Gaspreis im Sinkflug
Erdgas kostet auf dem Spotmarkt so wenig wie seit Monaten nicht. Warum der Preis dennoch hoch ist und wieder steigen wird.
WIEN. Die EU-Staats- und Regierungschefs werden sich am Donnerstag in Prag einmal mehr mit den Gaspreisen auseinandersetzen.
Im Vorfeld hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der
Leyen erstmals bereit erklärt, „auch eine Obergrenze auf den Preis von Gas zu diskutieren, das zur Stromerzeugung verwendet wird“.
An den Energiebörsen befindet sich der Gaspreis derzeit auch ohne Deckel im Sinkflug. Trotz der Komplettschließung von Nord Stream 1.
Was die Vermutung nahelegt, dass Putins Drohungen und Aktionen (derzeit) nicht mehr jene preistreibende Wirkung entfalten, die sie schon hatten. Ende August war der Gaspreis noch auf 308,30 Euro je Megawattstunde geklettert, als Gazprom die Lieferungen über Nord Stream 1 aus Wartungsgründen stoppte. Am Mittwoch kostete eine Megawattstunde Erdgas (zur Lieferung am nächsten Tag) an der Wiener Gasbörse CEGH unter 100 Euro
– so wenig wie zuletzt im Juni. Nicht einmal die jüngsten Sabotageakte an den Pipelines Nord Stream 1 und
2 verhinderten den Preissturz.
„Das müsste eigentlich gefeiert werden“, sagt Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung in der Regulierungsbehörde E-Control, weil es zeige, dass die Nachfrage nach Gas gesunken sei. Denn in ganz Europa sind die Gasspeicher mittlerweile voll und die Temperaturen noch relativ hoch, weshalb die Heizsaison noch nicht begonnen
hat. „Wir sind in einer Art Zwischenphase“, sagt die Expertin. Es sei aber davon auszugehen, dass sich der Trend wieder umkehre.
Spätestens wenn es kalt werde und die Heizkraftwerke voll angeworfen
würden, sei davon auszugehen, „dass die Preise wieder raufgehen“.
Für Unternehmen und Versorger, die in den vergangenen Wochen für teures Geld Gas gekauft und eingelagert haben, kommt die Entspannung an den Märkten zu spät. Auch für die Republik, die den zweiten
Teil der Gasreserve um 234 Euro je MWh erworben hat. „Es ist natürlich erfreulich, dass sich die Gaspreise auf den Märkten aktuell stabilisieren oder sogar sinken – wenn auch auf hohem Niveau. Die Marktpreise schwanken weiter stark und der Winter steht noch bevor. Unmittelbare Auswirkungen können deswegen aus der aktuellen Entwicklung nicht abgeleitet werden“, heißt es aus der Wien Energie, dem
Energieversorger mit den meisten Gaskunden in Österreich. Nicht nur die Wien Energie – die wegen der
Absicherung der Handelsgeschäfte in Liquiditätsnot geraten war –, sondern die Landesenergiegesellschaften generell kaufen Gas für
Haushalte längerfristig an der Börse oder über Handelsverträge ein. Wer etwa am Mittwoch Gas zur Lieferung 2023 eingekauft hat, musste 160 bis 170 Euro pro MWh zahlen.
Die Preisveränderungen im Großhandel schlagen daher mit
Zeitabstand auf die Stromtarife durch – außer bei sogenannten Floatertarifen. Im Fall von Unternehmen geht es meist schneller, doch auch sie sichern sich oft durch Fixpreise für gewisse Zeit ab.
Die Rohstoffexperten der deutschen Commerzbank vermuten, dass auch ein aktueller Bericht der
Internationalen Energieagentur (IEA) die Sorgen hinsichtlich Versorgungsengpässen im Winter gedämpft haben könnte. Nur falls keine Energiesparmaßnahmen ergriffen würden sowie Flüssiggas in geringem Maß importiert werde, dürften die Gasspeicherstände auf ein
kritisches Niveau von fünf Prozent fallen, so die IEA. Die IEA erwartet, dass der globale Erdgasverbrauch 2022 um 0,8 Prozent zurückgehen wird, in Europa um zehn Prozent.
In Österreich war der Gasverbrauch im August nach Daten der EControl um 17,8 Prozent geringer als
vor einem Jahr. Gemessen am FünfJahres-Durchschnitt haben Industriekunden, auf die im Sommer der Hauptteil entfällt, um ein Viertel
weniger verbraucht. „Wir analysieren, ob das eine nachhaltige Reduktion ist“, sagt Millgramm. Es könnte auch mit der Reparatur der Raffinerie Schwechat zu tun haben. Im historischen Vergleich ist ein Gaspreis
von 93 Euro allerdings noch immer sehr hoch. Über viele Jahre lag er bei
30 Euro je Megawattstunde.