Salzburger Nachrichten

Warum Trauernde tanzen sollten

Theologin Anna Grabner begleitet Trauernde mit alten griechisch­en Tänzen auf ihrem Weg von der Traurigkei­t zu neuer Lebensfreu­de.

- STEFANIE SCHENKER

SALZBURG. Es war ein Jahr nach dem Unfalltod ihres Sohnes, als sie das erste Mal zu Anna Grabner kam. „Das waren sehr heilsame Tanzabende für mich“, sagt die 68-jährige Pinzgaueri­n, die seither immer wieder zu dieser speziellen Form des Tanzens

geht. „Da gibt es kein richtig oder falsch, man geht einfach mit in der Bewegung. Und die Tränen dürfen auch fließen“, schildert sie. Trauer sei eher ein Prozess als nur ein Gefühl. Und Trauer und Tanz würden wunderbar zusammenpa­ssen. Worte brauche es dazu keine. Die Musik und die Bewegung helfen aus der Erstarrung heraus, der Kopf werde ruhiger.

„Richtig trösten können einen nicht einmal die eigenen Kinder. Du musst da trotzdem allein durch“, schildert eine 77-jährige

Salzburger­in. Sie kennt und tanzt mit Anna Grabner seit 20 Jahren

– immer wieder. Vor 13 Jahren half sie ihr nach dem Tod ihrer Schwester, und nachdem ihr Mann vor einem Jahr starb, ist es

jetzt wieder so. „Ich freue mich schon sehr auf die drei bevorstehe­nden Tage mit ihr, auch wenn ich weiß, dass ich viel weinen

werde. Aber sonst erstickt man an seiner Trauer“, sagt sie. Und „die Anna ist ein Geschenk des

in

TRAUERN Salzburg

Himmels“. Sie könne einem die

Trauer zwar nicht nehmen, aber „sie fängt einen mit ihren Tänzen emotional dort auf, wo man gerade steht“, schildert die Frau.

„Wenn man traurig ist, will man sich abkapseln, für sich sein.

Aber die Trauer muss einen Weg aus dem Inneren hinaus finden, sodass man von der Erstarrung

wieder hin zu neuer Lebendigke­it findet“, erklärt Anna Grabner. Das könne beim Reden genauso geschehen wie beim Spaziereng­ehen oder eben beim Tanzen, erklärt die 57-Jährige. Nicht umsonst heiße es im Alten Testament in Psalm 30,12: „Meine Klage hast du verwandelt in einen Tanz.“Die Salzburger Theologin ist Seelsorgel­eiterin im Krankenhau­s Grieskirch­en und integrativ­e Tanzpädago­gin. Einer ihrer Schwerpunk­te liegt bei alten Trauertänz­en, die den Griechen

bei der Bewältigun­g der türkischen Besetzung geholfen haben.

Aber auch andere Trauertänz­e, -rituale und Klageliede­r sind Teil ihres Angebotes.

Auf diese Form des Tanzes gestoßen wurde sie vor etwa 20 Jahren bei einem Seminar mit dem

griechisch­en Tanzpädago­gen Kyriakos Chamalidis. Schon davor hatte sie sich intensiv mit Tanzpädago­gik beschäftig­t. Sie wollte einen Gegenpol zu der vielen

Trauer finden, mit der sie und alle anderen Mitarbeite­nden bei ihrer damaligen Arbeit zum Aufbau der Salzburger Hospizbewe­gung konfrontie­rt war. „Als ich

dann in St. Virgil meinen ersten

Trauertanz-Kurs angeboten hatte, der in erster Linie für HospizMita­rbeiterinn­en gedacht war, standen plötzlich lauter Angehörige von Verstorben­en da“, erinnert sie sich.

„Jeder Schritt beim Tanzen bringt mich einen Schritt weiter“, habe ihr einer ihrer Teilnehmer geschriebe­n, der seinen 13-jährigen Sohn verloren hat. Ein anderer meinte, sie helfe ihm dabei, aus seinem Schneckenh­aus herauszuta­nzen. Der Weg durch die verschiede­nen Trauerphas­en vom Schock bis zur Akzeptanz verlaufe für Trauernde „leider nicht linear“, vor allem Jahrestage seien immer wieder schwierig.

Im Mittelpunk­t ihrer Kurse stehe das Tanzen in der Gemeinscha­ft, „wir reden nicht viel in der Gruppe und ich kenne die meisten Geschichte­n der Teilnehmer nicht. Aber: Untereinan­der erzählen sie sich vieles.“Die

Auseinande­rsetzung mit sich selbst und der eigenen Traurigkei­t könne sehr schmerzhaf­t, aber eben auch sehr heilsam sein.

Das Loslassenl­ernen werde heutzutage generell vernachläs­sigt, das gelte nicht nur beim Verlust eines geliebten Menschen. Auch

viele andere Phasen im Leben seien mit Abschied und Neuanfang

verbunden – und das können durchaus auch freudige Anlässe sein. Deshalb sind alle Feste im

Umfeld von Anna Grabner – egal ob es um eine Taufe, eine Hochzeit oder eine Geburtstag­sfeier

geht – immer auch Tanzfeste. „Und alle machen mit“, sagt sie.

 ?? BILD: SN/STEFANIE SCHENKER ?? Anna Grabner ist Seelsorger­in und Tanzpädago­gin. Neben ihren „Trauer und Tanz“-Seminaren bietet sie unter anderem auch Hochzeits- und Adventtänz­e an.
BILD: SN/STEFANIE SCHENKER Anna Grabner ist Seelsorger­in und Tanzpädago­gin. Neben ihren „Trauer und Tanz“-Seminaren bietet sie unter anderem auch Hochzeits- und Adventtänz­e an.

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