„Wir leben in einer Struktur der 1950er“
Der Berliner Sozial- und Mobilitätsforscher Andreas Knie hält die Keynote bei den diesjährigen Salzburger Verkehrstagen. Im SN-Gespräch fordert er ein radikales Umdenken beim Thema Dienstwagen und ein schnelles Ende der jetzigen Förderprivilegien.
Andreas Knie ist Sozialforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Professor an der TU Berlin und gilt als einer der renommiertesten Mobilitätsforscher Deutschlands. Im Rahmen der diesjährigen Salzburger Verkehrstage
hält er die Keynote zum Thema „Zukunft der Mobilität“.
Herr Knie, vor einigen Jahren haben Sie der Autoindustrie einen radikalen Einschnitt prophezeit, wenn man die Gelegenheit für einen freiwilligen Neustart verpasst. Ist es nun so weit?
SN:
Andreas Knie: Die Hersteller machen weiterhin das, was sie schon
bisher gemacht haben: Sie biegen Blech und bauen vorrangig Verbrennungsmotoren. Das wird ihnen auf die Füße fallen, weil längst die Zeit gekommen ist für neue Antriebe, vor allem aber ein anderes Verständnis von Autos. Die bisherigen
Hierarchien drehen sich um, die Software wird die Hardware dominieren. All diese Themen werden nicht mit der notwendigen Energie angegangen.
SN: Sie orten demnach viel Marketing, aber wenig Substanz?
In der Tat. Was wir bislang sehen,
ist reine Kosmetik. Ein paar Ladesäulen hier, ein paar Förderprogramme dort. Eine Million E-Autos stehen in Deutschland 48,5 Millionen Verbrennern gegenüber. Da ist noch jede Menge Luft nach oben. Das Problem sind vor allem die steuerlichen Privilegien für den
Verbrenner. Zudem hat man sich in Brüssel mit Händen und Fußen gegen ein vorzeitiges Ende des Verbrennungsmotors stark gemacht. Das sind keine guten Zeichen für einen vorausschauenden, innovativen Standort.
Auf EU-Ebene wurden synthetische Kraftstoffe als klimaneutral eingestuft.
SN: Was halten Sie davon?
E-Fuels sind für mich ohnehin ein Hirngespinst, solange wir nicht erneuerbare Energien im Überfluss
haben. Von daher bleibe ich weitestgehend gelassen, was die tatsächlichen Auswirkungen dieser
Regelung angeht.
Aber Sie fallen zuletzt auch immer wieder als Kritiker der E-Mobilität auf.
SN:
Ich bin ein großer Freund elektrischer Antriebe. Aber man muss die
Kirche im Dorf lassen. Die Antriebsform kann nur ein kleiner Teil der notwendigen Verkehrswende sein.
Wir müssen die Nutzung des Autos massiv verbessern, man darf sich nicht hinter der E-Mobilität verstecken.
SN: Oftmals wird die noch fehlende Ladeinfrastruktur als größtes Manko des E-Autos gesehen.
Am Beispiel Tesla sieht man: Wo ein Wille, da ein Weg. Die Politik ist heute mehr oder weniger dabei, die
Versäumnisse der letzten Jahre zu kaschieren. Dabei ist auch das ein oder andere bürokratische Fördermonster entstanden. Und auch die Strukturen der Energiewirtschaft
verhindern ein schnelleres Hochlaufen. Hier könnte die Politik in der Tat noch viel mehr machen. Jeder, der Ladeinfrastruktur schaffen möchte, sollte maximal gefördert
werden. Egal, ob privat oder öffentlich. Ich sehe allerdings die Infrastruktur nicht als größten ShowStopper. Das wahre Problem ist meines Erachtens immer noch der fehlende Wille zur Abschaffung der Förderungen auf Autos klassischen Zuschnitts.
SN: Was braucht es Ihrer Meinung nach für eine echte, tiefgreifende Verkehrswende?
Das Auto ist ja nur deshalb so populär geworden, weil ihm so viele Privilegien gewährt wurden. Das fängt mit dem freien Parken im öffentlichen Raum an. In Berlin kostet jeder
freie Parkplatz der Stadt zwischen 3000 und 5000 Euro. Es müssen
ganz einfach alle finanziellen Anreize zurückgenommen werden. Allen voran die steuerliche Bevorzugung von Dienstwagen, welche die Kosten faktisch halbiert, und zwar zulasten der Steuerzahler. Und es darf natürlich keine Zersiedelungsprämie mehr geben. Das würde Milliarden einsparen und ein Gleichgewicht schaffen. In der Folge würden sich die meisten Leute nicht mehr so eindeutig für ein Auto entscheiden.
SN: Wird es eine Zeit nach dem Auto geben müssen?
Absolut. Die Dosis macht das Gift. Wir haben viel zu viele Fahrzeuge, die alles verstopfen. Das macht
mittlerweile ja auch den Autofahrern
keinen Spaß mehr. Wir haben
bei dem ganzen Förderwesen rund um das Auto vergessen, den Knopf einzubauen, mit dem man das alles
wieder runterregulieren kann.
SN:
Stichwort autonomes Fahren: Sehen Sie das als reine Utopie oder als realistisches Szenario?
Auch das wird kommen, das zeigen die Robotaxis, die in den USA und in China bereits im öffentlichen Raum
getestet werden. Das würde uns die Möglichkeit geben für ein effizientes, kostengünstiges Mobilitätssystem von Tür zu Tür. In Deutschland
und Österreich hingegen kann sich die Industrie diese Vision nur schwer vorstellen, darum macht
man das auch nur widerwillig.
SN: Welche Maßnahmen sind
nötig, um den öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen?
Man muss das vom Kopf her auf die Füße stellen: Die Öffis sind ja ein Produkt der Daseinsvorsorge, vom Staat finanziert. Das ergibt eine Vertragsstruktur, in der der Verkehrsdienstleister nichts anderes tun muss, als von A nach B zu fahren. Es
gibt keine Anreize, es ist egal, ob mehr oder weniger Passagiere drinnen sitzen. Solange sich diese Rahmenbedingungen nicht ändern,
bleibt alles, wie es ist.
SN: Ist das ein Plädoyer für die Privatisierung?
Nein, für eine intelligentere Organisation. Wir haben ja jetzt schon genug private Anbieter, die dennoch nicht effizient unterwegs sind. Es ist keine Frage von privat oder öffentlich, sondern eine des Anreizes. Es muss unternehmerisches Denken einziehen. Der Staat soll beaufsichtigen, nicht operativ tätig werden. Unternehmen sollen die attraktiven Produkte anbieten. Das ist
möglich in einem regulierten Markt, der dafür Freiräume schafft, aber auf alle Rücksicht nimmt.
SN: Würde das nicht dazu führen, dass in gewissen Regionen gar kein Bus mehr fährt?
Grundsätzlich kann kein Verkehrsmittel seine Kosten selbst erwirtschaften, auch das Auto nicht. Aber
wer denkt heute noch in Bussen? Die haben auf dem Land längst keine Existenzberechtigung mehr, die gehören in die Städte. Sinnlose Buskilometer haben wir genug. Auch Züge sollten nur dort fahren, wo sie
wirklich ausgelastet sind. Im Übrigen machen sie auch nur dann ökologisch wirklich Sinn. Wir leben hier in einer Struktur aus den 1950ern. Am Land sollte das Verkehrssystem mit On-Demand-Services völlig neu gedacht und natürlich auch subventioniert werden.
Andreas Knie lehrt als Professor für Soziologie an der TU Berlin und forscht zum Thema Mobilität.