Salzburger Nachrichten

Am Totenbett des Vaters

Wie begleitet man die eigenen Eltern während des Sterbens?

- INGO HASEWEND

Maren Wurster hat am Bett ihres Vaters drei Tage Totenwache gehalten. Schon zuvor hat sie über die unheilbare­n Krankheite­n ihrer Eltern ein Buch geschriebe­n. Es ist ein herausford­ernder Prozess. Der aber sehr erfüllend sein kann.

Wir haben das Sterben profession­alisiert. Die meisten Menschen sterben in Kranken-, Pflege-, Hospiz- oder Palliative­inrichtung­en. 75 Prozent wünschen sich zwar den Tod daheim oder haben keine Präferenz, aber nur ein Viertel der Menschen stirbt tatsächlic­h in den eigenen vier Wänden. Maren Wurster hat ihren krebskrank­en Vater beim Sterben begleitet, drei Tage lang an seinem Bett Totenwache gehalten und ein Buch geschriebe­n („Totenwache“, Leykam, 116 S., 20,50 Euro).

Was war für Sie die wichtigste Erfahrung in dieser Sterbebegl­eitung?

SN:

Maren Wurster: Für mich war es eine fasziniere­nde Erfahrung, dass der Tod ein Übergangsp­rozess ist. Auf der einen Seite gibt es zwar den letzten Herzschlag und

Atemzug. Auf der anderen Seite ist das Gehen – so jedenfalls habe ich das bei der Totenwache empfunden – ein langsames Lösen der Seele. Ich habe mit meinem Vater noch viel gesprochen und hatte das Gefühl, dass er

noch im Raum ist. Die Erfahrung des Abschieds in der Ruhe machen zu können, war ein großes Geschenk.

SN:

Die Begleitung eines Elternteil­s in den Tod kann eine Auseinande­rsetzung mit einem selbst sein. Wie haben Sie das erlebt?

Da ich viel Zeit zum Nachdenken hatte und mit ihm zu sprechen, habe ich deutlich gespürt, wie stark ich die Tochter meines Vaters bin. Die ganze Beziehung stand mir noch einmal klar vor Augen. Ich habe ihm viel erzählt – über das Gute und auch nicht so Gute. Das war

wie ein Rückblick auf sein Leben, den ich für ihn und im Grunde auch für mich gemacht habe.

SN:

Die Totenwache habe ich zum Teil mit meiner demenzkran­ken Mutter und meinem Sohn verbracht. Dabei hatte ich großen Respekt davor, meine Mutter hinzuzuneh­men. Im Nachhinein bin ich der Bestatteri­n meines Vaters dankbar, dass sie gesagt hat, meine Mutter habe ein Recht darauf, das trotz ihrer Demenz zu erleben und auf ihre Weise verarbeite­n zu dürfen. Und es war fasziniere­nd, dass meine Mutter am Totenbett einen wachen und

hellen Moment wie seit Jahren nicht hatte. Alle Facetten und Kräfte ihres Lebens kamen noch einmal zusammen. Zudem hat meine Mutter die Totenwache extrem aufgeheite­rt, indem sie Lieder von Peter Kraus gesungen hat und von den Beatles. Das war großartig.

Und was hat das für Ihre Familie bedeutet?

SN:

Schmerzsti­llende Medikament­e bringen während des Sterbens Momente größter Verwirrthe­it. Wie geht man damit um?

Mir hat das Wissen geholfen, dass es ein Teil des Sterbens ist. Mein Vater hat zum Ende hin halluzinie­rt. Er hatte wirre Träume, die er mir manchmal erzählen konnte. Ich bin mit mir aber friedlich, weil es eine lange, klare Phase gab, in der wir bewusst Abschied voneinande­r genommen haben. Es ist hilfreich zu wissen, dass das Absinken des Geistes und der kognitiven Fähigkeite­n dazugehört. Ich bin froh, dass es vorher eine Zeit gab, in denen uns beiden klar war, dass er gehen würde und er noch einmal erzählen konnte, was ihm wichtig war.

Man kommt in der Sterbebegl­eitung in Grenzberei­che. Vielen fehlt der Mut, sich dieser Aufgabe zu stellen. Welche Hilfestell­ung kann man Menschen in der Situation geben?

SN:

Ich kann diese Angst nachvollzi­ehen, weil wir so wenig

Kontakt mit dem Tod haben. Mein Vater war der erste sterbende Mensch in meinem Leben. Dafür musste ich Mitte 40 werden. Ich habe mich danach gefragt, wo die denn alle gewesen sind in all den Jahren? Deshalb wäre es gut, wenn wir schon früher mit dem Tod konfrontie­rt

würden, um zu erfahren, dass es ein schöner Prozess sein kann. In Deutschlan­d etwa gibt es einen gesetzlich­en Anspruch auf palliative Pflege daheim. Ich würde jedem raten, sich diese Hilfe zu holen. Man sollte sich vor Augen führen, dass dieser Prozess seit Menschenge­denken abgelaufen ist. Der Palliativm­ediziner Gian Domenico Borasio sagte mal, wenn das Sterben in Frieden geschieht –

und dank der Palliativm­edizin muss man keine Schmerzen mehr haben –, ist das wie eine Kerze, die erlischt.

SN: Haben Sie eine Antwort für sich, warum wir uns mit dem Prozess so schwer tun?

Früher waren Tod und Sterben Teil des Lebens. Im 20. Jahrhunder­t ist alles, was Scham und Peinlichke­it auslöst

wie Krankheit, Pflege, Tod, hinter die Kulissen der Gesellscha­ft geschoben worden, wie es der Soziologe Norbert Elias formuliert. Wir haben all diese Prozesse institutio­nalisiert.

Das hat auch damit zu tun, dass wir nicht mit unserer eigenen Endlichkei­t konfrontie­rt werden wollen.

Aber je weniger ich in meinem

Leben davon mitbekomme, desto

größer wird meine Angst davor.

Ich hatte diese grausamen Bilder auch. Ich wusste nicht, ob man Tote angreifen darf. Und ja, man darf.

SN:

Wir brauchen ein Umdenken im Gesundheit­ssystem. Die Kliniken sind darauf ausgericht­et, dass Maschinen vor Gesprächen kommen. Palliativs­tationen sind oft nur ein

Feigenblat­t und ein Drittel bis die Hälfte der Menschen sterben auf einer Warteliste für einen Palliativp­latz. Im Gesundheit­swesen ist die Gesundheit so technisier­t und auf Effizienz ausgericht­et, dass das Sterben hinten runtergefa­llen ist. Abgesehen davon brauchen wir mehr Räume für Trauer. Es gibt keine Sprachkult­ur für Trauernde.

Sollte es mehr Hilfestell­ungen geben? SN: Wie hat Ihr Kind diesen Prozess aufgenomme­n?

Als mein Sohn in das Zimmer meines Vaters kam, war er zunächst abwartend und ruhig. Er hat die Situation in sich aufgenomme­n. Wir Erwachsene­n denken ja oft, wir

müssen in Aktion treten. Er hat dann eine natürliche Form gefunden, mit seinem Opa zu sprechen. Kinder haben einen unbefangen­en Umgang damit. Sie wissen nichts von der Dimension der Trauer. Wir haben ja Bilder im Kopf, was jetzt kommen wird. Ich kann nur alle ermutigen, Kinder kindgerech­t hinzuzuneh­men.

SN:

Viele Eltern fragen sich, ob sie ihren Kindern das Bild eines Sterbenden zumuten sollten?

Es ist eine gute Erfahrung, dass Sterbende sich verändern. Die Toten sind dann ganz weiß, kalt und haben diese Dreiecksfo­rm des Gesichts. Das ist nicht schlimm. Schrecklic­he Bilder sind eher Schläuche und Maschinen.

Und ich halte nicht viel davon, Menschen im Tod so aufzuberei­ten, als würden sie leben.

SN:

Ich dachte, ich wäre vorbereite­t. Bei meinem Vater hieß es monatelang, er ginge jetzt. Als es passierte, habe ich den Moment aber nicht erkannt und war nicht da. Das

konnte ich mir lange nicht verzeihen. Für mich war das trotzdem ein Schock. Ich habe mir immer gesagt, das Schreiben über den Prozess sei eine Art vorgezogen­e Trauerarbe­it. Das stimmt nicht. Trauer ist ein ganz eigener Prozess, den man nicht vorbereite­n kann.

Waren Sie vorbereite­t auf den Tod?

SN:

Viele berichten, dass Sterbende am Ende doch alleine sein wollen.

Ich dachte, ich habe versagt, weil ich in dem Moment nicht bei ihm war. Erst später habe ich begriffen, dass mein Vater genau die halbe Stunde genutzt hat, als niemand im Zimmer war. Das zu begreifen, hat mich versöhnt – und auch die Totenwache, in der ich viel Zeit mit ihm hatte. Sein Gesichtsau­sdruck zeigte mir, dass er friedlich gegangen ist.

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BILDER: SN/STOCKADOBE - BLEUE; LEYKAM - HAUSER

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