Die vergebene Vermessenheit
Das Drama „Der vermessene Mensch“mit Peter Simonischek im Kino.
„Kennen Sie den Begriff der Romantik? Hat etwa die Wanderlust Sie hierhergebracht?“„Nein. Man hat mich dazu gezwungen, weil ich Deutsch sprechen kann.“Schon die erste Begegnung zwischen dem naiven deutschen Ethnologen Alexander Hoffmann (Leonard Scheicher) und der afrikanischen Dolmetscherin Kezia Kambazembi (Girley Charlene Jazama) im neuen Kinofilm „Der vermessene Mensch“ist von Missverständnissen geprägt.
Bei der Berliner Kolonialausstellung 1896, einem „Menschenzoo“, mussten Bewohner diverser okkupierter Gebiete für zahlende weiße Besucher ihre „exotischen“Lebensweisen öffentlich darstellen. Alexander ist dort fasziniert von der klugen Kezia. Sein Doktorvater, der konservative Professor von Waldstätten (Peter Simonischek), weniger – für ihn steht außer Frage, dass Schwarze Menschen zweiter Klasse sind.
Wenige Jahre später macht sich Alexander in der deutschen Kolonie Südwestafrika, dem heutigen Namibia, auf die Suche nach Kezia. Statt noch mehr exotischen Idylls erlebt er die brutale Willkür der deutschen Besatzer und wird Zeuge des grausamen Völkermords an den Völkern der Herero und Nama.
Mit dem herausragenden Drama „Der Staat gegen Fritz Bauer“, in dem er die Vorgeschichte des EichmannProzesses nacherzählt hatte, zeigte Regisseur Lars Kraume, wie filmische Vergangenheitsbewältigung geht. Mit „Der vermessene Mensch“ist ihm das nicht so gut gelungen.
Die Geschichte des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts, der erst 2015 offiziell von Deutschland anerkannt wurde und bei dem fast 100.000 Menschen grausam zu Tode kamen, hätte mehr verdient als ein schulfernsehenhaftes Drama, das sich letztlich bloß um die Persönlichkeitskrise eines weißen Mannes dreht, der dann eh ungeschoren davonkommt.
Und auch wenn dieser als Symbolfigur des moralischen Versagens der Besatzer dienen soll: Solange die Geschichte wieder nur aus der Perspektive der Sieger erzählt wird, geht die aufgesetzte Didaktik ins Leere.
Symbolfigur des moralischen Versagens
Film: „Der vermessene Mensch“, Drama, Deutschland, 2023. Regie: Lars Kraume, mit Leonard Scheicher und Peter Simonischek.