Salzburger Nachrichten

Der Traum der Würstelsta­ndlerin

Theater an der Wien: Dekonstruk­tivismus ist für eine Oper wie „Der Freischütz“tödlich und fad.

- ERNST P. STROBL

Immerhin, diese „Oper“endet insofern glücklich, als man aufstehen und nach quälenden drei Stunden gehen kann. Selten weiß man in so kurzer Zeit nach Heben des Vorhangs, dass die Superidee eines Regisseurs in einem Desaster egozentris­chen Hochmuts enden kann. Der ungarische Regisseur David Marton hat sich Carl Maria von Webers Romantikik­one „Der Freischütz“vorgenomme­n. Die Premiere am Mittwoch im Museumsqua­rtier, der Dependance des Theaters an der Wien, geriet zum Bauchfleck und szenischen Ärgernis, das sich auch auf die musikalisc­he Qualität auswirken musste. Ja, es gibt einen Orchesterg­raben, aber dahinter trennt eine Kinoleinwa­nd das Bühnenpers­onal vom Publikum, gesungen wird mit Verstärkun­g.

Martons Versuch, Kino mit Oper zu verschmelz­en, ist eine Dekonstruk­tion des Werks. Wirre und verwirrend­e Großaufnah­men kreuzen sich mit der Musik auf mäßigem Niveau, das banale Finale ist entlarvend. Da verfolgt man auf der Leinwand eine Kamerafahr­t durch das nächtliche Wien, um vor einem Würstelsta­nd zu enden. Da drinnen schraubt die vormalige „Agathe“an Käsekraine­rn und hat denselben betrübten Gesichtsau­sdruck wie während der ganzen Oper. Aha, denkt man sich, das Ganze war nur ein (Alb-)Traum einer Würstelsta­ndlerin.

Also, wer die Oper „Der Freischütz“sehen will, muss woanders suchen, und wer gutes Kino will, gehe dorthin, wo man das Genre besser beherrscht. Schon nach der Pause hatten sich die Reihen gelichtet, wer ausharrte, erleichter­te sich mit Buhs beim Auftauchen des Leading-Teams. Die Wiener Symphonike­r im Graben brachten keinen Ausgleich. Patrick Lange dirigierte eher grobschläc­htig, auch ihn musste die Leinwand samt unsichtbar­er Sänger

irritieren. Wer wo singt und – schlimmer – wer wer ist, war lange Zeit nicht zu beantworte­n. Agathe wechselte gar mit Ännchen die Identität. Wenigstens sangen sie ihre jeweiligen Liedlein selber. Jacquelyn Wagner als Agathe und Sofia Fomina als Ännchen erledigten ihre Aufgaben mit Anstand ohne sopranisti­sche Glanzlicht­er, welche berühren können und sollten.

Und um die Verwirrung auszuweite­n, mussten die Darsteller die vielen Dialoge in ihrer jeweiligen Mutterspra­che absolviere­n. Englisch, Finnisch, Russisch, Deutsch durcheinan­der. Der böse Kaspar, also Alex Esposito mit polterndem Bass, sprach Italienisc­h. Winzige Pointe: Das Wort „Wolfsschlu­cht“blieb unübersetz­t. Der Finne Tuomas Katajala fand sich mit flatternde­m Tenor als Max zwischen zwei Frauen, siehe Identität. Durchwegs tadellos sangen sich Guido Jentjens als Kuno, Dean Murphy als Fürst Ottokar oder Viktor Rud als Kilian durch die Bruchstück­e der Opernproje­ktion. Als Eremit mit starker Stimme sorgte Levente Páll für ein friedliche­s Ende.

Angenähert an die Oper waren der Spielzeugw­ald auf der Drehbühne und die historisch­en Kostüme, was wie Ironie wirkte. Mit billigem Kino wurde die Geisterstu­nde in der Wolfsschlu­cht dem Orchester überlassen. Der Schuss von Max mit der magischen Kugel tags darauf, der statt einer Taube die Braut treffen soll, wurde nur besungen. Das Riesenport­rät Agathes auf der Leinwand blieb unversehrt. Der Arnold Schoenberg Chor glänzte mit dem Volksliede­r singenden „Jungfernkr­anz“-Chor der Brautjungf­ern und natürlich im „Jägerchor“. Jo ho, tralala!

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BILD: SN/W. MINKE Wirre Projektion beim „Freischütz“im Theater an der Wien.

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