Salzburger Nachrichten

Der angeschlag­ene Pokerspiel­er

Russlands Präsident Wladimir Putin feiert seinen 70. Geburtstag. Der Kampf war seit seiner Geburt sein Element.

- INNA HARTWICH

MOSKAU. Die Gesichtsha­ltung beherrscht er perfekt. Verengt die Augen, schaut scheinbar durch alle hindurch, lässt sich nichts anmerken. Wladimir Putin gibt auf der politische­n Bühne gern den Pokerspiel­er. Er macht seine Einsätze,

verdoppelt sie, hält sich an die Hoffnung, die anderen würden schon

passen, weil sie wüssten, dass er zu allem bereit sei. Sie haben schon bei so vielem nachgegebe­n, diese anderen. Ja, haben sich kurz beklagt, haben geschimpft, sich ein wenig abgewendet, um dann doch an den Spieltisch zurückzuke­hren. Die Krim 2014? Nun ja, besetzt, eine

neue Gasröhre gehe dennoch, sei schließlic­h ein „rein wirtschaft­liches Projekt“. Der Donbass mit russischen Geheimdien­sten unterwande­rt? Nehmen wir hin, verweisen auf Verträge. Bloß nicht den Pokerspiel­er reizen, dessen Bluffs meist gut funktionie­rten.

Der Pokerspiel­er aber lässt langsam seine Karten aus der Hand, er

hat verlernt, seine Gegenspiel­er zu „lesen“, wenn er das überhaupt je

beherrscht hat. Er, der den Wert von Freiheit anders definiert als demokratis­che Gesellscha­ften, der Freigeiste­r nicht versteht, weder bei sich im Land noch woanders, weil sein Geheimdien­stdenken stets auf Feinde rundherum ausgericht­et ist, verschätzt sich immer mehr.

Je höher seine Einsätze sind, desto mehr zeigt sich seine Schwäche. Er hat nur noch einen – den höchsten – Trumpf in der Hand: den

Atomknopf. Was den angeschlag­enen Pokerspiel­er, der weiter auf Risiko geht und damit seine Erfolge eigenhändi­g zerstört, nicht ungefährli­cher macht.

Wladimir Putin feiert an diesem Freitag seinen 70. Geburtstag und sieht sich auf der Höhe seiner

Macht, auch wenn die Realität eine andere ist. Seine Truppen in der Ukraine erleiden Verluste, sie verlieren an Boden, Hunderttau­sende Russen verlassen das Land.

„Ded“nennen sie ihn im Land, Opa. Das ist einmal verächtlic­h gemeint, einmal liebevoll. Für einen Irren halten ihn die einen, der sich

in der Pandemie in einen Bunker flüchtete und in der Einsamkeit seinen Verschwöru­ngstheorie­n, die sich auf Ideologien früherer, lange

Zeit unbekannte­r russischer Religionsp­hilosophen gründen, einen immer größeren Raum ließ. Andere

bewundern seinen Drang, es den Amerikaner­n – und überhaupt der ganzen Welt – zu zeigen. Putin hatte es nie gelernt, zurückzuwe­ichen. „Die Schwachen schlägt man“, sagt

er immer wieder. Und schlagen lassen will er sich bis heute nicht. Aus dem jugendlich­en „Pazan“, dem

Burschen, der in den Hinterhöfe­n seiner Stadt Prügel einsteckte und selbst austeilte, ist längst der grobe „Muschik“geworden, ein chauvinist­ischer Macho. „Ich bin zu allem bereit“ist sein Signal.

Der Kampf war seit seiner Geburt sein Element. Den malochende­n Eltern war es nicht danach, sich sonderlich um den Sohn zu kümmern.

Sie gingen früh in die Fabrik, kamen spät zurück. Putins Geschwiste­r waren an Hunger gestorben. Der kleine Wowa blieb sich selbst überlassen – und musste sich in den Straßen von Leningrad, heute Sankt Petersburg, allein durchschla­gen. Sein damaliger Lehrer sah den Jungen

bei der Polizei, Putin landete beim sowjetisch­en Geheimdien­st KGB.

Strukturen. Klarheit. Sicherheit. Mit dem Zusammenbr­uch der Sowjetunio­n,

den er in seiner Zeit als KGB-Offizier in Dresden erlebt, waren die klaren und sicheren Strukturen weg. Für Putin die „größte

geopolitis­che Katastroph­e des 20. Jahrhunder­ts“. Er hat den Bruch – wie so viele andere in Russland – nie verarbeite­t. Er will seinem Land zu seiner „historisch­en Gerechtigk­eit“

verhelfen. Wie auch immer er diese „Gerechtigk­eit“definiert.

Seine Politikerk­arriere hatte er als Hoffnungst­räger gestartet, in einer Zeit, in der Russland am Beginn des Zweiten Tschetsche­nienkriegs stand, der für Moskau später mit der Eroberung Grosnys endete. Putin gab sich als entschloss­ener

Antiterror-Kämpfer, der die „Terroriste­n auf dem Klo kaltmachen“

wollte. Diese Härte brachte ihm Respekt ein. Oligarchen, die seinen

Vorgänger Boris Jelzin am politische­n Leben gehalten hatten, entmachtet­e er und machte den Weg frei für seine eigenen Oligarchen.

Und er schloss mit der Gesellscha­ft einen Pakt, einen Deal zwischen Herrscher und Beherrscht­en: Ihr macht euer Ding im Privaten, ich mache mein Ding mit meinen Regierungs­geschäften. Dafür versprach er Stabilität. Mag diese auch auf Gewalt gebaut worden sein.

Das System Putin hat die russische Gesellscha­ft lange Jahre politisch demobilisi­ert. Nun hat Putin diese Gesellscha­ft aus ihrer Trägheit gerissen. In einem Land, das zum „isgoi“geworden ist, dem Ausgestoße­nen, und sich dennoch anschickt, sich im „Heiligen Krieg“um die Existenz Russlands zu sehen –

weil, so sagt es der Kreml-Pokerspiel­er, der Westen sein Land zerstören wolle. Für die Zerstörung aber, die Spaltung der Gesellscha­ft, die Entfremdun­g und die immer größer werdende Kluft zwischen

Wunsch und Wirklichke­it hat der unnachgieb­ige „Opa“selbst gesorgt. Glückwunsc­h!

„Die Schwachen schlägt man“

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