Salzburger Nachrichten

„Pflege nicht bei 19 Grad möglich“

Von Pflege bis Sport, Kultur und Sozialhilf­e ist vieles in Österreich gemeinnütz­ig organisier­t. Die Teuerungen reißen große Löcher in die Budgets, die Hoffnung auf Energiekos­tenzuschus­s löst sich langsam auf.

- JULIA HERRNBÖCK

Die Reaktion im Wirtschaft­sministeri­um spricht für sich. „Sie rufen wieder wegen dieser Vereine an, oder?“, fragt eine Sprecherin am

Telefon. Gemeint sind gemeinnütz­ige Organisati­onen, die im Bereich

Soziales, Pflege, Bildung, Sport, oder Kultur tätig sind und nicht gewinnorie­ntiert ausgericht­et sind.

Im sogenannte­n „Dritten Sektor“arbeiten rund 250.000 Menschen.

Die meisten sind als Vereine organisier­t, viele auch als GmbH, Stiftung oder Genossensc­haft. Ihnen allen ist gemein, dass sie derzeit bangen,

wie sie die Teuerungen schultern sollen – nach derzeitige­m Stand

kommen nur die wenigsten für den Energiekos­tenzuschus­s infrage, der eben im Ministerra­t beschlosse­n

wurde. Dabei erwarten die meisten genau in diesem Bereich die höchsten Kostenstei­gerungen.

Mehr als 3000 Organisati­onen haben sich dem neu gegründete­n Bündnis für Gemeinnütz­igkeit inzwischen angeschlos­sen – und dem

reicht es jetzt offenbar. In einem Brief wendet sich Geschäftsf­ührer Franz Neunteufl am Donnerstag an die Bundesregi­erung und fordert

Unterstütz­ung für den Non-ProfitBere­ich.

„Wir haben bis jetzt keine

befriedige­nde Antwort erhalten, was die Hilfen für Gemeinnütz­ige

betrifft und wie sie die Kostenstei­gerung bewältigen sollen“, kritisiert Neunteufl. „Die Regierung bleibt bis

jetzt eine verbindlic­he Antwort schuldig.“

Aus dem für den Energiekos­tenzuschus­s zuständige­n Wirtschaft­sministeri­um von Martin Kocher heißt es, dass aufgrund des EU-Beihilfenr­echts eine Ausweitung der Kriterien nicht möglich sei. Die Ausnahme für kleinere Betriebe sei bereits „sehr großzügig“erfolgt. Das Förderinst­rument sei für „energieint­ensive Betriebe gedacht“und „kein Allheilmit­tel“, meint ein Kabinettsm­itarbeiter und verweist an den für Vereine zuständige­n Vizekanzle­r Werner Kogler. Dort wurden die Covidhilfe­n für NPOs abgewickel­t. Eine Zuständigk­eit für gemeinnütz­ige Organisati­onen ist im Bundesmini­steriumsge­setz jedoch nicht festgelegt.

Die meisten Gemeinnütz­igen fallen im Förderzeit­raum des Energiekos­tenzuschus­ses (1. 2. bis 30. 9. 2022) unter die Drei-Prozent-Grenze für Energiekos­ten und können

nicht ansuchen, wenn sie mehr als 700.000 Euro Umsatz machen. Für das kommende Jahr rechnen die

meisten mit einer Verdreifac­hung der Energiekos­ten. Gleichzeit­ig gibt es in sozialen Einrichtun­gen wenig Spielraum für Einsparung­en. „Ich

kann in der Pflege nicht auf 19 Grad runterfahr­en“, erklärt Martina

Vitek vom Samariterb­und. Ähnlich

beschreibt das Irina Nalis-Neuner, Obfrau des Wiener Vereins GIN für

Behinderte­nbetreuung. „Viele unserer Bewohnerin­nen brauchen regelmäßig ein Pflegebad.“Aktuell steht sie vor der Frage, ob sie sich auf ein Jahr für den zehnfach höheren Tarif verbindlic­h einlässt oder eine Gasabschal­tung riskiert. Hinzu

kommen steigende Personalko­sten und die Inflation für Lebensmitt­el und Einkäufe. Weil Preissteig­erungen in dem Bereich nicht weiterverr­echnet werden können, hofft das Bündnis auf Anpassung der Tagsätze. „Es muss etwas passieren, viele schlittern sonst in den Konkurs“, meint Vitek vom Samariterb­und.

Martin Schenk, stellvertr­etender Direktor der Diakonie Österreich,

findet klare Worte: „Der gemeinnütz­ige Sektor wird von der politische­n

Elite des Landes nicht als Wirtschaft­sfaktor gesehen. Dabei wirken die Gesetze der Ökonomie genauso wie beim Bäcker“, meint er. Beziffert wird der Bedarf vom Bündnis mit rund 200 Millionen Euro.

„Wie jedes Unternehme­n haben auch Gemeinnütz­ige Ausgaben und Einnahmen“, betont Geschäftsf­ührer Neunteufl. „Die hohen Energiekos­ten gefährden die Aufrechter­haltung der gemeinnütz­igen Leistungen.“Die großen Organisati­onen wie Rotes Kreuz, Caritas und Samariterb­und betonen, vorerst weitermach­en zu wollen. „Aber wir werden auch nicht lockerlass­en“, sagt Neunteufl.

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