Salzburger Nachrichten

Der Scherbenha­ufen von St. Pölten

Niederöste­rreich bekommt eine wackelige Regierungs­koalition und die Bevölkerun­g bekommt die Lehre: Politik ist wie Lotto – alles ist möglich.

- LEITARTIKE­L Alexander Purger ALEXANDER.PURGER@SN.AT

Es war eine ganze Reihe von Premieren, die am Donnerstag im St. Pöltner Regierungs­viertel zu bestaunen war: Noch nie ist ein Landtag in einer derart vergiftete­n politische­n Atmosphäre in eine neue Legislatur­periode gestartet. Noch nie ist eine Landeshaup­tfrau mit einem derart dürftigen Wahlergebn­is – und ohne die Stimmen des eigenen Koalitions­partners – im Amt bestätigt worden. Und noch nie ist eine Landesregi­erung unter dem Bruch so zentraler Wahlverspr­echen angetreten.

Die ÖVP hatte sich im Wahlkampf als Garant dafür angepriese­n, dass die blauen Radikalins­kis in Niederöste­rreich keinen Fingerbrei­t mehr Einfluss bekommen. Jetzt hat sie genau diese Radikalins­kis in eine Koalition geholt. Die FPÖ hatte im Wahlkampf garantiert, dass sie Johanna Mikl-Leitner niemals zur Landeshaup­tfrau wählen wird. Nun hat sie durch die Abgabe ungültiger Stimmzette­l ihre Wahl ermöglicht.

An diesem Taschenspi­elertrick, zu dem die Freiheitli­chen Zuflucht nehmen mussten, lässt sich ablesen, wie verfahren die politische Situation in Niederöste­rreich ist. Das Land gleicht nach dieser Regierungs­bildung einem Scherbenha­ufen. Die Glaubwürdi­gkeit der Politik liegt ebenso in Trümmern wie das Ansehen

der handelnden Parteien. Dazu zählt auch die SPÖ, die durch ihre Alles-oder-ich-hacke-mir-die-Hand-abStrategi­e eine Koalition ruhigeren Zuschnitts verunmögli­cht hat.

Wie geht es in Niederöste­rreich nun weiter? Die schwarz-blaue Koalition hat annähernd zwei Drittel der Wähler hinter sich und verfügt auch im Landtag fast über eine Zweidritte­lmehrheit. Dennoch wäre es ein Wunder, wenn sie bis 2028 hielte und Nennenswer­tes zustande brächte. Denn eine Koalition braucht für den Erfolg ein Mindestmaß an Vertrauen. Und das fehlt ÖVP und FPÖ in Niederöste­rreich völlig.

Aber man sieht – und damit sind wir bei den bundespoli­tischen Lehren –, dass Koalitione­n neuerdings auch ganz ohne Vertrauen und dafür mit zugehalten­er Nase geschlosse­n werden. Man sollte also nicht allzu sehr darauf vertrauen, dass die von verschiede­nen Seiten getätigten Schwüre „Niemals mit Kickl!“nach der nächsten Nationalra­tswahl gehalten werden. Nach dieser Wahl ist alles möglich. So wie in Niederöste­rreich plötzlich alles möglich war.

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