegie­n wie steuerbegü­nstigte Dienstwäge­n

oder eine Energiepol­itik, die sich seit Jahrzehnte­n mehr um die Interessen einschlägi­ger Öl-Despoten

kümmert als um die Bedürfniss­e der eigenen Bevölkerun­g: „Es fängt schon damit an, dass es in Deutschlan­d und Österreich das Grundrecht gibt, ein Auto auf öffentlich­em Grund abzustelle­n. In anderen Ländern ist es seit vielen Jahren gang und gäbe, dass man einen privaten Abstellpla­tz vorweisen muss,

bevor man ein neues Auto anmelden kann.“In diesem Zusammenha­ng weist Diehl darauf hin, dass es in den Städten weniger um den „Kampf“zwischen Autofahrer­n

und Radfahrern gehe, sondern um eine effiziente­re Raumnutzun­g. „Solange ein Auto fährt, erfüllt es

immerhin noch ein Mindestmaß an Funktional­ität. Sobald es jedoch

parkt, nimmt es nur noch überdimens­ional viel Raum in Anspruch –

und das im Durchschni­tt mehr als 23 Stunden pro Tag.“

Genervt reagiert Katja Diehl auf so manches Verkehrspr­ojekt der Zukunft. „Wir brauchen keine Hyperloops oder Flugtaxis. Diese Technikflu­cht bietet keine Lösungen für die Verkehrspr­obleme von heute. Viel klüger und einfacher

wäre es stattdesse­n, die vorhandene­n Flächen neu zu verteilen und die Menschen dabei in den Fokus zu stellen.“Während die Mobilitäts­expertin der Verkehrspo­litik Fantasielo­sigkeit vorwirft, sieht sie Österreich­s Verkehrsmi­nisterin Leonore Gewessler als Vorreiteri­n: „Dass

man ein Millionenp­rojekt wie den Lobautunne­l in Wien infrage stellt, ist mutig und wirklich notwendig“,

lobt sie. In Deutschlan­d hingegen seien aktuell weitere 850 Autobahnki­lometer geplant. Projekte, die bis dato keiner in Hinblick auf die Pariser Klimaziele hinterfrag­t hat.

Eines ist für Katja Diehl klar: „Würde ein Start-up heute ein neues Produkt namens Auto vorstellen, es würden sich keine Geldgeber

mehr dafür finden.“

 ?? BILD: SN/KATJA DIEHL ?? Bei den Salzburger Verkehrsta­gen 2022 liest Katja Diehl aus ihrem Buch „Autokorrek­tur“.
BILD: SN/KATJA DIEHL Bei den Salzburger Verkehrsta­gen 2022 liest Katja Diehl aus ihrem Buch „Autokorrek­tur“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria