Die Angst vor einem zweiten Koreakrieg
Nordkorea führte diese Woche Raketentests durch, bald schon könnte das isolierte Land laut Experten Atombomben testen. Wie heikel ist die Lage?
Noch vor zwei Wochen fegte ein Taifun über Südkorea und hinterließ Chaos. Jetzt strahlt der Himmel an der demilitarisierten Zone, der Grenze zwischen Süd- und Nordkorea. Nach den Satellitenbildern ist seit Monaten alles auf dem
Testgelände Punggye-ri bereit. Nun ist es trocken und somit ideales
Wetter für einen Atomwaffentest. Experten sagen, dass Nordkorea innerhalb der nächsten vier Monate das erste Mal seit 2017 Atomwaffen testen wird. Kann eine Eskalation
noch verhindert werden?
Die Lage ist fragil. Seit knapp zwei Wochen fliegen wieder Raketen. Die USA hatten zunächst einen Flugzeugträger für gemeinsame Manöver nach Südkorea geschickt, US-Vizepräsidentin Kamala Harris reiste nach Seoul. Die Antwort aus Pjöngjang ließ nicht lange auf sich
warten: Nordkorea schoss ballistische Kurzstreckenraketen auf das Meer vor der Ostküste ab. Am
Dienstag flog nach Angaben des südkoreanischen Militärs eine ballistische Mittelstreckenrakete über die japanische Inselgruppe. Es war
bereits der fünfte Waffentest Nordkoreas in den vergangenen zehn Ta
gen und das erste Mal seit knapp fünf Jahren, dass wieder eine nordkoreanische Rakete über die japanische Inselgruppe geflogen ist.
Die Tests sind Teil einer Provokationswelle Pjöngjangs, dem es laut
UN-Sanktionen verboten ist, ballistische Raketen, die Atomsprengköpfe tragen können, zu erproben. „Nordkorea bereitet sich auf den zweiten Koreakrieg vor“, sagt Andrej Lankow bei einem Treffen in
Seoul. Er ist Direktor der Korea Risk Group, Professor an der Universität in Seoul und einer der weltweit renommiertesten Nordkorea-Experten. Die Waffen, die Nordkorea erstmalig testen will, werden „taktische Atomwaffen“sein, also kleinere Waffen, die zum Beispiel als Munition auf einem begrenzten Gefechtsfeld eingesetzt werden können.
Im April sagte Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un, dass er mit taktischen Waffen die südkoreanische Armee auslöschen wolle, sollte sie den Norden provozieren. Und er könnte Erfolg haben. Südkorea besitzt keine Nuklearwaffen und seine ansonsten hochmoderne Ausrüstung kann nichts gegen Atomwaffen ausrichten. „Bisher ging es bei den Tests nur um Abschreckung, jetzt entwickelt Nordkorea
Waffen, die einem Angriff dienen könnten“, sagt Lankow.
Der koreanische Krieg, der 1950 begann, ist nie offiziell beendet worden. Seit 1953 herrscht Waffenstillstand. Doch dass er in nächster Zeit erneut ausbricht, ist laut Lankow unwahrscheinlich. Pjöngjang
bräuchte die Unterstützung Pekings. Derzeit, und schon gar nicht
vor dem 20. Parteikongress in China am 16. Oktober, hat Peking kein Interesse an einem Konflikt vor der eigenen Haustür. „Nordkorea wartet auf den richtigen Moment. Dieser ist vermutlich nicht jetzt, aber sie
haben Ausdauer“, sagt Lankow.