Mein Kampf, aber endlich ganz ohne Rassismus
Über die enormen Möglichkeiten, die Literatur der vergangenen 2000 Jahre endlich zeitgemäß zu säubern.
Eine dunkelhäutige Lehrerin in Deutschland weigert sich, den Roman „Tauben im Gras“im Unterricht durchzunehmen. In dem Buch von 1951 taucht nämlich rassistisches Vokabular auf. Das liegt womöglich daran, dass das Buch deutlich machen will, wie Rassismus in den 1950ern die Gesellschaft prägte. Das könne man, sagt die Lehrerin, den Jugendlichen nicht zumuten. Kinder und Jugendliche bedürfen zweifellos besonderer Fürsorge. Das liegt daran, dass sie jung sind. Aber Trotteln und Trottelinnen sind sie keineswegs. Dazu werden sie gemacht, wenn man ihnen nichts erklärt. Die pädagogische Idee des Erklärens und also Aufklärens kommt aber aus der Mode, weil Verbotsund Verzichtsforderungen die Debatte regieren. Bequemer als jede Diskussion ist die Wort-Auslöschung und Literatur-Untersagung. Letzte große Aufregung war diesbezüglich eine neue Auflage von Kinderbuchklassikern von Roald Dahl. In „Charlie und die Schokoladenfabrik“etwa wurde das Wort „fett“gegen das Wort „enorm“getauscht. Dabei hätte man doch schon den Titel und also das ganze Buch löschen müssen: Schokolade, um Himmels willen, macht die nicht fett? Tatsächlich ist ja viel Problematisches verfasst worden in den vergangenen 2000 Jahren. Im Trend der Übermoralisierung aller Lebensbereiche sollten also viele literarische Werke schleunigst den neuen Empfindlichkeiten und Befindlichkeiten angepasst werden. Aus der Bibel gelöscht wird dann alles, was mit Gott zu tun hat, weil ein Gott ja der Idee von Wertneutralität widerspricht. Verzichtet wird auch auf das Kreuz, denn es mag zwar Folter mit Todesfolgen geben, aber das passiert besser jenseits der Öffentlichkeit. In den Mittelpunkt rücken die Wunder, denn da kann sich eine Harry-Potter-affine Generation mit der Magie identifizieren. Mit Hitlers „Mein Kampf“ist es einfacher als mit der Bibel. Das Buch ist voll von rassistischem Zeug, das keiner mehr hören will. Kürzt man das raus, bleibt nicht viel, von dem man sich angegriffen fühlen müsste. Oder nehmen wir einen Klassiker für die Zielgruppe „Verstörte Jugendliche“: Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“. Nach dessen Erstveröffentlichung 1774 soll es eine Selbstmordwelle unter unglücklich verliebten jungen Leuten ausgelöst haben. Der Werther also schreibt in einer neuen, zeitgemäßen Auflage keine Briefe mehr, sondern kommuniziert über Snapchat. Lässig nimmt er zur Kenntnis, dass ihn die angebetete Lotte abweist. Das Internet spült ihm eh jede Menge frische Kandidatinnen auf das Handydisplay. Weil er sich doch nicht ganz gut dabei fühlt, wird er vom Psychologen zur Suizidberatung geschickt. Dort sieht er, dass er auch ohne Frau ein schönes Leben haben kann. Dass in Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“Teenager in den Krieg ziehen (und manche nicht mehr zurückkommen, weil das im Krieg so ist), widerspricht naturgemäß allen Kinderrechten. In einer neuen Version wird der Krieg gegen die Schule getauscht. Die Jungen werden Lehrpersonal. Oder zumindest Leserinnen und Leser, die bei der Lektüre das Nachdenken lernen und sich zur Entspannung in angespannter Weltlage hin und wieder eine Tafel Schoko reinziehen. Allerdings wurde gerade herausgefunden, dass Süßigkeiten das Gehirn verändern. Wohin es geht, ist noch ungeklärt.