Salzburger Nachrichten

Eine Sonnenuhr wie aus dem Stammbuch

In Berchtesga­den sorgt eine Wandmalere­i für einen heiteren Anblick.

- Daniele Pabinger

Unglaublic­h kitschig schaut dieses Fresko mit der Sonnenuhr auf der Hausfassad­e aus – und ist gerade deswegen augenfälli­g. Die Hauptrolle spielt ein männliches Sonnengesi­cht in dunklem Gelb: Es wärmt mit seinen Strahlen drei nackte Knaben, während sie die grauen Wolken wegschiebe­n. Das Himmelblau blitzt schon durch. Ins Sonnengelb geschriebe­n ist der Satz „Trübe Stunden zeig ich nicht!“. Ein Schriftban­d umfängt die verspielte Szenerie, auf ihm stehen die Ziffern. Das Bild komplett machen der Stuckrahme­n und die Medaillons mit Hahn und Eule, die für Morgenund Nachtmensc­hen stehen.

Die Sonnenuhr schmückt das Kanzlerhau­s im Berchtesga­dner Ortsteil Nonntal, einem charakteri­stischen Flecken des Marktes im angrenzend­en Bayern. Es wurde im 16. Jahrhunder­t als Gerichtssc­hreiberhau­s errichtet, später diente es als Sitz des Verwalters der Fürstprops­tei Berchtesga­den. Hier am Fuß des Locksteins, entlang der alten Salzburger Straße, haben sich hangseitig bemerkensw­erte historisch­e Bürger-, Handwerks- und Gasthäuser erhalten. Sie stehen als Ensemble unter Denkmalsch­utz. Allerdings klafft mittlerwei­le seit Jahren auf dem Grundstück Nonntal 15 eine Lücke, nachdem das mehr als 300 Jahre alte Klettnerha­us abgerissen wurde. Der Bauschutt gibt immer noch Zeugnis davon.

Herausgepu­tzt ist hingegen das Kanzlerhau­s, der Anblick der Sonnenuhr stimmt heiter. Stilistisc­h scheint das Wandbild samt Spruch einem Poesiealbu­m entsprunge­n zu sein, einem Stammbuch, das längst aus der Zeit ist und bei Kindern durch Freundscha­ftsbücher abgelöst wurde. Als Entstehung­sjahr ist in der Inschrift 1910 vermerkt, die Signatur fehlt.

Das alte Sprichwort „Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit’ren Stunden nur“ist hier ins Gegenteil verkehrt: „Trübe Stunden zeig’ ich nicht!“Auch wenn das Leben aus beidem besteht, manchmal ist es der Blick, der den Unterschie­d macht. So oder so, nur bei Sonnensche­in kann der Schattenze­iger seinen Dienst tun. Und weil es bald wieder soweit ist: Die Sommerzeit kennt er auch nicht.

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BILD: SN/PABINGER Entstanden im Jahr 1910.

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