Ist da eine Wand?
Unsere Gesellschaft schiebt ihre größten Probleme vor sich her. Seit Jahrzehnten. Und so werden sie immer schlimmer. Wann kracht es?
Es ist exakt zehn Jahre her, da starteten die SN das „Bürgerprogramm für Salzburg“. Leserinnen und Leser sandten Hunderte Ideen ein, schilderten ihre drückendsten Sorgen und Probleme – und forderten Salzburgs Politik ultimativ auf, endlich zu handeln.
Und worum ging es damals? Um die schon 2013 drastisch steigenden Wohnungs- und Häuserpreise, die vielen Familien jede Perspektive auf ein Eigenheim raubten. Um den peinlich maroden öffentlichen Verkehr. Als Folge davon um den quälenden täglichen Stau und die schlechte Luft. Menschen forderten endlich mehr grüne Energie. Klagten über die fehlende Transparenz der Politik und deren aggressive Rhetorik. Ärgerten sich über die Verschandelung der Dörfer durch Fachmarktzentren und Schuhschachtelarchitektur. Und so weiter. Und jede Wette: Weitere zehn Jahre zuvor war die Themenlage auch schon fast die gleiche.
Und heute? Wie viele dieser Probleme sind gelöst? Oder wenigstens einmal seriös angegangen? Es ist zum Haareraufen.
Und das ist nur das kleine Salzburger Beispiel. Blickt man auf ganz Österreich, zeigt sich ähnliche Tristesse. Das Pensionssystem ächzt und stöhnt schon lange. Jedes Jahr müssen wir dort noch mehr Milliarden hineinbuttern, um einen Kollaps zu vermeiden. Experten warnen seit Jahrzehnten davor, dass uns die Pflegekräfte ausgehen und auch hier ein ganzes System zusammenzubrechen droht. Dass unsere Lehrer unterbezahlt sind und teils miese Arbeitsbedingungen haben – seit Ewigkeiten bekannt. Dass Mütter sich nicht auf einen Kinderbetreuungsplatz verlassen können – ein Thema gefühlt seit Urzeiten. Dass wir Milliarden für eine aufgeblasene Verwaltung verpulvern, die wir andernorts dringend bräuchten – darüber klagten schon unsere Mütter und Väter. Passiert ist: nichts oder viel zu wenig.
Und dann ist da noch die große, die globale Ebene mit ihren ebenso großen, ebenso lang bekannten und ungelösten Ungerechtigkeiten. Und vor allem mit der existenzgefährdenden Gefahr des Klimakollapses. Dessen Lösung wir, wie alles andere, vor uns herschieben. Jahr für Jahr, Jahrzehnt für Jahrzehnt.
Die Frage ist: Wie lange geht das noch gut? Ewig? Oder steuern wir mit unserem gemeinsamen Vehikel rasant auf eine Wand zu, an der es uns bald einmal zerbröselt?
Hier stehen offenbar zwei Meinungen gegeneinander. Die eine kommt von Wissenschaftern, Statistikern, Experten. Sie warnen vor genau dieser Wand, mahnen, argumentieren, verfassen armdicke Studien. Und dann sind da jene, die hinter den großen Schreibtischen sitzen. Jenen, in deren Schubladen all die unbequemen Forschungsergebnisse verschwinden. In vielen Hallen der politischen und wirtschaftlichen Macht scheint man sich selbst vorzubeten: Diese ganze besagte Wand ist nur Einbildung. Auf den Punkt brachte es der Bundeskanzler – der bekanntlich meinte, dass die „Untergangs-Apokalypse“doch völlig unbewiesen sei.
Das freilich ist nur Wunschdenken. Sicher fußt es im Wunsch des Machterhalts und in der Abneigung, lobbyingstarke Interessengruppen zu verprellen. Vielleicht kommt es aber auch daher, dass jene oberen fünf Prozent, die 95 Prozent aller Entscheidungen treffen, von den meisten genannten Problemen selbst wenig betroffen sind. So manchen fährt der Chauffeur zu seiner Vorstadtvilla, wo die Putzfrau Lästiges erledigt – und sich eine 24-Stunden-Betreuerin um die Oma kümmert; Spitzenentscheider sind oft zusatzversichert und können eine Nanny bezahlen. Und ob ein Liter Milch teurer wird, ist für sie nicht relevant.
Die gute Nachricht ist: Unsere Wissenschaft, unsere politischen Institutionen, unsere Betriebe, unsere Verwaltung – sie sind so hoch entwickelt, dass wir unsere Probleme sehr wohl lösen können. Wir wissen sogar, wie, und zwar bis ins Detail. Dafür brauchen wir keine weitere Arbeitsgruppe mehr. Wir müssten nur endlich aufwachen, aufstehen, den Frust und die Lethargie abschütteln, Veränderung einfordern. Wann haben Sie zum letzten Mal Ihrem Bürgermeister, einer Ministerin oder einem Konzernboss einen erbosten Brief geschrieben?
Zeigen wir, dass wir sie sehen, diese Wand, auf die wir zufahren. Und nehmen wir das Steuer in die Hand. Stattdessen die Augen zumachen und aufs Gas steigen? Dann kracht es ganz bestimmt.
Ja, wenn wir wollen, kriegen wir das hin