Eine Sonnenuhr wie aus dem Stammbuch
In Berchtesgaden sorgt eine Wandmalerei für einen heiteren Anblick.
Unglaublich kitschig schaut dieses Fresko mit der Sonnenuhr auf der Hausfassade aus – und ist gerade deswegen augenfällig. Die Hauptrolle spielt ein männliches Sonnengesicht in dunklem Gelb: Es wärmt mit seinen Strahlen drei nackte Knaben, während sie die grauen Wolken wegschieben. Das Himmelblau blitzt schon durch. Ins Sonnengelb geschrieben ist der Satz „Trübe Stunden zeig ich nicht!“. Ein Schriftband umfängt die verspielte Szenerie, auf ihm stehen die Ziffern. Das Bild komplett machen der Stuckrahmen und die Medaillons mit Hahn und Eule, die für Morgenund Nachtmenschen stehen.
Die Sonnenuhr schmückt das Kanzlerhaus im Berchtesgadner Ortsteil Nonntal, einem charakteristischen Flecken des Marktes im angrenzenden Bayern. Es wurde im 16. Jahrhundert als Gerichtsschreiberhaus errichtet, später diente es als Sitz des Verwalters der Fürstpropstei Berchtesgaden. Hier am Fuß des Locksteins, entlang der alten Salzburger Straße, haben sich hangseitig bemerkenswerte historische Bürger-, Handwerks- und Gasthäuser erhalten. Sie stehen als Ensemble unter Denkmalschutz. Allerdings klafft mittlerweile seit Jahren auf dem Grundstück Nonntal 15 eine Lücke, nachdem das mehr als 300 Jahre alte Klettnerhaus abgerissen wurde. Der Bauschutt gibt immer noch Zeugnis davon.
Herausgeputzt ist hingegen das Kanzlerhaus, der Anblick der Sonnenuhr stimmt heiter. Stilistisch scheint das Wandbild samt Spruch einem Poesiealbum entsprungen zu sein, einem Stammbuch, das längst aus der Zeit ist und bei Kindern durch Freundschaftsbücher abgelöst wurde. Als Entstehungsjahr ist in der Inschrift 1910 vermerkt, die Signatur fehlt.
Das alte Sprichwort „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit’ren Stunden nur“ist hier ins Gegenteil verkehrt: „Trübe Stunden zeig’ ich nicht!“Auch wenn das Leben aus beidem besteht, manchmal ist es der Blick, der den Unterschied macht. So oder so, nur bei Sonnenschein kann der Schattenzeiger seinen Dienst tun. Und weil es bald wieder soweit ist: Die Sommerzeit kennt er auch nicht.