Der Traum der Würstelstandlerin
Theater an der Wien: Dekonstruktivismus ist für eine Oper wie „Der Freischütz“tödlich und fad.
Immerhin, diese „Oper“endet insofern glücklich, als man aufstehen und nach quälenden drei Stunden gehen kann. Selten weiß man in so kurzer Zeit nach Heben des Vorhangs, dass die Superidee eines Regisseurs in einem Desaster egozentrischen Hochmuts enden kann. Der ungarische Regisseur David Marton hat sich Carl Maria von Webers Romantikikone „Der Freischütz“vorgenommen. Die Premiere am Mittwoch im Museumsquartier, der Dependance des Theaters an der Wien, geriet zum Bauchfleck und szenischen Ärgernis, das sich auch auf die musikalische Qualität auswirken musste. Ja, es gibt einen Orchestergraben, aber dahinter trennt eine Kinoleinwand das Bühnenpersonal vom Publikum, gesungen wird mit Verstärkung.
Martons Versuch, Kino mit Oper zu verschmelzen, ist eine Dekonstruktion des Werks. Wirre und verwirrende Großaufnahmen kreuzen sich mit der Musik auf mäßigem Niveau, das banale Finale ist entlarvend. Da verfolgt man auf der Leinwand eine Kamerafahrt durch das nächtliche Wien, um vor einem Würstelstand zu enden. Da drinnen schraubt die vormalige „Agathe“an Käsekrainern und hat denselben betrübten Gesichtsausdruck wie während der ganzen Oper. Aha, denkt man sich, das Ganze war nur ein (Alb-)Traum einer Würstelstandlerin.
Also, wer die Oper „Der Freischütz“sehen will, muss woanders suchen, und wer gutes Kino will, gehe dorthin, wo man das Genre besser beherrscht. Schon nach der Pause hatten sich die Reihen gelichtet, wer ausharrte, erleichterte sich mit Buhs beim Auftauchen des Leading-Teams. Die Wiener Symphoniker im Graben brachten keinen Ausgleich. Patrick Lange dirigierte eher grobschlächtig, auch ihn musste die Leinwand samt unsichtbarer Sänger
irritieren. Wer wo singt und – schlimmer – wer wer ist, war lange Zeit nicht zu beantworten. Agathe wechselte gar mit Ännchen die Identität. Wenigstens sangen sie ihre jeweiligen Liedlein selber. Jacquelyn Wagner als Agathe und Sofia Fomina als Ännchen erledigten ihre Aufgaben mit Anstand ohne sopranistische Glanzlichter, welche berühren können und sollten.
Und um die Verwirrung auszuweiten, mussten die Darsteller die vielen Dialoge in ihrer jeweiligen Muttersprache absolvieren. Englisch, Finnisch, Russisch, Deutsch durcheinander. Der böse Kaspar, also Alex Esposito mit polterndem Bass, sprach Italienisch. Winzige Pointe: Das Wort „Wolfsschlucht“blieb unübersetzt. Der Finne Tuomas Katajala fand sich mit flatterndem Tenor als Max zwischen zwei Frauen, siehe Identität. Durchwegs tadellos sangen sich Guido Jentjens als Kuno, Dean Murphy als Fürst Ottokar oder Viktor Rud als Kilian durch die Bruchstücke der Opernprojektion. Als Eremit mit starker Stimme sorgte Levente Páll für ein friedliches Ende.
Angenähert an die Oper waren der Spielzeugwald auf der Drehbühne und die historischen Kostüme, was wie Ironie wirkte. Mit billigem Kino wurde die Geisterstunde in der Wolfsschlucht dem Orchester überlassen. Der Schuss von Max mit der magischen Kugel tags darauf, der statt einer Taube die Braut treffen soll, wurde nur besungen. Das Riesenporträt Agathes auf der Leinwand blieb unversehrt. Der Arnold Schoenberg Chor glänzte mit dem Volkslieder singenden „Jungfernkranz“-Chor der Brautjungfern und natürlich im „Jägerchor“. Jo ho, tralala!