Handel ohne Schranken
Vor 75 Jahren erfolgte ein Befreiungsschlag für den Welthandel. 1947 wurde das GATT-Abkommen beschlossen, 1994 ging daraus die WTO hervor. Sie bilden bis heute das Fundament für den internationalen Austausch von Waren und Dienstleistungen.
Der Zweite Weltkrieg war noch in vollem Gang, als sich Vertreter von 44 Staaten bereits Gedanken über die Nachkriegsordnung in der Weltwirtschaft machten. Aus der berühmt gewordenen Konferenz von Bretton Woods im US-Bundesstaat New
Hampshire im Juli 1944 gingen zwei Institutionen hervor, die bis
heute eine maßgebliche Rolle in der Finanzwirtschaft und in der Entwicklungspolitik spielen – der Internationale Währungsfonds
(IWF) und die Internationale
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, die später in Weltbank umbenannt wurde.
Schon damals war angedacht, das Duo um eine dritte Organisation für den Welthandel zu ergänzen, das sollte aber noch drei Jahre dauern. 1946 berief der neu geschaffene Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen eine
Konferenz mit dem Ziel ein, die Internationale Handelsorganisation (ITO) zu schaffen. Parallel
verhandelten Vertreter einiger
Länder über ein allgemeines Zollund Handelsabkommen. Am
30. Oktober 1947 unterzeichneten
Abgesandte von 23 Nationen in
Genf das General Agreement on
Tariffs and Trade (GATT), das am
1. Jänner 1948 in Kraft trat. Als
Provisorium gedacht, weil es von der ITO abgelöst werden sollte, die aber von den USA blockiert
wurde, erwies sich das GATT als langlebig. Es bestand bis 1994, erst dann ging es in der neu gegründeten Welthandelsorganisation (WTO) auf.
Dass man schon 1944 den Blick in die Zukunft richtete, hat viel
mit den drei Jahrzehnten davor zu tun. Bis 1914 hatte der Freihandel eine Blütezeit erlebt. Treiber dieser Entwicklung war die damals global dominierende Wirtschaftsnation England. Als der
Erste Weltkrieg über Europa hereinbrach, war es freilich mit der
Offenheit der Märkte schlagartig
vorbei. Nahezu alle Länder suchten ihr Heil im Protektionismus, schotteten sich ab und zogen sich
hinter ihre Grenzen zurück. Die erste Phase der Globalisierung erfuhr ein jähes Ende.
Damit wurde eine Entwicklung zurückgedreht, deren Anfänge bis
ins 18. Jahrhundert zurückreichen, als sich zahlreiche europäische Staaten über die Kolonialisierung ferner Länder Rohstoffe
für die eigene Produktion zu Hause sicherten. England legte den Grundstein zum Aufstieg zur führenden Welthandelsnation mit der Eroberung Indiens, das mithilfe der Ostindien-Kompanie zum wichtigsten Rohstofflieferanten für die britische Insel und damit zur Basis für die Industrialisierung wurde.
Damit konnte England seine ökonomischen Vorteile im 19. Jahrhundert voll ausspielen, es setzte die Regeln für den Welthandel, der ab 1850 zu florieren begann.
Das Inselreich setzte in die Praxis um, was klassische Ökonomen erdacht hatten. Der Gründer der Nationalökonomie, Adam Smith, entwickelte bereits in seinem 1776 erschienenen Werk „Der Wohlstand der Nationen“eine Theorie des Außenhandels, die auf den absoluten Kostenvorteilen zweier Länder beruhte. Demnach sollte sich jedes Land auf die Waren spezialisieren, die es
günstiger als alle anderen herstellen kann. Dem folgend könnten Länder, die bei keiner
Ware einen absoluten Kostenvorteil aufweisen, nicht am Welthandel teilnehmen. Dieses Defizit von Smith’ Idee beseitigte David Ricardo mit seiner Theorie der komparativen Kostenvorteile. Demnach führt Handel auch dann zu Wohlstandsgewinnen,
wenn ein beteiligtes Land etwas relativ billiger
erzeugen kann als ein anderes. Beide stark vereinfachten Theorien blendeten allerdings aus, dass es Regeln braucht, die dafür sorgen, dass Handel nicht nur so frei wie möglich, sondern auch tatsächlich zum Vorteil aller Beteiligten stattfindet.
Das fehlende Regelwerk und die bitteren Lehren aus der Zwischenkriegszeit mit den desaströsen Folgen der Weltwirtschaftskrise
lieferten den Anstoß, den internationalen Handel mit dem GATT neu zu gestalten.
Von 1947 bis 1994 hielten die Mitglieder des GATT, deren Zahl bis dahin auf 123 angewachsen war, insgesamt acht sogenannte
Welthandelsrunden ab, die sich jeweils über mehrere Jahre zogen. Dabei ging es vorrangig darum, die Zölle für Produkte so weit
wie möglich zu senken oder ganz abzubauen. Dabei wurden beträchtliche Fortschritte
gemacht, von 1947 bis zur 1994 abgeschlossenen Uruguay-Runde wurden die durchschnittlichen Zölle von 45 auf drei bis vier Prozent gesenkt. Zudem wollte man andere Handelsbarrieren abbauen. Denn die Staaten waren, und sind es bis heute, durchaus erfinderisch, wenn es darum geht, unerwünschte Konkurrenz draußen zu halten, mit nichttarifären Handelshemmnissen, die im Lauf der Jahre mehr Bedeutung erlangten. Das sind Maßnahmen, die dazu dienen, Importe wenn nicht zu verhindern, so zumindest zu erschweren. Das können administrative Vorschriften, erforderliche Lizenzen oder auch
Importquoten sein. Laut WTO ist der Einsatz dieser Instrumente jedoch nur erlaubt, wenn sie nicht diskriminierend sind – was regelmäßig zu Streitigkeiten führt, bei denen die WTO als Schlichterin agiert. Als Grundsatz beim Abbau von Zöllen und anderen Handelsbarrieren gilt die sogenannte Meistbegünstigungsklausel. Sie
besagt, dass jedem Mitgliedsland die gleichen Konditionen gewährt
werden müssen, die ein Staat einem Handelspartner gewährt. Beim Nachweis unfairer Praktiken
können Strafzölle verhängt werden – eine Möglichkeit, von der die EU und die USA in der Präsidentschaft von Donald Trump ausgiebig Gebrauch machten.
Die WTO zählt mittlerweile 164 Mitglieder, die zusammen für 98 Prozent des globalen Handelsvolumens stehen. China stieß 2001 dazu, Russland trat 2012 bei. Mit Letzterem liegen die Handelsbeziehungen seit den Wirtschaftssanktionen infolge des UkraineKriegs de facto auf Eis, mit China sind sie ebenfalls deutlich abgekühlt. Zwei Drittel der WTO-Mitglieder sind Entwicklungsländer, die laut Kritikern aber noch immer zu wenig zu sagen haben, auch
wenn der Druck steigt, ökologische und soziale Standards stärker als bisher in Handelsverträgen zu berücksichtigen.
Wie sieht die Zukunft des Welthandels im Hinblick darauf aus, dass sich neue Wirtschaftsblöcke bilden, dass die Kritik an der Globalisierung nicht abreißt und es seit der Pandemie verstärkt protektionistische Tendenzen gibt?
2021 wurden weltweit Güter im Wert von 22,3 Billionen US-Dollar exportiert. Damit wurde nicht nur der tiefe Absturz infolge der Pandemie im Jahr 2020 (17,7 Bill. Dollar) mehr als wettgemacht, sondern auch das Niveau von 2019 (19 Bill. Dollar) übertroffen. Der
Aufwärtstrend hält an, die WTO hat die Prognose für das heurige
Wachstum des Warenhandels von 3,0 auf 3,5 Prozent erhöht. 2023 reißt die Dynamik ab, die Prognose wurde
von 3,4 auf 1,0 Prozent gesenkt. Der Krieg samt Energiekrise, die noch nicht überwundene Pandemie, die Folgen des Klimawandels drücken auf die wirtschaftliche Aktivität. Am Prinzip, dass es wirtschaftlichen Fortschritt und Wohlstand ohne Handel
nicht gibt, hat sich trotz zwischenzeitlicher Rückschläge aber seit 1947 nichts geändert.
Auf Holz klopfen …
Eine Person will damit das Glück, das sie gerade hat, besiegeln. Die Redewendung stammt aus dem Christentum. In dem Zusammenhang wird das Holz mit dem Kreuz in Verbindung gebracht, an dem Jesus Christus gestorben ist. Im Mittelalter boten viele Kirchen ein kleines Stückchen Holz an, das sie als Teil des Kreuzes Jesu verkauften. Man erzählte sich, dass es Glück bringt, dieses
Stück Holz zu berühren.