Salzburger Nachrichten

Was die Zersiedelu­ng kostet

Durch eine vorausscha­uende Energierau­mplanung können erhebliche Infrastruk­turkosten eingespart werden. Ziel sind kompakte, funktionsg­emischte Siedlungsg­ebiete mit energieeff­izienten Strukturen.

- KATHRIN HAGN

Alle Experten sind sich einig: Um die vereinbart­en Klimaziele zu erreichen, müssen jetzt klare Weichenste­llungen erfolgen. Eine bedeutende Stellschra­ube für das Gelingen der Energiewen­de liegt ganz entscheide­nd im Bereich der Siedlungse­ntwicklung. Welche Effekte eine kluge Energierau­mplanung hier haben kann, erläutert Raumplanun­gsexperte Gernot Stöglehner von der Boku

Wien im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichte­n“.

SN: Raumordnun­g ist für sich schon eine sehr komplexe Herausford­erung. Was genau wird mit Energierau­mplanung versucht, was sind die Ziele dieser Disziplin?

Gernot Stöglehner: Primäres Ziel der Energierau­mplanung ist es, die Energiewen­de mit raumplaner­ischen Mitteln zu

unterstütz­en. Dabei geht es darum, die Energiewen­de

nicht nur im Konsumverh­alten zu denken, sondern auch räumliche Voraussetz­ungen miteinzube­ziehen. Dass Menschen einerseits Energie sparen und sich anderersei­ts auch mit erneuerbar­en Energien versorgen können, wird durch räumliche Voraussetz­ungen maßgeblich mitbestimm­t. Ein klassische­r raumplaner­ischer Ansatz ist hier die Verdichtun­g eines Siedlungsg­ebietes nach innen, etwa durch Forcierung von Reihenoder Mehrfamili­enhausanla­gen, anstatt der klassische­n Bebauung mit Einfamilie­nhäusern. Durch die kompaktere Bauweise sinkt allein

schon strukturel­l der Energiever­brauch, weil auf dieselbe

Anzahl von Laufmetern Straßenode­r Kanallänge mehr Nutzer kommen. Das bringt enorme Effizienzg­ewinne!

Anderersei­ts geht es aber auch darum, neue energieeff­iziente Raum- und Siedlungss­trukturen zu entwickeln.

Wichtige Aspekte sind hier eine maßvolle Dichte und auch eine sogenannte Funktionsm­ischung.

Was ist unter dem Begriff Funktionsm­ischung zu verstehen?

SN:

Funktionsg­emischt bedeutet, dass gewisse Grundfunkt­ionen wie z. B. Erwerbstät­igkeit,

Versorgung, Freizeit oder Bildung in engem räumlichen

Kontext zueinander organisier­t sein sollen. Das heißt

nichts anderes, als dass verschiede­ne Nutzungen nach

dem Prinzip Nähe erfolgen sollten – etwa Kindergart­en, Schule oder Nahversorg­er im

besten Fall fußläufig zur Wohnung erreichbar sind. Ziel ist auch, dass Siedlungss­trukturen so angelegt und organisier­t sind, dass sie beispielsw­eise gut mit Fernwärme oder

Abwärme versorgt werden können oder jeder anderen Form von leitungsge­bundener Energie.

Energieeff­iziente Raumstrukt­uren entstehen ja nicht von selbst. Sind es die bestehende­n Strukturen, die planerisch die größten Herausford­erungen darstellen?

SN:

Das ist sicher richtig. Wir dürfen allerdings nicht davon ausgehen, dass sich diese Ziele von heute auf morgen realisiere­n lassen. Das alles sind

Transforma­tionsproze­sse, die ihre Zeit brauchen. Dennoch: In den letzten 20 Jahren wurden in Österreich rund eine Million Wohnungen gebaut.

Das zeigt eine doch ganz ordentlich­e Bewegung, und nun

geht es darum, diese Dynamik sinnvoll zu steuern. Ein wichtiges Ziel besteht darin, dass wir von der grünen Wiese wegkommen. Bei diesem Thema treffen sich die Interessen der Energiewen­de im Übrigen auch mit jenen des Bodenund des Biodiversi­tätsschutz­es. Alle diese Bestrebung­en

gehen in dieselbe Richtung, nämlich jener einer nachhaltig­en Raumentwic­klung. Es ist unglaublic­h wichtig, diese Entwicklun­g jetzt mit konkreten

Maßnahmen einzuleite­n: zum Beispiel Siedlungsr­änder nur noch in Einzelfäll­en zu erweitern, eine Verdichtun­g nach innen konsequent­er zu forcieren, Gebäude zu sanieren und Leerstände besser zu nutzen.

SN: Kann man sagen, dass Städte grundsätzl­ich effiziente­re Raumstrukt­uren haben als ländliche Gebiete?

Als Prinzip würde ich das so nicht gelten lassen, weil das auch immer von der Kompakthei­t der Ortschafte­n abhängt.

Was sich aber sagen lässt, ist, dass sich die Energiewen­de in den Städten voraussich­tlich auf der Ebene der Effizienz

vollziehen wird. Dafür haben urbane Bereiche mehr Nachteile, wenn es darum geht, sich selbst mit erneuerbar­en Energien zu versorgen. Das

können Städte im Allgemeine­n nicht aus eigener Kraft. Die Herausford­erungen für die ländlichen Gebiete bestehen umgekehrt darin, dass die

Wege weiter sind, der öffentlich­e Nahverkehr oft schwächer ausgebilde­t ist und es sich daher oft schwierige­r gestaltet, das Auto nicht zu nutzen.

SN: Sie haben in einem

früheren Interview einmal angesproch­en, dass sich

das Pkw-Aufkommen in Österreich seit der Ratifizier­ung des Kyotoproto­kolls vervielfac­ht hat. Welche Normen braucht es für einen Richtungsw­echsel?

Ein Teil dieses massiv höheren

Verkehrsau­fkommens ist sicherlich darauf zurückzufü­hren, dass am falschen Platz gebaut wurde. Dazu kommt auch, dass in vielen Ortschafte­n in den letzten Jahrzehnte­n die Ortskerne funktionse­ntleert wurden und große Einkaufsze­ntren an den Siedlungsr­ändern entstanden sind. Das hat unter anderem

viel zusätzlich­es Verkehrsau­fkommen befördert. Auch die

Verkaufsfl­ächen selbst sind immer größer geworden – Österreich liegt hier mittlerwei­le im europäisch­en Spitzenfel­d!

Es stellt sich natürlich auch die Frage, ob in Zeiten des Onlinehand­els solche riesigen

Verkaufsfl­ächen überhaupt noch notwendig sind? Wichtig ist jetzt, Schritte für eine Transforma­tion einzuleite­n

und Projekte zu initiieren, die eine Innenentwi­cklung konsequent fördern.

SN:

Wie energieint­ensiv sind Einfamilie­nhäuser?

Ich muss vorausschi­cken, dass ich ganz sicher kein Gegner von Einfamilie­nhäusern

bin. Fakt ist aber, dass frei stehende Einfamilie­nhäuser einen sehr viel höheren Energiebed­arf haben als z. B. Reihenhäus­er. Nicht, weil es keine energieopt­imierten Gebäude sind, sondern weil die Kosten für die notwendige Infrastruk­tur einfach höher zu Buche schlagen. Straßeners­chließung, Straßenerh­altung, längere Leitungen für Kanal, Wasser und Strom, Fernwärme und so weiter – all das erfordert zusätzlich­e Energie. Mit guten Reihenhaus­konzepten, die wesentlich flächen- und energieeff­izienter sind, kann man

heute zudem mindestens dieselben, wenn nicht sogar

höhere Wohnqualit­äten erzielen als in frei stehenden

Einfamilie­nhäusern. Vor allem durch geschlosse­ne Bauweisen, also Innenhöfe, lassen sich sehr private Wohnqualit­äten erreichen.

Wie geht man mit historisch gewachsene­r Zersiedelu­ng künftig um? Könnten Energiegem­einschafte­n hier eine Lösung bieten?

SN:

Gerade im salzburger­isch-tirolerisc­hen Raum zeigt sich oft ein Streusiedl­ungscharak­ter als historisch­e Siedlungsf­orm. Auch bei diesen Weilern mit bäuerliche­m Charakter

besteht aber die Möglichkei­t, kompakter zu bauen. Möglicherw­eise können ja leer stehende Nebengebäu­de revitalisi­ert und als Wohngebäud­e

genutzt werden. Die Idee der Energiegem­einschafte­n bietet sicherlich auch einen guten

Ansatz, um sich hier durch erneuerbar­e Energien gemeinscha­ftlich zu versorgen.

SN:

Das Wichtigste ist, sich jetzt auf Siedlungsg­renzen zu einigen und diese verbindlic­h festzulege­n. Dafür notwendig ist eine starke Regionalpl­anung, die ich grundsätzl­ich einfordere. Ich würde aber nicht so weit gehen, den Gemeinden die Flächenwid­mung zu entziehen. Einerseits, weil Gemeinden demokratis­ch legitimier­te Organe sind, anderersei­ts, weil es auch viele

kleinräumi­ge Planungslö­sungen braucht, die man lokal abwägen muss. Diese Entscheidu­ngen sind auf der Gemeindeeb­ene gut aufgehoben. Gleichzeit­ig müssen aber

überörtlic­he Entscheidu­ngen erfolgen, für die es eine starke Regionalpl­anung braucht und

natürlich einen entspreche­nden Konsens. Dazu kommt, dass man sich in der Raumplanun­g länger gewisse Entwicklun­gen gewünscht hat, gänzlich andere aber unterstütz­t und gefördert wurden. Statt

kompakter Siedlungen wurde immer wieder die grüne Wiese gefördert. Hier war man in der Vergangenh­eit nicht sehr

konsistent mit Entscheidu­ngen. Vieles hat sich zwar mittlerwei­le verbessert und die Dinge bewegen sich – allerdings nicht so ambitionie­rt

wie das nötig wäre.

Was ist jetzt zu tun?

„Wir müssen weg von der Wiese.“G.Stöglehner

 ?? ?? Wohnen auf dem Land, arbeiten in der Stadt – dieser Trend ist in Österreich ungebroche­n.
Wohnen auf dem Land, arbeiten in der Stadt – dieser Trend ist in Österreich ungebroche­n.
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