Rennen mit offenem Ausgang
Im Rennen um den SPÖ-Vorsitz gibt es bereits rund 30 Kandidaten. Wie geht es bei den Sozialdemokraten weiter?
TRAISKIRCHEN, WIEN. Weißes, offenes Hemd und legere Jeans. Dazu eine Schar an Kleinkindern an seiner Seite, mit denen am Freitag in einer Mittelschule in Traiskirchen gemeinsam gerührt, gekocht und verkostet wurde. Geht es nach Andreas Babler, dem Bürgermeister der 17.000-Einwohner-Stadt im Süden Niederösterreichs, dann ist das Werben um die SPÖ-Mitglieder längst eröffnet. Die Botschaft des gelernten Maschinenschlossers ist klar: Ich bin hemdsärmlig, volksnah und lösungsorientiert.
Und habe keine Berührungsängste. Denn ihm an der Seite stand der Salzburger Gastronom und ExNeos-Abgeordnete Sepp Schellhorn. Ihr gemeinsames „Herzensprojekt“, wie Babler und Schellhorn es nannten: gesundes, nachhaltiges und qualitätsvolles Essen in den Schulen und Kindergärten der Stadt. Mit Unterstützung der Stadtgemeinde Traiskirchen und unter Anleitung von Spitzenkoch Schellhorn sollen ab dem nächsten Schuljahr täglich 800 Essen vor Ort frisch gekocht werden. „Ein richtiger Meilenstein“, so Babler. Er hat Schellhorn um die Mitarbeit gebeten: „Kinder müssen uns mehr wert sein. Das fängt beim Essen an.“– Und endet wohl in der „großen“Politik, die Babler mittels seiner Kandidatur für den SPÖ-Vorsitz erobern will.
Womit er nicht allein ist. Außer den bisher bekannten Kandidaten Pamela Rendi-Wagner, Hans Peter Doskozil und Babler haben sich bereits rund 30 weitere Kandidaten in der SPÖ-Zentrale gemeldet. Im Folgenden ein Überblick in nicht wirklich übersichtlichen Zeiten.
1. Wem nützt/wem schadet die Kandidatur Andreas Bablers?
Sowohl Andreas Babler als auch Hans Peter Doskozil haben sich in ihren jeweiligen Einflussbereichen – also der Stadt Traiskirchen und dem Burgenland – durch progressive Sozial- und Bildungspolitik hervorgetan und jeder hat auf seine Art ein „sozialistisches Minimundus errichtet“, wie es ein Gesprächspartner der SN bezeichnet. In Flüchtlingsund Asylfragen unterscheidet sich Babler klar von der harten Linie des rechten Linkspopulisten Doskozil: Der Traiskirchner Bürgermeister, in dessen Gemeindegrenzen das größte Asylzentrum Österreichs liegt, plädiert für „uneingeschränkten Humanismus“in der Asylpolitik und dafür, „Win-win-Situationen“herzustellen – etwa durch Arbeitsberechtigungen für Asylbewerber.
Wie halten es die beiden mit der FPÖ? In dieser Gretchenfrage der SPÖ fährt Babler im Unterschied zu Doskozil den klaren Abgrenzungskurs Rendi-Wagners. Insgesamt dürfte Babler eher eine Alternative für Rendi-Wagner-Anhänger sein, sein Antreten bei der Mitgliederbefragung droht also die Parteichefin mehr Stimmen zu kosten als den burgenländischen Herausforderer.
Wobei insgesamt die Frage bleibt, ob Babler und Doskozil das, was sie auf kommunaler Ebene und auf Landesebene an relativ volksnaher sozialer Politik für die Bürgerinnen und Bürger umsetzen, im Fall ihrer Wahl zum Parteivorsitzenden auch tatsächlich auf ein Wirken auf Bundesebene übertragen können.
2. Ist Andreas Babler wegen der seinerzeitigen „Bezügeaffäre“angreifbar?
Babler weiß, dass er mit seinem Auftreten als moralische Instanz, Linker mit Haltung und Anwalt der kleinen Leute zum Teil auf einer Achillesferse steht. Denn Babler war im Jahr 2016 massiv in die Kritik geraten, da er – grundsätzlich legal – nicht nur Geld für seinen Posten als Stadtchef von Traiskirchen kassierte, sondern zusätzlich auch ein Gehalt als Angestellter der eigenen Gemeinde – wodurch er insgesamt auf stattliche 11.300 Euro brutto im Monat gekommen ist. Andreas Babler legte seinerzeit den Zweitjob umgehend zurück. Dennoch sorgte die damals von der FPÖ enthüllte Angelegenheit kurzfristig für Aufregung – und wird in den nächsten Wochen wohl wieder Thema werden. Der Vorwurf der Doppelmoral wird im Infight um das Votum der Mitglieder nicht ausbleiben.
3. Wie wirkt sich die Mitgliederbefragung auf die Salzburger Landtagswahl aus?
Der Beschluss der Parteiführung, den Beginn der Mitgliederbefragung erst am Tag nach der Salzburger Landtagswahl anzusetzen, war von einer fast naiven Hoffnung getragen: Man wolle den Landtagswahlkampf der Salzburger LandesSPÖ nicht durch das interne Wettrennen der Kandidaten um die Führung der Bundespartei überlagern, hieß es. In Wahrheit wird aber genau das passieren. Der Kampf um die Parteispitze wird die kommenden Wochen andauern und bis 24. April an Schärfe zunehmen.
Freilich ist es empirisch nicht belegbar, dass die Situation der Bundespartei sich sehr stark auf Land
tagswahlergebnisse auswirken muss. Tatsache ist, dass starke Identifikationsfiguren an der Spitze einer Bundespartei für einen Rückenwind auch bei Landtagswahlen sorgen können. Doch dieser Rückenwind aus der Parteizentrale in Wien hat auch vor der Eskalation im Zank um den Parteivorsitz schon gefehlt. Und dass die SPÖ und ihre Positionen insgesamt bis zur Salzburger Landtagswahl medial besonders präsent sind, muss der LandesSPÖ nicht unbedingt schaden. Viel wird von der Form der parteiinternen Wahlkampfauseinandersetzung abhängen.
4. Was ist von den Gerüchten über eine Rückkehr Christian Kerns zu halten?
Der ehemalige Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende ist derzeit medial sehr aktiv und geizt nicht mit politischen Kommentaren. Die „Krone“wusste jüngst von „wichtigen Roten“zu berichten, die Kern zu einer Kandidatur bewegen wollen. Eine diesbezügliche Anfrage der SN quittierte Kern am Freitag mit Schweigen. Die Kern-Nostalgie in Teilen der SPÖ wird durch die Tatsache ausgelöst, dass die SPÖ 2016, als der damalige ÖBB-Chef an die Spitze
der SPÖ rückte, ihren letzten stimmungsmäßigen Höhenflug erlebte. Dieser konnte allerdings nicht in einen Wahlsieg umgemünzt werden, da 2017 Sebastian Kurz die ÖVP übernahm und zum Sieg führte. Viele in der SPÖ tragen Kern nach, dass er im Jahr nach der Wahlniederlage den Parteivorsitz in einer recht chaotischen Aktion zurücklegte (und in seiner letzten Amtshandlung Rendi-Wagner als seine Nachfolgerin installierte).
5. Was kann beim entscheidenden SPÖ-Parteitag passieren?
Die Kür des oder der Parteivorsitzenden obliegt laut Parteistatut nicht den Mitgliedern, sondern dem Parteitag. Dieser kann von der Parteiführung lediglich höflich ersucht werden, jene Person, die bei der Mitgliederbefragung die meisten Stimmen erhalten hat, zum Parteichef zu machen. In Wahrheit ist der Parteitag aber völlig frei in seinen Entscheidungen, er kann auch jemanden küren, der oder die sich gar nicht der Mitgliederbefragung gestellt hat (Kern?). Eine solche Ignorierung der Parteibasis wäre für die Partei aber wohl nur schwer zu verkraften.
Nicht einfacher wird die Situation durch den Umstand, dass wegen der Vielzahl der Kandidaten beim Mitgliederentscheid niemand eine überzeugende absolute Mehrheit erhalten dürfte. Was es dem/der zum Parteichef Gekürten einigermaßen schwer machen wird, in der Partei so etwas wie Aufbruchstimmung auszulösen.
Eine neue Variante schlug Babler nun nach Bekanntgabe seiner Kandidatur vor. Und zwar stellte er zur Diskussion, dass unter den Parteimitgliedern eine Stichwahl der beiden bestgereihten Kandidaten erfolgen solle. Was einer zweiten Mitgliederbefragung gleichkäme und die SPÖ-Führungskrise wohl bis in den Herbst verlängern würde. Im Lager Doskozils hält man wenig vom Vorschlag einer Stichwahl und fordert, dass der Kandidat, der als relativ Stimmenstärkster aus der Mitgliederbefragung hervorgeht, am Parteitag als SPÖ-Vorsitzender zu küren ist. In der SPÖ-Zentrale hielt man sich zu dieser Angelegenheit auf SN-Anfrage bedeckt.
6. Wie geht es nun weiter?
Noch vor dem Präsidium und Parteivorstand am Montag soll geklärt
werden, ob tatsächlich alle Bewerber für die Mitgliederbefragung zugelassen werden. Ein Mitgliedsansuchen und die Vorsitzbewerbung des ehemaligen BZÖ-Chefs und Hofburgkandidaten Gerald Grosz hat die SPÖ in hohem Bogen zurückgeworfen. Lästermaul Grosz hatte sich in einem Bewerbungsvideo in höhnischem Ton über die Sozialdemokraten lustig gemacht. Ein Parteisprecher erklärte auf SN-Anfrage, dass nicht jedermann, der ein Beitrittsansuchen ausfülle, auch automatisch der Partei beitreten könne. Dessen ungeachtet konnte die SPÖ in den vergangenen Tagen einen Mitgliederzuwachs im vierstelligen Bereich verzeichnen.
Am Montag soll auch geklärt werden, ob und in welcher Form Hearings der Kandidaten stattfinden sollen. Es soll derzeit auch Bestrebungen geben, den Mitgliederbefragungszeitraum doch noch von den Salzburger Landtagswahlen wegzuschieben.
Die Möglichkeit, dass ein von den Mühen und Auseinandersetzungen der Mitgliederbefragung nicht angepatzter Überraschungskandidat erst beim Parteitag auftritt, wird sich auch am Montag nicht ausschließen lassen.