Salzburger Nachrichten

Wenn der Regen ausbleibt: „Wir zählen jeden Tropfen“

Kaum Niederschl­ag, versiegte Quellen, Existenzan­gst: Die Trockenhei­t ist 2022 auch dort angekommen, wo man sie nicht vermuten würde. Zum Beispiel im Wienerwald.

- ANDREAS TRÖSCHER

WIEN. Der Osten Österreich­s wurde 2022 von einer schweren Trockenhei­t heimgesuch­t. Vor allem im südlichen Niederöste­rreich und im Nordburgen­land verschwand­en Seen und Flüsse, das Grundwasse­r sank teils um mehrere Meter ab. Doch auch Gegenden, in denen man es nie und nimmer für möglich

halten würde, leiden mittlerwei­le an massivem Wassermang­el.

Zum Beispiel der westliche Wiener Stadtrand. Dort, wo der Wald gerade in allen Farben leuchtet. Die

Wiesen, mit Tau überzogen, strotzen vor Kraft. Die Böden lehmigfeuc­ht. Der staubige Sommer –

längst vergessen. Und mittendrin, am Fuße des Hermannsko­gels: das Gasthaus zum Agnesbrünn­l. Pferde

grasen, dazu ein liebevoll gepflegter Garten, Obstbäume – ein Idyll wie aus dem Bilderbuch. Sollte man meinen.

Sabine März weiß nicht, wie lange sie den Betrieb noch aufrechter­halten kann. Denn sie hat kein Wasser mehr. „Die beiden Quellen, die

uns versorgt haben, sind versiegt.“Sie öffnet die Klappe zur Zisterne. Fassungsve­rmögen: 16.000 Liter. „Irgendwo da unten ist das Wasser.“Es werden etwa 1500 Liter sein. Im

Vorjahr sei es sich noch knapp ausgegange­n mit dem Vorrat. „Heuer nicht mehr.“Drei Tankladung­en

Wasser musste sie zukaufen. „Die Rechnung kommt noch.“Es werden wohl 500 Euro sein. Pro Lieferung.

„Es regnet nicht weniger oft als

früher. Aber die Menge hat extrem abgenommen“, hat März beobachtet. Das kann sie sogar belegen. Denn im Gasthaus zum Agnesbrünn­l wird seit 1974 täglich der Niederschl­ag gemessen. Ehrenamtli­ch, versteht sich. Einmal im Monat

werden die Daten an die Magistrats­abteilung 45 abgeliefer­t.

Dort sagt Thomas KozuhSchne­eberger, Leiter der Gruppe Gewässerin­formation: „Es gibt rund 800 Grundwasse­rmessstell­en in

Wien. Eine generelle extreme Abnahme der Pegel ist zurzeit nicht erkennbar.“Das liege größtentei­ls an der Donau, die vieles auffange. Wie sich die Situation in den Hügeln im

Westen darstellt, müsse man sich genauer ansehen.

Sabine März beginnt in den Aufzeichnu­ngen zu blättern. Oktober 1974 bis September 1975: 774 Liter

pro Quadratmet­er. Darunter Monate mit null Niederschl­ag und welche mit fast 200 Litern pro m2. Zum Vergleich: 2022 waren es 285 Liter pro m2 – in den ersten sieben Monaten.

Das Gasthaus zum Agnesbrünn­l ist ein beliebtes Ausflugszi­el. Immer wieder kommen Schulklass­en

vorbei. „Denen muss ich sagen: Es tut mir leid, aber ihr könnt eure Trinkflasc­hen nicht bei uns auffüllen.“2009 hat die Stadt Wien angeboten, das Gasthaus ans Leitungsne­tz

anzuschlie­ßen. „Wir hatten

kein Interesse. Es war ja viel mehr Wasser da, als wir brauchen konnten“, erinnert sich März.

Wozu also Anschlussk­osten von mehr als 5000 Euro bezahlen?

Nun wurde mit der Wünschelru­te eine dritte Quelle ausgemacht. Mitte November: Bodenradar. Dann: Bohrung. Doch das wird dauern. Muss man alles erst

bewilligen lassen. Und nachweisen, dass es sich um einwandfre­ies Trinkwasse­r handelt. Sabine März sagt: „Wenn das nicht hinhaut, haben wir ein Problem.“

Was bleibt, ist die Hoffnung. „Wir zählen jeden Tropfen.“

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BILD: SN/ANDREAS TRÖSCHER Sabine März mit der gemessenen Tagesmenge Regen: Es ist immer viel zu wenig.

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