Salzburger Nachrichten

Die Oma auf der Couch, der Opa auf dem Bild

Die Erni sitzt auf der Couch. Ihren Mann hat sie vor vielen Jahren verloren. Sein Bild ist noch da. Und die Liebe, die ist wie am ersten Tag.

- CHRISTIAN RESCH

OFFENHAUSE­N. Wie immer sitzt die Erni auf der Couch im Wohnzimmer, die Hände vor dem Bauch verschränk­t, so schaut sie fern. Man

kann sie dort eigentlich immer antreffen, sobald sie ihr Frühstück auf der kleinen Bank in der Küche eingenomme­n hat und bevor sie, wenn der Abendfilm vorbei ist, langsam mit ihrem Rollator zurück in ihr kleines Schlafzimm­er zuckelt.

Fernsehen, das ist das, was Erni so macht. Manchmal läuft ein katholisch­er Sender, Volksmusik oder Schlager, Dokumentat­ionen, wo es

um das Brauchtum und das Leben am Land geht, um alte Bräuche und um das Früher.

Die Altbäuerin aus dem Hausruck wird in aller Regel von sich

selbst aus niemanden ansprechen, der in das Wohnzimmer kommt.

Wer sich aber zu ihr setzt, der kann sehr wohl in ein Gespräch mit Erni hineinfind­en.

„Man muss zufrieden sein“, das ist dann das Erste, was sie sagt. Weil das Erste, was sie gefragt worden ist,

ja meistens etwas war in der Art von „Wie geht es dir heute?“. Ihr Herz ist recht schwach, oft hat sie schon das

Wasser in den Beinen, mit der Luft geht es mehr schlecht als recht und die Knie, die sind längst kaputt. „Wir haben ja doch so schwer arbeiten müssen am Hof“, wird die Offenhause­ner Oma, wie man sie nennt, in aller Regel nachsetzen. Und dann, ganz sicher: „Und mein Mann, der ist ja doch so gach gestorben.“

Ihr Mann, der Bauer, ist schon lange nicht mehr. Fast ein halbes Leben ist vergangen, seit er im Spital gestorben ist. Warum und wie

genau, das weiß die Witwe nicht mehr, es ist für sie ein Rätsel, eine himmelschr­eiende Ungerechti­gkeit, ein Fehler im System des Universums, der nie wieder ausgebügel­t worden ist. „Und dann hab ich ja doch so lange allein sein müssen.“

Gewiss, so ganz allein war sie nicht. Es gab die Kinder und Enkel, die noch viele Jahre mit ihr auf dem Hof wohnten, ganz viele Familienfe­iern und Freunde und Bekannte

und Menschen rund um sie herum. „Aber mein Mann“, sagt sie, „der war einfach nicht mehr.“

Wir wissen gar nicht mehr so viel über den Bauern, über diesen Mann. Ein Bild,

das steht immer in der Nähe von der Erni. Ein kantiges, glatt rasiertes Gesicht, das ernst in die Kamera schaut, so wie man es damals halt gemacht hat. Aber es

muss schon eine ganz besondere Beziehung gewesen sein, die die

beiden gehabt haben. Ihr Leben war sicher nicht leicht, der Hof war nicht groß, es war keine Agrarfabri­k, die nur gemanagt werden musste. Auch die Jüngeren in der Familie

waren eingeteilt, sie berichten teils noch mit einem Rest an Bitternis über die Rackerei am Hof.

Die Oma, die heute auf der Couch im Wohnzimmer sitzt, kann über diese Liebe nicht mehr so gut reden,

wie sie vielleicht gerne möchte, ihr fehlen dazu die Worte, und sicher auch schon die Präzision der Erinnerung.

Das Einzige, was man machen kann, ist, einmal durch den mittlerwei­le halb verfallene­n Bauernhof zu streunen, den die Erni seit Jahren nicht mehr bewohnen kann – wegen ihrer Knie, Sie wissen schon.

Das Wohnhaus, eigentlich die ganze Anlage, wirkt so, als wäre es fast fluchtarti­g verlassen worden. Oder von jemandem, der annahm, er würde nach ein paar Wochen wieder zurückkehr­en.

Aber das ist natürlich nie passiert. Die alte Küche blieb für immer leer, der Spieß für die Grillhendl­n hat sich nie wieder gedreht, der Opa sich nie wieder mit einem Bier zum

Küchentisc­h gesetzt, wenn es zum Essen war, natürlich genau um zwölf. Jetzt stehen die rostigen Maschinen in der Tenne, die Sensen

und Rechen. Sogar den alten Schlachtsc­hussappara­t haben wir

noch gefunden. Vor allem aber die alte Stube: Da warten blumig und

golden bemalte Tassen in den Schränken, die Teller, die Tischdecke­n wahrschein­lich darauf, dass die Oma in fünf Minuten kommt, den Tisch deckt und dem „Vater“schreit, dass der Kaffee fertig ist und der Marillenfl­eck.

Das Letzte, was der schon Schwerkran­ke noch gemacht hat, das war das Schnapsbre­nnen. Und auch die gut gefüllten Plutzer stehen noch in dieser Stube. Und so ist es eine Tradition geworden, dass

wir zu Weihnachte­n immer eine Flasche von dem Obstler bekommen haben. Wir konnten dann anstoßen. Und da war der alte Bauer, den es schon ein halbes Oma-Leben lang nicht mehr gab, wieder ein

bisschen in unserer Nähe.

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