„Pflege nicht bei 19 Grad möglich“
Von Pflege bis Sport, Kultur und Sozialhilfe ist vieles in Österreich gemeinnützig organisiert. Die Teuerungen reißen große Löcher in die Budgets, die Hoffnung auf Energiekostenzuschuss löst sich langsam auf.
Die Reaktion im Wirtschaftsministerium spricht für sich. „Sie rufen wieder wegen dieser Vereine an, oder?“, fragt eine Sprecherin am
Telefon. Gemeint sind gemeinnützige Organisationen, die im Bereich
Soziales, Pflege, Bildung, Sport, oder Kultur tätig sind und nicht gewinnorientiert ausgerichtet sind.
Im sogenannten „Dritten Sektor“arbeiten rund 250.000 Menschen.
Die meisten sind als Vereine organisiert, viele auch als GmbH, Stiftung oder Genossenschaft. Ihnen allen ist gemein, dass sie derzeit bangen,
wie sie die Teuerungen schultern sollen – nach derzeitigem Stand
kommen nur die wenigsten für den Energiekostenzuschuss infrage, der eben im Ministerrat beschlossen
wurde. Dabei erwarten die meisten genau in diesem Bereich die höchsten Kostensteigerungen.
Mehr als 3000 Organisationen haben sich dem neu gegründeten Bündnis für Gemeinnützigkeit inzwischen angeschlossen – und dem
reicht es jetzt offenbar. In einem Brief wendet sich Geschäftsführer Franz Neunteufl am Donnerstag an die Bundesregierung und fordert
Unterstützung für den Non-ProfitBereich.
„Wir haben bis jetzt keine
befriedigende Antwort erhalten, was die Hilfen für Gemeinnützige
betrifft und wie sie die Kostensteigerung bewältigen sollen“, kritisiert Neunteufl. „Die Regierung bleibt bis
jetzt eine verbindliche Antwort schuldig.“
Aus dem für den Energiekostenzuschuss zuständigen Wirtschaftsministerium von Martin Kocher heißt es, dass aufgrund des EU-Beihilfenrechts eine Ausweitung der Kriterien nicht möglich sei. Die Ausnahme für kleinere Betriebe sei bereits „sehr großzügig“erfolgt. Das Förderinstrument sei für „energieintensive Betriebe gedacht“und „kein Allheilmittel“, meint ein Kabinettsmitarbeiter und verweist an den für Vereine zuständigen Vizekanzler Werner Kogler. Dort wurden die Covidhilfen für NPOs abgewickelt. Eine Zuständigkeit für gemeinnützige Organisationen ist im Bundesministeriumsgesetz jedoch nicht festgelegt.
Die meisten Gemeinnützigen fallen im Förderzeitraum des Energiekostenzuschusses (1. 2. bis 30. 9. 2022) unter die Drei-Prozent-Grenze für Energiekosten und können
nicht ansuchen, wenn sie mehr als 700.000 Euro Umsatz machen. Für das kommende Jahr rechnen die
meisten mit einer Verdreifachung der Energiekosten. Gleichzeitig gibt es in sozialen Einrichtungen wenig Spielraum für Einsparungen. „Ich
kann in der Pflege nicht auf 19 Grad runterfahren“, erklärt Martina
Vitek vom Samariterbund. Ähnlich
beschreibt das Irina Nalis-Neuner, Obfrau des Wiener Vereins GIN für
Behindertenbetreuung. „Viele unserer Bewohnerinnen brauchen regelmäßig ein Pflegebad.“Aktuell steht sie vor der Frage, ob sie sich auf ein Jahr für den zehnfach höheren Tarif verbindlich einlässt oder eine Gasabschaltung riskiert. Hinzu
kommen steigende Personalkosten und die Inflation für Lebensmittel und Einkäufe. Weil Preissteigerungen in dem Bereich nicht weiterverrechnet werden können, hofft das Bündnis auf Anpassung der Tagsätze. „Es muss etwas passieren, viele schlittern sonst in den Konkurs“, meint Vitek vom Samariterbund.
Martin Schenk, stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich,
findet klare Worte: „Der gemeinnützige Sektor wird von der politischen
Elite des Landes nicht als Wirtschaftsfaktor gesehen. Dabei wirken die Gesetze der Ökonomie genauso wie beim Bäcker“, meint er. Beziffert wird der Bedarf vom Bündnis mit rund 200 Millionen Euro.
„Wie jedes Unternehmen haben auch Gemeinnützige Ausgaben und Einnahmen“, betont Geschäftsführer Neunteufl. „Die hohen Energiekosten gefährden die Aufrechterhaltung der gemeinnützigen Leistungen.“Die großen Organisationen wie Rotes Kreuz, Caritas und Samariterbund betonen, vorerst weitermachen zu wollen. „Aber wir werden auch nicht lockerlassen“, sagt Neunteufl.