Was hat Elon Musk mit Twitter vor?
Der Milliardär will mehr Redefreiheit auf Twitter. Und könnte damit Hass und Hetze befördern.
WASHINGTON. Der Vogel ist frei. Mit diesen programmatischen Worten –
und einem entsprechenden Tweet in englischer Sprache – begann am Donnerstagabend, kurz nach Büroschluss an der Westküste, die neue
Ära des Kurznachrichtendiensts Twitter. Autor des Tweets war, keine Frage, Elon Musk, der neue Besitzer des Internetunternehmens.
Der reichste Mann der Welt, der auch an der Spitze des Autobauers Tesla und des Weltraumunternehmens SpaceX steht, ist nun Alleinherrscher über Twitter. Am Freitag
wurde an der New Yorker Börse der Handel mit den Aktien des 2006
gegründeten Diensts eingestellt. (Musk wird für jedes Wertpapier 54,20 Dollar bezahlen oder 50 Cent
mehr, als die Aktie am Donnerstag zu Handelsende wert war.)
Musk hat viel vor mit Twitter, obwohl er sich zuletzt mit Händen
und Füßen geweigert hatte, den im Frühsommer unterzeichneten Kaufvertrag zu erfüllen. Bereits am Donnerstag entließ er die bisherige Führungsspitze um Konzernchef Parag Agrawal und Finanzvorstand Ned Segal. Dieser Schritt könnte der
Vorbote einer veritablen Entlassungswelle sein, hatte Musk in den
vergangenen Wochen doch angekündigt, er wolle „75 Prozent“der 7500 Twitter-Angestellten loswerden. Am Mittwoch ruderte Musk allerdings während einer Visite des Firmenhauptsitzes in San Francisco zurück und sagte, er wolle diese Ankündigung nicht umsetzen.
Nach Abschluss dieser „Säuberungswelle“will der Alleinbesitzer die Sperren rückgängig machen,
mit denen die alte Twitter-Spitze
Userinnen und User bestrafte, die
gegen interne Regeln verstoßen hatten. (Der wohl bekannteste Ex-Twitter-User, Ex-US-Präsident Donald Trump, gab allerdings am Freitag
bekannt, dass er seinem eigenen Internetdienst Truth Social zumindest vorerst treu bleiben wolle.)
Der 51-jährige Musk möchte mit diesen Maßnahmen sein Versprechen
erfüllen, den Kurznachrichtendienst wieder zu einem Marktplatz von Ideen zu machen, auf dem sich Politikerinnen, Medienschaffende, reiche Unternehmer und
ganz normale Menschen austauschen können, ohne Angst zu haben, bestraft zu werden. Gleichzeitig hat Musk bereits bekräftigt, dass
Twitter unter seiner Ägide nicht zu einem „free-for-all hellscape“, einer verwüsteten Landschaft, in der alles möglich ist, verkommen
wolle – auch weil dies die Werbekunden abstoßen könnte.
Der neue Kurs wird einer Gratwanderung gleichkommen, auch weil der Begriff der Meinungsfreiheit in den USA ganz anders ausgelegt wird als zum Beispiel in Österreich. So ist in Amerika selbst die
Verbreitung von rassistischem und antisemitischem Gedankengut
durch den ersten Zusatz zur Verfassung geschützt; das First Amendment verbietet es dem Gesetzgeber ausdrücklich, das Recht auf freie
Meinungsäußerung einzuschränken. Unterschiede existieren auch bei den gesetzgeberischen Auflagen, an die sich digitale Plattformen halten müssen. Am Freitag sagte deshalb Thierry Breton, in der EUKommission zuständig für den Binnenmarkt: „In Europa wird der Vogel nach unseren Regeln fliegen.“Diesen Tweet illustrierte der Franzose mit der europäischen Fahne.
Wichtiger aber scheint, dass Musk künftig eine Plattform besitzt, auf der er uneingeschränkt seine
Ideen verbreiten kann. (Musk hat auf Twitter mehr als 110 Millionen
Follower.)
Musk twitterte politisch und sorgte damit für Wirbel
Und weil der reichste Mann der
Welt sich neuerdings als Weltpolitiker sieht und sich häufig in Krisenherde einmischt, wird diese Entwicklung nicht nur im Weißen Haus in Washington mit Sorge beobachtet. Allein in den vergangenen Monaten sorgte Musk mit seinen realitätsfernen Vorschlägen zur Beendigung des Ukraine-Kriegs, mit seiner Unterstützung für die Protestbewegung
im Iran und mit Ideen zur Lösung des Konflikts zwischen China und Taiwan für Aufregung.
Diese Aussagen sind nicht immer schlüssig. So veröffentlichte Musk
via Twitter einen angeblichen Friedensplan für die Ukraine, der auch vom Kreml in Moskau hätte lanciert werden können. Gleichzeitig leistet er über seine Firma SpaceX einen
wichtigen Beitrag dafür, dass die Ukraine immer noch ans Internet angeschlossen ist. Und obwohl diese Versorgung über Starlink-Satelliten jeden Monat Millionen Dollar
kostet, gab Musk kürzlich bekannt, dass er den Dienst mit seinem eigenen Geld aufrechterhalten werde.
Musk bezeichnet seine Tweets als „therapeutisch“und scheint bisweilen ehrlich erstaunt darüber zu sein, dass sie ein derart großes Echo auslösen. Und natürlich gefällt er sich auch in der Rolle des Provokateurs und Pausenclowns, der sich nicht an Auflagen halten muss, die
vom Establishment (ohne seinen Input) definiert wurden.
„Ich spiele auf Twitter den Narren und schieße mir oft selbst ins Knie“, sagte Musk kürzlich der „Financial Times“. „Ist das nicht unterhaltsam?“