Gefragt: Trauerrede zum Abschied
Bei Beerdigungen wünschen sich die Hinterbliebenen zunehmend persönliche Worte. Die Zahl der freien Trauerredner wächst.
SALZBURG. Die Trauerkultur sei
im Wandel, konstatiert Elisabeth Hager-Jung, die mit ihren Schwestern Claudia Jung und Barbara Perkmann-Jung in fünfter Generation das Salzburger Bestattungsunternehmen Jung führt. „Die Ansprüche der Hinterbliebenen an eine Trauerfeier sind gestiegen, noch nie zuvor
wurden so viele Varianten nachgefragt.“Rund ein Drittel wünsche sich eine individuelle
Verabschiedungsfeier mit einer persönlichen Trauerrede.
Die Dienste von freien Trauerrednern seien bei Hinterbliebenen seit 25 bis 30 Jahren gefragt, sagt HagerJung. Das gelte keineswegs nur für Menschen, die aus der Kirche ausgetreten seien. In den vergangenen Jahren sei jedoch ein eigener Berufszweig entstanden. „Derzeit bewerben sich bei uns irritierend viele Kandidatinnen und Kandidaten.“Rund alle zwei
Wochen werde jemand vorstellig. Mit acht bis zehn Trauerrednerinnen und -rednern arbeitet das Unternehmen zusammen. „Wir möchten für jede Familie eine Persönlichkeit finden, die zu ihr
passt“, sagt Hager-Jung. Durch die Rede erhoffe sich die Familie eine andere Dimension der Lebensbetrachtung. „Die einen zelebrieren ein meditatives Ritual, andere wünschen sich einen zart
humoristischen Überblick über das Leben der oder des Verstorbenen oder nur eine Moderation zur Umrahmung der Feier.“
Räumlichkeiten außerhalb der Kirche würden auch für die Trauerfeier als Veranstaltungsorte gesehen. „Es herrscht die Sehnsucht ,Weg vom Standard‘, da fallen auch Rosenblätter herab und Luftballone steigen auf.“Wichtig sei für viele Familien die Intensität des Trauergesprächs im Vorfeld. Trauerredner seien oft mehrere Stunden mit den Hinterbliebenen in Kontakt. Für sie sei das Gespräch ein Teil der Trauerbewältigung. Irritierend findet Hager-Jung dennoch die
Höhe des Honorars, das
die Rednerinnen und Redner verlangen. „Das geht bis 700 Euro.“
Für die Priester sei diese Entwicklung nicht einfach. „Sie fühlen sich oft kompromittiert.“Ihr
Anspruch, in der Trauer den Halt durch Glauben zu vermitteln, sei Teil des kirchlichen Rituals und müsse ebenso Platz finden wie die weltliche Betrachtung des Lebens. Diese Wahrnehmung werde oft verkannt, da viele Angehörigen hierzu keinen Zugang fänden. Selten jedoch finde eine
Trauerfeier mit einem Priester
und zusätzlich mit einem freien Redner statt. Hager-Jung sieht eine Trauerfeier als Chance, die Leute durch persönliches Engagement, Zeit und Sensibilität wieder stärker an die Kirche zu
binden. „Eine Trauerfeier hat eine heilsame Wirkung.“
Auch Verena Wengler, Geschäftsführerin der städtischen
Bestattung in Salzburg, fällt auf, dass die Zahl der Trauerredner stetig steigt. „Bis vor wenigen Jahren hat sich kaum jemand beworben, seit zwei Jahren wachsen freie Redner aus dem Boden wie die Schwammerl.“Der Markt sei
gesättigt. Wengler arbeitet mit fünf bis sechs Leuten zusammen. „Eine Trauerrede, in der man das Leben des Verstorbenen Revue
passieren lässt, ist ein schöner und feierlicher Teil der Verabschiedung, dadurch ist auch der
Verstorbene dabei.“Die Familien
und die Person müssten harmonieren. Entscheidend sei ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen. „Im Gespräch öffnet man ja
viele Wunden und Schubladen, man spricht über ein ganzes Leben.“Die Zeit habe sich verändert. „Die Leute wollen es individueller, das gilt sowohl für Katholiken, aber auch für Gläubige, die nichts mit der katholische Kirche zu tun haben möchten.“Zugleich
hat Wengler den Eindruck, dass nach Corona viele Hinterbliebene wieder Sehnsucht nach geistlichem
Beistand haben. „Wir verzeichnen jetzt wieder mehr Erdbestattungen.“Sie arbeite auch mit einem Trauerredner ohne
Ausbildung zusammen. Er habe die Rede bei der Beerdigung seines Bruders als so negativ erlebt, dass er sich auf das Verfassen von Trauerreden spezialisiert habe.
Tatsächlich sind freie Redner keinem Gewerbe zuzurechnen. Sie können ihre Dienste als Neue Selbstständige anbieten. Eine
Ausbildung ist nicht verpflichtend. Zahlreiche Anbieter offerieren Kurse und Onlineschulungen für Redner, die bei freien Trauungen, Trauerfeiern und Kinderwillkommensfesten eingesetzt werden. Der deutsche Marktführer „Freie Redner“bietet seit 2019 auch in Österreich Seminare und Webinare an, mit dem Abschluss der Personenzertifizierung der Wirtschaftskammer Österreich. „Derzeit werden
verstärkt Kurse im Trauerbereich nachgefragt“, sagt Pressespre
Es herrscht die Sehnsucht nach einer individuellen Feier. Elisabeth Hager-Jung, Bestatterin (Bild: SN/Jung)
cherin Caterina Müller. Zuletzt
fand ein sechstägiges Seminar in Salzburg statt, inklusive Stimmbildung und Bühnenpräsenztraining. Kosten: 4000 Euro. Der Beruf des Freien Redners werde im zweiten Bildungsweg von vielen Menschen gewählt, die sich die Sinnfrage stellten, sagt Müller.
Die Sinnfrage stellte sich nach 20 Jahren im Vertrieb einer Salzburger Firma auch Caroline Stiegler und entschloss sich, beruflich einen neuen Weg als „Herzenssprecherin“bei Trauerfeiern und Kinderwillkommensfeiern einzuschlagen. Sie absolvierte online die sechswöchige
Ausbildung an der Feierrednerakademie in der Schweiz. „Ich
möchte dem Tod das Dunkle und die Schwere nehmen“, sagt Stiegler. Bei jeder Rede binde sie Rituale ein. „Für mich ist der Verstorbene bei der Trauerfeier dabei, ich rede ihn direkt an.“Entscheidend sei das Gespräch mit den
Angehörigen im Vorfeld. Ihre erste Trauerrede hielt Stiegler für einen 45-Jährigen, der sich das Leben genommen hatte. Erst nach langer Suche der Familie hatte sich ein Priester gefunden, der
bereit war, die Trauerfeier zu gestalten. Eine Witwe habe sich
kürzlich für ihren verstorbenen Mann eine fröhliche Feier gewünscht, sagt Stiegler. Sie zelebriert die Trauerfeier als das letzte Lebensfest.
Er sehe es als seine Aufgabe, die Familie bei der Trauerarbeit zu begleiten, sagt der Theologe, Freie Redner und psychosoziale Berater Immanuel Fiausch. Die
Vorbereitung einer Beerdigung umfasse die intensive Beschäftigung mit den Werten, der Persönlichkeit und der Biografie eines
Verstorbenen. 1,5 Millionen Menschen in Österreich seien ohne
Bekenntnis, viele seien dennoch sehr spirituell. „Es ist wichtig, jene, die sich keiner Religion zugehörig fühlen, in wichtigen Lebensabschnitten zu begleiten.“