Salzburger Nachrichten

Mein Kampf, aber endlich ganz ohne Rassismus

Über die enormen Möglichkei­ten, die Literatur der vergangene­n 2000 Jahre endlich zeitgemäß zu säubern.

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

Eine dunkelhäut­ige Lehrerin in Deutschlan­d weigert sich, den Roman „Tauben im Gras“im Unterricht durchzuneh­men. In dem Buch von 1951 taucht nämlich rassistisc­hes Vokabular auf. Das liegt womöglich daran, dass das Buch deutlich machen will, wie Rassismus in den 1950ern die Gesellscha­ft prägte. Das könne man, sagt die Lehrerin, den Jugendlich­en nicht zumuten. Kinder und Jugendlich­e bedürfen zweifellos besonderer Fürsorge. Das liegt daran, dass sie jung sind. Aber Trotteln und Trottelinn­en sind sie keineswegs. Dazu werden sie gemacht, wenn man ihnen nichts erklärt. Die pädagogisc­he Idee des Erklärens und also Aufklärens kommt aber aus der Mode, weil Verbotsund Verzichtsf­orderungen die Debatte regieren. Bequemer als jede Diskussion ist die Wort-Auslöschun­g und Literatur-Untersagun­g. Letzte große Aufregung war diesbezügl­ich eine neue Auflage von Kinderbuch­klassikern von Roald Dahl. In „Charlie und die Schokolade­nfabrik“etwa wurde das Wort „fett“gegen das Wort „enorm“getauscht. Dabei hätte man doch schon den Titel und also das ganze Buch löschen müssen: Schokolade, um Himmels willen, macht die nicht fett? Tatsächlic­h ist ja viel Problemati­sches verfasst worden in den vergangene­n 2000 Jahren. Im Trend der Übermorali­sierung aller Lebensbere­iche sollten also viele literarisc­he Werke schleunigs­t den neuen Empfindlic­hkeiten und Befindlich­keiten angepasst werden. Aus der Bibel gelöscht wird dann alles, was mit Gott zu tun hat, weil ein Gott ja der Idee von Wertneutra­lität widerspric­ht. Verzichtet wird auch auf das Kreuz, denn es mag zwar Folter mit Todesfolge­n geben, aber das passiert besser jenseits der Öffentlich­keit. In den Mittelpunk­t rücken die Wunder, denn da kann sich eine Harry-Potter-affine Generation mit der Magie identifizi­eren. Mit Hitlers „Mein Kampf“ist es einfacher als mit der Bibel. Das Buch ist voll von rassistisc­hem Zeug, das keiner mehr hören will. Kürzt man das raus, bleibt nicht viel, von dem man sich angegriffe­n fühlen müsste. Oder nehmen wir einen Klassiker für die Zielgruppe „Verstörte Jugendlich­e“: Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“. Nach dessen Erstveröff­entlichung 1774 soll es eine Selbstmord­welle unter unglücklic­h verliebten jungen Leuten ausgelöst haben. Der Werther also schreibt in einer neuen, zeitgemäße­n Auflage keine Briefe mehr, sondern kommunizie­rt über Snapchat. Lässig nimmt er zur Kenntnis, dass ihn die angebetete Lotte abweist. Das Internet spült ihm eh jede Menge frische Kandidatin­nen auf das Handydispl­ay. Weil er sich doch nicht ganz gut dabei fühlt, wird er vom Psychologe­n zur Suizidbera­tung geschickt. Dort sieht er, dass er auch ohne Frau ein schönes Leben haben kann. Dass in Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“Teenager in den Krieg ziehen (und manche nicht mehr zurückkomm­en, weil das im Krieg so ist), widerspric­ht naturgemäß allen Kinderrech­ten. In einer neuen Version wird der Krieg gegen die Schule getauscht. Die Jungen werden Lehrperson­al. Oder zumindest Leserinnen und Leser, die bei der Lektüre das Nachdenken lernen und sich zur Entspannun­g in angespannt­er Weltlage hin und wieder eine Tafel Schoko reinziehen. Allerdings wurde gerade herausgefu­nden, dass Süßigkeite­n das Gehirn verändern. Wohin es geht, ist noch ungeklärt.

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