Salzburger Nachrichten

Fad war es jedenfalls nicht

Egal, wie die Wahl am Sonntag ausgeht, fest steht, dass sich zumindest die erste Amtszeit von Alexander Van der Bellen dem Ende zuneigt. Es war eine der turbulente­sten in der Zweiten Republik.

- MARIAN SMETANA

WIEN. 53,8 Prozent. Mit diesem Ergebnis für Alexander Van der Bellen endete im Dezember 2016 nach Stichwahl, Wahlaufheb­ung, Wahlwieder­holung und Wahlversch­iebung das wohl chaotischs­te Rennen um die Hofburg in der Zweiten Republik – und es begann Van der Bellens Amtszeit als österreich­isches Staatsober­haupt. Dass die folgenden sechs Jahre für den ehemaligen

Volkswirts­chaftsprof­essor mindestens so turbulent werden sollten,

wie die Hofburgwah­l selbst, konnte damals niemand ahnen.

Am Beginn seiner Amtszeit gab sich der zweite grüne Präsident in Europa – Lettland hatte bereits einen – jedenfalls versöhnlic­h. Das musste er auch. Immerhin war das Land nach der umstritten­en Bundespräs­identschaf­tswahl und nach der Flüchtling­skrise 2015 politisch

gespalten. Mit den Worten „Österreich, das sind wir alle“betonte das neue Staatsober­haupt bei seiner

Antrittsre­de im Jänner 2017 vor der Bundesvers­ammlung den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft. Der damals rot-schwarzen Regierung, die schon kräftig ins Schlingern geraten war, richtete er aus, dass er von den Regierende­n Lösungen erwarte. Doch dazu kam es nicht mehr. Bereits Ende 2017 wurde neu gewählt und der ehemalige GrünenChef Van der Bellen stand einer Regierung aus der neuen Kurz-ÖVP und der FPÖ gegenüber. Bei deren

Angelobung passierten dem damals neuen Präsidente­n noch einige Hoppalas infolge derer sich Van der Bellen an den Kopf griff, wobei das Foto zu dieser Geschichte entstand. Die damals neue Regierung nahm es

mit Humor und Van der Bellen sollte schon bald eine gewisse Routine bei Angelobung­en entwickeln.

Überliefer­t ist von den damaligen Regierungs­verhandlun­gen, dass der

neue Mann in der Hofburg die

ebenfalls neue Regierung – und vor allem die blaue Regierungs­mannschaft – durchaus mit Argwohn beobachtet­e. So stimmte Van der Bellen der Bestellung Herbert Kickls (FPÖ) zum Innenminis­ter nur zu,

weil die ÖVP eine Staatssekr­etärin als Aufpasseri­n ins Innenresso­rt setzte. Den jetzigen FPÖ-Chef Kickl,

der dann als Innenminis­ter das Chaos im heimischen Staatsschu­tz (Stichwort BVT-Affäre) verursacht­e,

würde Van der Bellen nicht mehr angeloben. „Rückblicke­nd würde ich sagen, Herbert Kickl als Innenminis­ter war wirklich eine große Belastung“, sagte der Präsident danach einmal.

Auch seine Meinung über einen anderen Politiker hat Van der Bellen

mittlerwei­le radikal geändert: Wladimir Putin. Zwei Mal traf er auf den russischen Präsidente­n, ein Mal in

Wien im Jahr 2018 und ein Mal in Sotschi 2019. Dass das österreich­ische Staatsober­haupt damals Putin

nicht öffentlich ermahnte, obwohl dieser bereits die ukrainisch­e Krim annektiert hatte, brachte Van der

Bellen viel Kritik ein. Der Ex-Grüne

verteidigt­e seine Position zu Russland damals mit den wichtigen wirtschaft­lichen Beziehung und der Notwendigk­eit zum Dialog. Heute

bezeichnet er Putin als Diktator und erklärt, von diesem hinters Licht geführt worden zu sein.

Als Repräsenta­nt der Republik besuchte Van der Bellen auch zahlreiche andere Staaten. Seine Reisen führten ihn unter anderem nach Peking, New York, Jerusalem und in den Vatikan. Ob er jemals auf der spanischen Mittelmeer­insel Ibiza

war, ist nicht überliefer­t, sie prägte seine Amtszeit jedenfalls besonders. Nach Aufkommen des IbizaVideo­s und dem jähen Ende der türkis-blauen Regierung im Mai 2018 entschuldi­gte sich Van der Bellen in einer Fernsehans­prache bei der Bevölkerun­g für das verheerend­e Bild, das die Politik hinterlass­en habe. Gleichzeit­ig wollte er Zuversicht vermitteln und sagte den mittlerwei­le viel zitierten Satz: „So sind wir nicht.“Infolge der politische­n Umbrüche musste der Bundespräs­ident auch tief in die verfassung­srechtlich­e Werkzeugki­ste greifen,

um die Republik am Laufen zu halten. Nach der Absetzung der Regierung durch das Parlament setzte

Van der Bellen 2019 bis zu den Neuwahlen eine Expertenre­gierung ein

– inklusive der ersten Bundeskanz­lerin, Brigitte Bierlein. Es war nicht die letzte Premiere, die Van der Bellen als Staatsober­haupt stemmen musste. 2021 musste der Bundespräs­ident im Auftrag des Verfassung­sgerichtsh­ofes

Akten aus dem Finanzress­ort für den damals laufenden Ibiza-Ausschuss beschaffen,

weil ÖVP-Finanzmini­ster Gernot Blümel diese nicht liefern wollte.

Van der Bellen schickte einen Richter, um die Unterlagen zu besorgen

und das VfGH-Urteil zu exekutiere­n. Ein absolutes Novum.

Ebenso einzigarti­g für die sich zu Ende neigende Amtszeit Van der Bellens war die Tatsache, dass er sich so oft direkt an die Österreich­erinnen und Österreich­er wenden

musste wie kein Bundespräs­ident zuvor. Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Kanzler vor fast genau einem Jahr eröffnete er seine Fernsehans­prache deshalb mit den Worten: „Sie fragen sich vielleicht: Was ist denn jetzt schon wieder passiert?“Die zahlreiche­n Angelobung­en von Regierungs­mitglieder­n (in Summe 69) im Zuge der Regierungs­krisen wurden von Van der Bellen ebenfalls augenzwink­ernd

kommentier­t. Aber auch in ernster Sache musste er sich oft direkt an das Volk wenden, etwa zur Coronakris­e. Beim bisher letzten Coronalock­down im vorigen Herbst stellte er harte Wochen in Aussicht, „die

uns noch einiges abverlange­n werden. Wir alle, jede und jeder Einzelne, müssen alles dafür tun, dass die

vierte Welle gebrochen wird und die nächste verhindert werden kann“, sagte er damals.

Wenig später fasste Alexander Van der Bellen seine Amtszeit, die von Ibiza-, Corona-, Ukraine- und Regierungs­krise geprägt war, einmal so zusammen: „Fad war mir jedenfalls nicht.“

Die Amtszeit war geprägt von Krisen

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Van der Bellen gelobt Ende 2017 die türkis-blaue Regierung an.

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