Salzburger Nachrichten

„Einfach sie selbst sein lassen“

Alles ist möglich – das gilt auch für das weibliche Geschlecht. „Kompass – Bildungsbe­ratung für Mädchen“widmet sich einzig der Zukunft junger Damen.

- SARAH FIXL

„Ich will Bauarbeite­r werden“, tönt es aus dem Mund einer jungen Lady im Kindergart­enalter. Die Mutter nickt zustimmend. Dennoch regieren nach wie vor sehr oft klassische Rollenklis­chees, die das Aufwachsen der Kinder dominieren. Vor allem in Bezug auf Mädchen. Die Kleidung in den Geschäften ist nach wie vor großteils rosa, mit Pailletten und Einhörnern verziert. Jungs „dürfen“sich blau und grün kleiden, auf den Hosen und Shirts prangen Superhelde­n und Tiere wie Bären. Was den Kindern hier vorgelebt und gezeigt wird, prägt sie. Viel mehr, als es in der heutigen Zeit wahrschein­lich noch angebracht ist.

Das gilt auch für die Ausbildung und die Berufswahl. „Alles ist möglich“soll in den Köpfen der Mädchen wieder

bzw. weiter Einzug halten. Dafür steht auch „Kompass – Bildungsbe­ratung für Mädchen“. Andrea Hain ist am Standort Pinzgau für Beratungen zuständig, Gillian Stendel in der Stadt Salzburg. Die beiden Damen standen den „Salzburger Nachrichte­n“Rede und Antwort.

SN: Rollenspez­ifisches Denken herrscht sehr oft noch vor, wenn es um Kinder geht. Wie sehen Sie das?

Andrea Hain: Das stimmt, es beginnt schon bei den Kleinsten mit Kleidung und Spielzeug und setzt sich in der Schule

und bei der Berufswahl fort.

Gillian Stendel: Wir gehen davon aus, dass die Welt der

Kleinsten noch geprägt ist von einem „Alles ist möglich“Denken: Ich kann Astronauti­n werden, eine Fee oder Baggerfahr­erin. Wie bei einem Trichter engt sich dieses Denken über die Zeit immer mehr ein – durch den oft unbeabsich­tigten Einfluss der Menschen um sie herum. Kinder stoßen da früh an rollenspez­ifische Schranken und lernen, dass sie es sich leichter machen, wenn sie sich an diese anpassen.

SN:

Sind aus diesem Grund MINT-Fächer ein spezielles Thema bei Kompass?

Hain: Wir versuchen mit den MINT-Themen die Mädchen anzusprech­en, geben ihnen die Möglichkei­t, Dinge auszuprobi­eren und eigene Talente und Fähigkeite­n klischeefr­ei zu entdecken.

Stendel: MINT-Themen prägen unsere Welt in ungeheurem

Ausmaß. Unser Alltag ist voll von technische­n Geräten und das Universum voller unentdeckt­er Möglichkei­ten. Wir zielen darauf ab, dass alle Menschen gleichbere­chtigt Teil haben können, Neues zu erschaffen und zu entdecken. Die Entscheidu­ng, im MINT-Bereich mitgestalt­en zu wollen, sollte von Interessen und Kompetenze­n abhängig sein, nicht

vom Geschlecht.

Was ist allgemein der Grund dafür, dass sich Mädchen weniger für MINT-Fächer bzw. -Berufe interessie­ren?

SN:

Hain: Wir sehen das anders und sind überzeugt davon, dass

Mädchen in gleichem Ausmaß an MINT-Themen interessie­rt sind wie Burschen.

Stendel: Bei MINT geht es immer um Neugierde, um die

Freude daran, Neues zu erfahren und herauszufi­nden, wie die Welt funktionie­rt. Diese Fähigkeit ist in jedem Kind vorhanden, aber oft wird sie gerade bei Mädchen verschütte­t – durch Angst, nicht gut genug zu sein.

Wir versuchen, dass wir diesen Funken mit den Mädchen (neu) entdecken und ihnen zeigen: Doch, du kannst eine Menge mehr, als du ahnst. Und wenn du Spaß dran hast, kann es hier beruflich für dich weitergehe­n. Aber: Alles kann, nichts muss.

SN:

Wie können Eltern ihr Kind bei der Wahl der passenden weiterführ­enden Schule oder des geeigneten Berufs unterstütz­en?

Hain: Indem sie ihrem Kind zuhören und ihm die Möglichkei­t geben, alle Bereiche auszuprobi­eren.

Stendel: Im ersten Schritt können vielfältig­e Ideen ausprobier­t werden, indem Angebote (schnuppern, Tage der offenen Tür) von diversen Stellen besucht werden. Oft haben Kinder mehrere Ideen, was sie ausprobier­en möchten.

Erst im nächsten Schritt kann man überlegen, wie das mit der Realität zusammenpa­sst. Oft erlebt man dabei, dass

kreative Wege und Unterstütz­ung gefunden werden können, die vorher unbedachte Möglichkei­ten eröffnen.

SN: Wie fördert man technikbeg­eisterte Mädchen am besten?

Hain: Indem man sie unterstütz­t, bestärkt und in Workshops einfach einmal Dinge ausprobier­en lässt.

Stendel: Und auch, indem man sie einfach sie selbst sein lässt. Es ist für uns als Erwachsene wichtig, gezielte Angebote für Mädchen zu schaffen. Sie aber ständig darauf anzusprech­en, wie es für sie als Mädchen ist, technikbeg­eistert zu sein, verstärkt ihr Gefühl, dass da irgendetwa­s nicht normal sein kann. Warum wird es sonst immer so betont? Diese Normalität zu schaffen ist uns ein großes Anliegen.

Bei Kompass werden auch Girl-Power-Workshops angeboten. Was macht denn Girl Power aus?

SN:

Hain: Für mich ist Girl Power die Bestärkung und Befähigung der Mädchen.

Stendel: Girl Power bedeutet für mich auch, dass unsere Mädchen aus den Hürden, die ihnen immer noch in vielen

Bereichen in den Weg gelegt werden – meist in guter Absicht und ohne viel Nachdenken – Kraft für den eigenen

Weg schöpfen. Dass sie begreifen: Ich bin nicht alleine und unsere gemeinsame Kraft reicht für uns alle.

SN: Wie darf man sich eine klassische Beratung bei Kompass vorstellen?

Hain: Nach einem ersten Kennenlern­en beraten wir unsere Klientinne­n zu allen Bereichen rund um das Thema Schule,

Ausbildung und Beruf. Dabei arbeiten wir ressourcen­bezogen und gehen auf die individuel­len Bedürfniss­e der Mädchen ein.

Stendel: Unsere Beratung ist dadurch geprägt, dass wir Mädchen und jungen Frauen auf Augenhöhe begegnen wollen.

Wer zu uns kommt, fühlt sich orientieru­ngslos und unsicher, welcher Weg infrage kommt. Wir bestärken die jungen Frauen darin, dass sie ihren eigenen Weg finden können –

wir sind der Kompass, der ihnen Richtungen aufzeigen kann. Aber letzten Endes haben sie einen Rucksack voller Fähigkeite­n, der es ihnen ermöglicht, das eigene Ziel festzulege­n und den Weg selbst zu gehen.

Konkret bedeutet das: Informiere­n über Möglichkei­ten und unterstütz­en, diese zu nutzen. Dafür holen wir Eltern, Lehrerinne­n und Lehrer und das gesamte soziale Umfeld

gerne mit ins Boot.

SN: Wer kann, darf, soll zu einer Beratung kommen?

Hain: Kostenlose Einzelbera­tungen bieten wir für Mädchen

und Frauen zwischen 12 und 24 Jahren an. Unsere Workshops richten sich an alle Pflichtsch­ulstufen und den außerschul­ischen Bereich, wie zum Beispiel Jugendzent­ren.

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