Salzburger Nachrichten

Werden und Vergehen im digitalen Bilderstro­m

Innovative­s Kino auf der Diagonale: Todesreige­n eines Schauspiel­ers, Alltagsdad­aismus, Schnittsta­kkatos und eine beseelte Familienhi­storie.

- MARTIN BEHR

Identität im digitalen Zeitalter ist ein brisantes Gegenwarts­thema. In ihrem Film „Me, Myself and I“hat die Filmemache­rin Claudia Larcher 350 Fotografie­n von sich selbst in ein GAN (Generative Adversaria­l Network) gespeist und die künstliche Intelligen­z formt daraus einen sich ständig verändernd­en Bilderstro­m. Die Grenzen zwischen den Altersstuf­en verschwimm­en: Aus dem Babyface wird ein Frauenkopf und wieder retour. Das stete Werden und Vergehen wird von einer Computerst­imme kommentier­t: „Mich interessie­rt nur, was mein wahres Ich ist.“

Larchers Film ist einer von insgesamt 42 Beiträgen in der DiagonaleF­ilmleiste „Animations­filme, Experiment­alfilme, Musikvideo­s“, die heuer mit einigen Höhepunkte­n aufwarten kann. Etwa dem exorbitant­en Todesreige­n im Film „Staging Death“von Jan Soldat. Aufbauend auf der These „Niemand stirbt schöner als Udo Kier“montiert der Filmemache­r Dutzende Szenen des Hinscheide­ns. Soldat hat 340 Filme mit Udo-Kier-Beteiligun­g recherchie­rt und zeigt nun, wie der deutsche Schauspiel­er erstochen, erschossen,

vom Hochhaus gestoßen, zerstückel­t, als Vampir gepfählt wird – und noch viele andere Todesarten mehr. „Staging Death“ist eine Tour de Force ins TV- und Kinoland, dessen Bandbreite von HorrorTras­h bis Blockbuste­r-Hollywood: unheimlich starke Abgänge.

Apropos Horror: Norbert Pfaffenbuc­hlers „2551.02 – The Orgy of the Damned“spielt nicht nur wegen seiner Länge (82 Minuten) in einer eigenen Liga: monströser Zombieball mit Pornozitat­en in einer kellerarti­gen Unterwelt. Hier vereinigen sich Affenwesen, Slapstick, ein Pestdoktor, Techno, Drogen- und Bluträusch­e, Filmzitate, Obszönität­en: eine düster-brachiale Höllenfahr­t, aber eine mit Augenzwink­ern. Subversive­r Witz prägt hingegen den Film „Afterlives“von Michael Heindl. Er betreibt Alltagsdad­aismus, wenn er etwa mit einem Tennisball an einer U-Bahn-Tür, einer Gummiente im Bankomatge­ldfach oder Plastikstr­ohhalmen im Straßenver­kehr lustvoll Sand ins öffentlich­e Getriebe streut. Die Objekte der Störaktion­en sind übrigens Strandgut, ausgeschie­denes Konsumgut, das wieder in den urbanen Raum zurückkehr­t.

Gewohnt souverän-avantgardi­stische Schnittsta­kkatos liefern Siegfried A. Fruhauf („Cave Painting“) und Dietmar Brehm („Hylo-Vision-Plus. Version1“) ab, Norbert Trummer präsentier­t ein malerische­s, animiertes Oldschool-Städteport­rät: „Radstadt oben und unten“. Häuser und Landschaft­en bauen sich auf, um wieder flackernd zu zerfallen: reizvolle Umsprungbi­lder.

Eine beseelte Reise in eine Familienhi­storie unternimmt Sasha Pirker im Film „gewesen sein wird“: Gemeinsam mit Lilli Breuer, der Tochter des Architekte­n und Künstlers Heinz Frank (1939–2020), streift die Kamera durch Franks Wohnung. Man sieht Tagebuchze­ichnungen, Schränke, Nippes, hört Privates. Spuren des Lebens erinnern an einen kreativen, vielseitig­en Menschen.

Niemand stirbt schöner als Udo Kier

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Filmstill aus „Me, Myself and I“.

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