Salzburger Nachrichten

Gaspreis im Sinkflug

Erdgas kostet auf dem Spotmarkt so wenig wie seit Monaten nicht. Warum der Preis dennoch hoch ist und wieder steigen wird.

- MONIKA GRAF

WIEN. Die EU-Staats- und Regierungs­chefs werden sich am Donnerstag in Prag einmal mehr mit den Gaspreisen auseinande­rsetzen.

Im Vorfeld hat sich EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der

Leyen erstmals bereit erklärt, „auch eine Obergrenze auf den Preis von Gas zu diskutiere­n, das zur Stromerzeu­gung verwendet wird“.

An den Energiebör­sen befindet sich der Gaspreis derzeit auch ohne Deckel im Sinkflug. Trotz der Komplettsc­hließung von Nord Stream 1.

Was die Vermutung nahelegt, dass Putins Drohungen und Aktionen (derzeit) nicht mehr jene preistreib­ende Wirkung entfalten, die sie schon hatten. Ende August war der Gaspreis noch auf 308,30 Euro je Megawattst­unde geklettert, als Gazprom die Lieferunge­n über Nord Stream 1 aus Wartungsgr­ünden stoppte. Am Mittwoch kostete eine Megawattst­unde Erdgas (zur Lieferung am nächsten Tag) an der Wiener Gasbörse CEGH unter 100 Euro

– so wenig wie zuletzt im Juni. Nicht einmal die jüngsten Sabotageak­te an den Pipelines Nord Stream 1 und

2 verhindert­en den Preissturz.

„Das müsste eigentlich gefeiert werden“, sagt Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilu­ng in der Regulierun­gsbehörde E-Control, weil es zeige, dass die Nachfrage nach Gas gesunken sei. Denn in ganz Europa sind die Gasspeiche­r mittlerwei­le voll und die Temperatur­en noch relativ hoch, weshalb die Heizsaison noch nicht begonnen

hat. „Wir sind in einer Art Zwischenph­ase“, sagt die Expertin. Es sei aber davon auszugehen, dass sich der Trend wieder umkehre.

Spätestens wenn es kalt werde und die Heizkraftw­erke voll angeworfen

würden, sei davon auszugehen, „dass die Preise wieder raufgehen“.

Für Unternehme­n und Versorger, die in den vergangene­n Wochen für teures Geld Gas gekauft und eingelager­t haben, kommt die Entspannun­g an den Märkten zu spät. Auch für die Republik, die den zweiten

Teil der Gasreserve um 234 Euro je MWh erworben hat. „Es ist natürlich erfreulich, dass sich die Gaspreise auf den Märkten aktuell stabilisie­ren oder sogar sinken – wenn auch auf hohem Niveau. Die Marktpreis­e schwanken weiter stark und der Winter steht noch bevor. Unmittelba­re Auswirkung­en können deswegen aus der aktuellen Entwicklun­g nicht abgeleitet werden“, heißt es aus der Wien Energie, dem

Energiever­sorger mit den meisten Gaskunden in Österreich. Nicht nur die Wien Energie – die wegen der

Absicherun­g der Handelsges­chäfte in Liquidität­snot geraten war –, sondern die Landesener­giegesells­chaften generell kaufen Gas für

Haushalte längerfris­tig an der Börse oder über Handelsver­träge ein. Wer etwa am Mittwoch Gas zur Lieferung 2023 eingekauft hat, musste 160 bis 170 Euro pro MWh zahlen.

Die Preisverän­derungen im Großhandel schlagen daher mit

Zeitabstan­d auf die Stromtarif­e durch – außer bei sogenannte­n Floatertar­ifen. Im Fall von Unternehme­n geht es meist schneller, doch auch sie sichern sich oft durch Fixpreise für gewisse Zeit ab.

Die Rohstoffex­perten der deutschen Commerzban­k vermuten, dass auch ein aktueller Bericht der

Internatio­nalen Energieage­ntur (IEA) die Sorgen hinsichtli­ch Versorgung­sengpässen im Winter gedämpft haben könnte. Nur falls keine Energiespa­rmaßnahmen ergriffen würden sowie Flüssiggas in geringem Maß importiert werde, dürften die Gasspeiche­rstände auf ein

kritisches Niveau von fünf Prozent fallen, so die IEA. Die IEA erwartet, dass der globale Erdgasverb­rauch 2022 um 0,8 Prozent zurückgehe­n wird, in Europa um zehn Prozent.

In Österreich war der Gasverbrau­ch im August nach Daten der EControl um 17,8 Prozent geringer als

vor einem Jahr. Gemessen am FünfJahres-Durchschni­tt haben Industriek­unden, auf die im Sommer der Hauptteil entfällt, um ein Viertel

weniger verbraucht. „Wir analysiere­n, ob das eine nachhaltig­e Reduktion ist“, sagt Millgramm. Es könnte auch mit der Reparatur der Raffinerie Schwechat zu tun haben. Im historisch­en Vergleich ist ein Gaspreis

von 93 Euro allerdings noch immer sehr hoch. Über viele Jahre lag er bei

30 Euro je Megawattst­unde.

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