Warum Trauernde tanzen sollten
Theologin Anna Grabner begleitet Trauernde mit alten griechischen Tänzen auf ihrem Weg von der Traurigkeit zu neuer Lebensfreude.
SALZBURG. Es war ein Jahr nach dem Unfalltod ihres Sohnes, als sie das erste Mal zu Anna Grabner kam. „Das waren sehr heilsame Tanzabende für mich“, sagt die 68-jährige Pinzgauerin, die seither immer wieder zu dieser speziellen Form des Tanzens
geht. „Da gibt es kein richtig oder falsch, man geht einfach mit in der Bewegung. Und die Tränen dürfen auch fließen“, schildert sie. Trauer sei eher ein Prozess als nur ein Gefühl. Und Trauer und Tanz würden wunderbar zusammenpassen. Worte brauche es dazu keine. Die Musik und die Bewegung helfen aus der Erstarrung heraus, der Kopf werde ruhiger.
„Richtig trösten können einen nicht einmal die eigenen Kinder. Du musst da trotzdem allein durch“, schildert eine 77-jährige
Salzburgerin. Sie kennt und tanzt mit Anna Grabner seit 20 Jahren
– immer wieder. Vor 13 Jahren half sie ihr nach dem Tod ihrer Schwester, und nachdem ihr Mann vor einem Jahr starb, ist es
jetzt wieder so. „Ich freue mich schon sehr auf die drei bevorstehenden Tage mit ihr, auch wenn ich weiß, dass ich viel weinen
werde. Aber sonst erstickt man an seiner Trauer“, sagt sie. Und „die Anna ist ein Geschenk des
in
TRAUERN Salzburg
Himmels“. Sie könne einem die
Trauer zwar nicht nehmen, aber „sie fängt einen mit ihren Tänzen emotional dort auf, wo man gerade steht“, schildert die Frau.
„Wenn man traurig ist, will man sich abkapseln, für sich sein.
Aber die Trauer muss einen Weg aus dem Inneren hinaus finden, sodass man von der Erstarrung
wieder hin zu neuer Lebendigkeit findet“, erklärt Anna Grabner. Das könne beim Reden genauso geschehen wie beim Spazierengehen oder eben beim Tanzen, erklärt die 57-Jährige. Nicht umsonst heiße es im Alten Testament in Psalm 30,12: „Meine Klage hast du verwandelt in einen Tanz.“Die Salzburger Theologin ist Seelsorgeleiterin im Krankenhaus Grieskirchen und integrative Tanzpädagogin. Einer ihrer Schwerpunkte liegt bei alten Trauertänzen, die den Griechen
bei der Bewältigung der türkischen Besetzung geholfen haben.
Aber auch andere Trauertänze, -rituale und Klagelieder sind Teil ihres Angebotes.
Auf diese Form des Tanzes gestoßen wurde sie vor etwa 20 Jahren bei einem Seminar mit dem
griechischen Tanzpädagogen Kyriakos Chamalidis. Schon davor hatte sie sich intensiv mit Tanzpädagogik beschäftigt. Sie wollte einen Gegenpol zu der vielen
Trauer finden, mit der sie und alle anderen Mitarbeitenden bei ihrer damaligen Arbeit zum Aufbau der Salzburger Hospizbewegung konfrontiert war. „Als ich
dann in St. Virgil meinen ersten
Trauertanz-Kurs angeboten hatte, der in erster Linie für HospizMitarbeiterinnen gedacht war, standen plötzlich lauter Angehörige von Verstorbenen da“, erinnert sie sich.
„Jeder Schritt beim Tanzen bringt mich einen Schritt weiter“, habe ihr einer ihrer Teilnehmer geschrieben, der seinen 13-jährigen Sohn verloren hat. Ein anderer meinte, sie helfe ihm dabei, aus seinem Schneckenhaus herauszutanzen. Der Weg durch die verschiedenen Trauerphasen vom Schock bis zur Akzeptanz verlaufe für Trauernde „leider nicht linear“, vor allem Jahrestage seien immer wieder schwierig.
Im Mittelpunkt ihrer Kurse stehe das Tanzen in der Gemeinschaft, „wir reden nicht viel in der Gruppe und ich kenne die meisten Geschichten der Teilnehmer nicht. Aber: Untereinander erzählen sie sich vieles.“Die
Auseinandersetzung mit sich selbst und der eigenen Traurigkeit könne sehr schmerzhaft, aber eben auch sehr heilsam sein.
Das Loslassenlernen werde heutzutage generell vernachlässigt, das gelte nicht nur beim Verlust eines geliebten Menschen. Auch
viele andere Phasen im Leben seien mit Abschied und Neuanfang
verbunden – und das können durchaus auch freudige Anlässe sein. Deshalb sind alle Feste im
Umfeld von Anna Grabner – egal ob es um eine Taufe, eine Hochzeit oder eine Geburtstagsfeier
geht – immer auch Tanzfeste. „Und alle machen mit“, sagt sie.