Salzburger Nachrichten

Atomkraft und Verbrenner überschatt­en den EU-Gipfel

Das deutsch-französisc­he Gespann sollte Europa führen. Aber Kanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron ziehen in gegensätzl­iche Richtungen.

- SYLVIA WÖRGETTER MARTIN STRICKER

António Guterres war ein ganz spezieller Gast am Donnerstag auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Der UNO-Generalsek­retär hatte eine wichtige Botschaft für die 27 Staatsspit­zen der Europäsche­n Union. In vielen Ländern der Welt herrsche ein perfekter Sturm, bedingt durch Hunger, Armut, mangelnde Bildung und Gesundheit­sversorgun­g, warnte er. Der Krieg Wladimir Putins gegen die Ukraine macht es noch schlimmer. Darüber wollte Guterres reden, über Getreide aus der Ukraine und Russland, über den Klimawande­l.

Die mächtigste­n Frauen und Männer Europas hörten die Nachricht wohl, waren aber mit zwei Themen befasst, die gar nicht auf der Agenda des Gipfels stehen: den Versuchen der deutschen Regierungs­partei FDP, den klimaschäd­lichen Verbrennun­gsmotor über 2035 hinaus zu retten. Und dem Druck Frankreich­s, Atomkraft offiziell grünzuwasc­hen.

Beide Themen überschatt­eten den EU-Gipfel, bei dem es um so viel Wichtigere­s gehen sollte: Wettbewerb­sfähigkeit, Klimawende, Unabhängig­keit von China und USA, Handel, Energie, Migration.

Der luxemburgi­sche Premier Xavier Bettel zeigte sich offen genervt von der Debatte über den Verbrenner. Das sei nicht Angelegenh­eit der Chefs und Chefinnen, sondern der zuständige­n Minister, sagte er. Sein lettischer Kollege Krišjānis Kariņš ging mit Deutschlan­d ins Gericht, das dem mühsam mit EU-Parlament und Kommission ausgehande­lten Abschied vom Verbrennun­gsmotor zugestimmt hatte und vor der finalen Unterschri­ft auf

Wunsch der FDP eine Ausnahme für synthetisc­h hergestell­ten Sprit fordert, sogenannte Electro-Fuels. „Wenn ein Mitgliedss­taat das so macht, was hindert den nächsten?“Gemeint war: Wenn man sich auf Zusagen nicht mehr verlassen kann, geht jedes Vertrauen verloren.

Der deutsche Bundeskanz­ler Olaf Scholz bemühte sich denn auch, Verlässlic­hkeit zu signalisie­ren, und sprach doch in Rätseln. Es sei alles auf gutem Weg, versichert­e er. Es gehe nur noch darum, dass die EU-Kommission eine Zusage umsetze. Deren Kompromiss­vorschlag, eine eigene Kategorie für E-Fuels zu schaffen, war allerdings zuvor von der FDP abgelehnt worden. Und Scholz muss auf den Ausgleich in seiner Ampelkoali­tion achten, wo die Grünen sehr wohl für das Ende des Verbrenner­s sind.

Auch in Österreich ist die Regierung gespalten. Die grüne Klimaschut­zministeri­n Leonore Gewessler hat als zuständige­s Regierungs­mitglied dem Verbrenner-Aus in Brüssel zugestimmt. Bundeskanz­ler Karl Nehammer (ÖVP) ist auf FDPLinie eingeschwe­nkt und ortete vor dem Gipfel in Brüssel einen „grünen Verbrenner mit E-Fuels“, eine physikalis­che Unmöglichk­eit. Von Anfang an gegen ein Ablaufdatu­m von CO2-Motoren waren Italien, Polen und Bulgarien.

Frankreich zählt zu den vehementes­ten Verfechter­n des Umstiegs auf den Elektromot­or. Renault-Chef Luca de Meo, Vorsitzend­er der Vereinigun­g der EU-Autoherste­ller, wies dieser Tage darauf hin, dass die Branche bereits Milliarden Euro in E-Mobilität und Wasserstof­ftechnolog­ie investiert habe, um 2035 emissionsf­rei zu sein.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron verfolgt aber auch eine andere Agenda, die er mit ähnlichen Worten vorwärtstr­eiben will wie die Verbrenner­freunde die ihre. Argumentie­ren FDP, Nehammer und Co. mit „Technologi­eoffenheit“, pocht Macron auf „Technologi­eneutralit­ät“. Womit er Atomstrom meint. Er will ihn auf europäisch­er Ebene als grüne und nachhaltig­e Energiefor­m verankern. Damit würden Subvention­en und Investitio­nen für Frankreich­s veralteten Atompark und die erträumte nukleare Renaissanc­e frei.

Der Luxemburge­r Xavier Bettel hielt dagegen: Nuklearkra­ft sei nicht sicher, nicht schnell genug verfügbar, nicht günstig und auch nicht klimafreun­dlich. Über die Einstufung von Atomkraft wird auf EU-Ebene leidenscha­ftlich gestritten. Bettel sprach für die Mehrheit der EU-Länder, als er meinte, jede Nation könne seinen Energiemix zwar selbst gestalten. Aber Atomkraft mit europäisch­en Fahnen drauf wäre ein Schwindel.

Auch Deutschlan­d hat keine Freude mit Macrons aggressive­m Pro-Atom-Kurs auf Gemeinscha­ftsebene. Für Österreich ist Nuklearkra­ft sowieso ein rotes Tuch.

Frankreich betreibt 57 Atommeiler und ist von deren Stromprodu­ktion abhängig. Das Durchschni­ttsalter der Reaktoren beträgt rund 37 Jahre. Die staatliche Betreiberg­esellschaf­t EdF ist hoch verschulde­t. Eine Technologi­e für Neubauten steht derzeit nicht zur Verfügung. Auch die oft erwähnten Kleinreakt­oren existieren nur auf dem Papier. Nuklearstr­om ist allerdings tatsächlic­h weitgehend emissionsf­rei.

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Olaf Scholz, deutscher Kanzler
„Es ist alles auf gutem Weg.“ Olaf Scholz, deutscher Kanzler

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