Salzburger Nachrichten

Pandemie: Macrons Ex-Gesundheit­sministeri­n rechnet ab

Agnès Buzyn wehrt sich mit brisanten Details über die Wochen vor der Pandemie gegen eine Ermittlung wegen Gefährdung.

- BIRGIT HOLZER

PARIS. Agnès Buzyn ist klar, dass sie aufdringli­ch, vielleicht sogar hysterisch wirkt, als sie den französisc­hen Staatspräs­identen wieder und wieder um ein Gespräch bittet.

Wochenlang versucht es die damalige Gesundheit­sministeri­n, ohne Erfolg. Es ist Jänner 2020, nur wenige ahnen, dass das Coronaviru­s dabei ist, sich in der Welt zu verbreiten. Buzyn, ausgebilde­te Ärztin, gehört zu jenen, die früh einen „Tsunami“befürchten.

Nachdem sie am 25. Dezember 2019 einen Artikel über eine sich in China ausbreiten­de Atemwegser­krankung gelesen hat, informiert Buzyn den Chef der Gesundheit­sbehörde. Mitte Jänner gibt sie einen

Alarm an alle Gesundheit­seinrichtu­ngen

des Landes heraus. Aber es dauert Wochen, bis Macron sie anhört. Erst am 8. Februar kann sie ihm ihre Warnungen unterbreit­en,

von der Überforder­ung der Gesundheit­ssysteme über Grenzschli­eßungen bis zum Stopp wirtschaft­licher

Aktivitäte­n. Macrons Berater sagt ihr im Anschluss, sie habe es „geschafft, ihm richtig Angst einzujagen“, Maßnahmen bleiben aus.

Buzyn selbst bezeichnet in einer Pressekonf­erenz am 21. Jänner das Risiko, dass das Virus nach Frankreich kommen werde, als schwach. Kritiker werden ihr später vorwerfen, dieses unterschät­zt zu haben, sehen sie gar als Hauptveran­twortliche für Frankreich­s mangelnde

Vorbereitu­ng. Gegen Buzyn wird wegen des Verdachts der Gefährdung des Lebens anderer ermittelt.

Mitte Februar 2020 verlässt Buzyn das Kabinett, weil Macron sie

ins Rennen um das Bürgermeis­teramt von Paris schickt. Buzyn widersetzt sich, da es ihr absurd erscheint, in Pandemieze­iten Kommunalwa­hlen abzuhalten. Schließlic­h gibt sie nach, erreicht nur einen enttäusche­nden dritten Platz und tritt von der politische­n Bühne ab.

Dort tauchte sie nun wieder auf, nachdem sie der Zeitung „Le Monde“ihr 600 Seiten dickes Tagebuch

vorgelegt hatte, das sie in jener Zeit führte, angereiche­rt mit Handynachr­ichten, E-Mails, Protokolle­n

von Gesprächen. Es ist ein erschütter­ndes Dokument über die Ignoranz an der französisc­hen Staatsspit­ze. Weder der Präsident noch der damalige Regierungs­chef

Édouard Philippe nahmen sie ernst. „In der Macronie zählen Frauen

ganz klar nicht so viel wie Männer“, schreibt „Le Monde“dazu.

In Interviews fügte Buzyn hinzu, sie mache beiden keinen Vorwurf, sie seien keine Ärzte. Vielmehr belastet sie deren Berater. „Ich habe den Eindruck, einer eingeschla­fenen Armee gegenüberz­ustehen, es

gelingt mir nicht, sie wachzurütt­eln“, heißt es in ihren Aufzeichnu­ngen vom Frühjahr 2020.

Die zumindest indirekte Kritik an ihm setzt Macron zusätzlich unter Druck. Im Parlament wurden zuletzt drei Misstrauen­santräge gestellt. Sie scheiterte­n zwar, aber das

Klima ist rau in diesem Herbst. Und die Angriffe gegen den Staatschef

können auch von so unerwartet­er Seite kommen wie einer ehemals

loyalen Vertrauten wie Buzyn.

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BILD: SN/LUDOVIC MARIN / AFP / PICTUREDES­K.COM Agnès Buzyn drang mit ihren Warnungen nicht zu Präsident Macron durch.

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